Bier zum Frühstück: Mit dem Zug nach Klagenfurt
MÜNCHEN - Viele Wege führen nach Klagenfurt: mit dem Auto, mit dem Flugzeug - die echten Fans aber fuhren mit dem Zug von München zum Auftaktspiel der deutschen Mannschaft. Manche hatten keinen Schlaf, andere kein Bier. Einige hatten noch nicht einmal eine Karte. Ein Reisebericht aus dem OIC 690.
9.27 Uhr: Abfahrt am Münchner Hauptbahnhof. Das erste Kölschfass haben Alex, Andreas und Thomas schon auf der Fahrt von Köln nach München geleert, jetzt ist das zweite dran. "Man muss sich ja die Zeit vertreiben", sagt Bankkaufmann Alex und zapft das nächste. Ihr einziges Problem: Das Fass ist undicht, "hoffentlich reicht das noch bis Klagenfurt".
9.53 Uhr: Martin und Steffen dösen derweil in Wagen 22. Sie sind auf einer Fahrt ins Ungewisse: Nur Steffen hat ein Ticket. Martin will es vor Ort versuchen. "Die Idee ist natürlich gestern auf einer Party entstanden."
10.21 Uhr: Verbrüderungsszene kurz vor der Staatsgrenze. Der Kaiserslauterer Michael klatscht mit Stefan aus Wien ab. "Wäre doch ein Traum, wenn wir beide am dritten Spieltag sechs Punkte haben", sagt Stefan. "Dann könnten wir am letzten Gruppenspiel 4:4 spielen und kommen beide weiter."
Für die Atmosphäre
10.33 Uhr: Speisewagen, Bier zum Frühstück für Martin (34). Der Elektriker hat zwar keine Karte, "kennt aber einen Haufen Leute dort". Auch wenn er es nicht ins Stadion schafft, er reist für die Atmosphäre an. "Mitfeiern, dabei sein, Stimmung genießen."
10.37 Uhr: Die Kölner Alex, Andreas und Thomas arbeiten immer noch an ihrem Kölsch. Sie holen die Karten raus und spielen Skat. Das Fass tropft noch immer.
10.44 Uhr: Alen (25) und Markus (23) ist noch nicht zum Feiern zumute. Die Kroaten aus Ulm diskutieren. Es geht um den Sturm. Die beiden fahren über Salzburg weiter nach Wien zum Auftaktspiel Kroatien gegen Österreich. Das Bier haben sie zuhause gelassen. "Bringt nix, sich vollzudröhnen", sagt Alen, "da kriegt man ja nix mehr vom Spiel mit."
10.55 Uhr: Zwei Reihen weiter steckt ein deutscher Fan in großen Schwierigkeiten. Passkontrolle, das Schengen-Abkommen wurde für die EM aufgehoben, jeder muss sich ausweisen. Das wusste der Fan aus Düsseldorf wohl nicht. Er hat seinen Pass vergessen. "Können Sie sich denn gar nicht ausweisen?", fragt der Zöllner. Er schüttelt den Kopf. "Haben Sie gar nix dabei?" Er hebt seine Plastiktüte mit vier Bierflaschen hoch und grinst. Das Lachen vergeht ihm schnell - in Salzburg ist die Fahrt für ihn zu Ende.
Heiß, aber fröhlich
11.29: Das Herz Deutschlands schlägt in Waggon 258. Fahnen am Gepäckträger, Schwarz-Rot-Goldener Gummiadler am Fenster, über allem schwebt der schale Geruch von warmem Dosenbier. Es ist heiß, aber fröhlich. Nur für Sascha, Matthias, Jörg und Christian ist die Party vorbei. Ihre Plätze sind doppelt gebucht. Eine biestig dreinschauende österreichische Familie will, dass sie gehen. "Seid's bittschön so nett", sagt der Schaffner. Die vier Amberger räumen das Feld.
12.10: Zu was die Liebe am Fußball die Menschen treibt: Chris und Marek zählen noch einmal die Scheine in ihrem Portemonnaie. Die Polen sind aus London angeflogen und in Salzburg in den Zug gestiegen. Das Einzige, was ihnen noch fehlt: ein Ticket. "Ich bin total verrückt", sagt Marek, "ich würde 1000 Euro bezahlen, ach was, wenn es sein muss, 2000", sagt der 38-Jährige. "Wir haben schließlich zum ersten Mal die Möglichkeit, Euch Deutsche zu schlagen." Ein Schwabe platzt ins Abteil. "Hend Ihr noch a Ticket?". Nö -falsche Frage.
14. 20 Uhr: Klagenfurt! Das Kölschfass ist leer, jetzt geht's zum Spiel. Es wird ein harter Tag: "Um 1.05 Uhr fahren wir zurück", sagt Alex, "das wird echt eine harte Nacht". Am Montagmorgen gehen sie wieder in die Arbeit.
D. Aschoff, T. Gautier
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