Big Brother Award für LMU und TU: Plattform verscherbelt Daten von Studenten
München - Der Traum von überall und für alle verfügbarem Wissen ist ein akademisch-romantischer. Mit dem Internet ist diese Idee aber nun sehr real: Kostenlos Vorlesungen bei Professoren aus der ganzen Welt belegen, das ermöglichen Massive Open Online Courses (MOOC) – Vorlesungen im Netz.
Der US-Anbieter "Coursera" ist Marktführer. Die Online-Plattform generiert selbst nichts, sondern verwaltet fremde Inhalte. Ein Dozent zeichnet dafür seine Veranstaltung auf, lädt das Video hoch und Interessierte, die gar nicht am Studienort leben, können sie anschauen. Man kann sich die so belegten Kurse sogar offiziell anrechnen und zertifizieren lassen – gegen Gebühr.
Mehr als 2000 Kurse stellt Coursera zur Verfügung – zum Beispiel "Programmieren für jeden" an der University of Michigan, "Buddhismus und die moderne Psychologie" an der Princeton University – oder den "Grundlagenkurs Unfallchirurgie" an der Technischen Universität München. Die Kurse verschaffen vielen Menschen Zugriff auf Bildung, denen sie sonst verwehrt bliebe.
Allerdings, und das kritisieren die Datenschützer des Vereins Digitalcourage (siehe Kasten), ist Coursera ein wirtschaftliches Unternehmen – in dessen Obhut die Studierenden teilweise sensible Daten geben.
Der Abruf der meisten Vorlesungsmaterialien ist kostenlos, wenn man sich beim Portal anmeldet. Das geht mit Pseudonym. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht aber auch, dass Coursera Firmen anbieten darf, Studierende nach Kursen und Lernerfolgen zu filtern und gezielt anzusprechen.
Auf die Daten der Studierenden könnten US-Behörden zugreifen
Ein bequemer Weg, potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten für Top-Jobs zu finden und mit ihnen in Kontakt zu treten, kritisiert Digitalcourage – "selbstverständlich nicht kostenlos". Die Daten würden außerdem in den USA gespeichert und verarbeitet, "damit dürften sie auch dem Zugriff durch US-Behörden ausgesetzt sein".
Die TU München war die erste deutsche Hochschule, die Partnerschaften mit Anbietern wie Coursera und edX einging, auch die LMU nutzt Coursera. Dafür haben die Unis am Freitag den Negativpreis Big-Brother-Award verliehen bekommen.
Die Technische Universität relativiert das Thema: MOOCs seien ja nicht vorrangig für TUM-Studierende konzipiert, sondern für Externe. Auch die LMU merkt das an.
Außerdem weise man darauf hin, "dass es sich bei den Plattformen um privatwirtschaftliche Unternehmen mit eigenen AGBs und Datenschutzrichtlinien handelt", sagt TU-Sprecher Ulrich Marsch.
Von der LMU heißt es: Spezielle Vereinbarungen mit Coursera sähen unter anderem vor, dass mit ausdrücklichem Einverständnis des Kursteilnehmers Daten an Dritte weitergegeben werden können.
Noch ist das Kursangebot freiwillig. Der Award, schreibt die Jury, solle eine Warnung an die Hochschulen sein, Online-Kurse bei datenschutztechnisch zweifelhaften Anbietern nicht zum Pflichtangebot für den Scheinerwerb zu machen.
Hintergrund: Die Big Brother Awards
Die "Big Brother Awards" werden seit 2000 in Deutschland an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die nach Ansicht des Vereins Digitalcourage in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen.
In diesem Jahr gehören zu den Preisträgern neben der TU und LMU zum Beispiel der IT-Branchenverband Bitkom, für "seine penetrante Lobbyarbeit gegen Datenschutz" und die Türkisch-islamische Union Ditib dafür, "dass ihre Imame für türkische Behörden und den Geheimdienst MIT ihre Mitglieder und Besucher ausspioniert, denunziert und so der Verfolgung durch türkisch-staatliche Stellen ausgeliefert haben".
Auch dabei: die Bundeswehr und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, wegen der "massiven digitalen Aufrüstung der Bundeswehr" in Form des Kommandos Cyber- und Informationsraum. Mit dieser "Militarisierung des Internets" beteilige sich Deutschland am globalen Cyber-Wettrüsten – "ohne Parlamentsbeteiligung, demokratische Kontrolle und rechtliche Grundlage".
Lesen Sie dazu auch den AZ-Kommentar: Daten-Weitergabe an der Uni - Egal? Eben nicht!