Baumpfleger-Paar über alte Bäume in München: "Sie erzeugen hundert Mal so viel Sauerstoff"
München - "Bam-Baumpflege“ heißt die Firma von Patrick Rist. Und der Mann hat diesen Beruf aus voller ökologischer Überzeugung ergriffen. Das Gleiche kann man von seiner Frau Bekka behaupten.
Mit dem Firmen-Van fahren sie nur vor, wenn es nicht anders geht. Zu Geschäftsterminen sind sie oft mit dem Lastenrad unterwegs. Ein Gespräch mit Bekka und Patrick Rist – über den gesunden Baumschnitt, die Höhe der Strafen bei illegalen Fällungen und warum Stadtbäume nicht nur für Menschen wichtig sind.
AZ: Herr Rist, warum kommen so viel Baumpfleger vom Klettersport?
PATRICK RIST (P): Die Voraussetzungen sind sehr ähnlich. Man muss gerne draußen, schwindelfrei und grundsätzlich sportlich sein. Wir nutzen Seile, Gurte und Karabiner. Das ist ja im Bergsport auch so. Da hat man Vorteile mit der Technik.
Aber mit Bäumen kennen sich Kletterer nicht grundsätzlich aus, oder?
P: Nein, die Baumbiologie ist ein sehr spezielles Feld. Dafür braucht jeder eine fachspezifische Ausbildung natürlich.
Darf ich fragen: Der Klettersport gilt als effiziente Partnerbörse. Haben Sie beide sich auch beim Klettern kennengelernt?
Bekka Rist (B): Ja! (lacht) Vor 22 Jahren. Wir machten damals beide ein Freiwilliges Soziales Jahr. Seither wissen wir auch, dass wir sehr gut zusammenarbeiten können, was ja beim Klettersport sehr wichtig ist.
In München?
P: Ja, im Heaven’s Gate. Das trägt uns noch heute in unserer Beziehung und bei der Arbeit als Baumpfleger.
B: Man kennt sich gut nach 22 Jahren. Im Baum ist das genauso wichtig wie beim Klettern. Wir müssen uns aufeinander verlassen und im Ernstfall gegenseitig retten können. Das üben wir auch einmal im Jahr.
Den Job des Baumpflegers gibt es schon sehr lange oder?
P: Die kletternde Baumpflege ist noch sehr jung. Die Forstwirtschaft gibt es natürlich viele Jahrhunderte. Bei uns geht es darum, mit möglichst wenigen Eingriffen den Baum gesund und sicher zu halten. Gerade im städtischen Bereich ist es als Kletterer sehr gut möglich, auch in den engsten Innenhöfen auf einen Baum zu klettern und bis in die Spitze zu prüfen.
B: Und schonende Schnitte zu setzen, wenn es notwendig ist.
Mit schwerem Gerät kommt man in einem beengten Innenhof wahrscheinlich nicht weit.
P: Da ist die Klettertechnik maximal schonend für den Baum und dessen Umfeld.
Die Stelle, wo das Seil im Ast hängt, nimmt keinen Schaden?
P: Nein. Da liegt das Seil im Grunde einfach drüber, es herrscht keine Bewegung an der Stelle, da das Seil am Baumstamm festgeknotet ist.
B: Unser Körpergewicht ist für einen gesunden und ausgewachsenen Baum irrelevant, da wir ja im Seil hängen. Der hält das locker aus.
P: Mit schwerem Gerät, wie mit einer Arbeitsbühne, kann man auch das Wurzelwerk beschädigen, wenn durch das Gewicht und den Druck, der Boden verdichtet wird.
Strafen für illegale Fällungen sind zu niedrig
Wir sitzen hier an einem Baum, ein Flachwurzler oder?
B: Vielleicht bedingtermaßen. Er hat hier kaum Platz nach unten und musste sich mit der Wurzel ausbreiten, Auswege suchen.
Was ist das für einer?
P: Ein Spitzahorn. Sehr verbreitet in München.
Sie können bestimmt auch gut einschätzen, wie alt der ist?
P: Ich würde vermuten, 60 bis 80 Jahre.
Wie alt werden die?
P: Bei guter Pflege und einem guten Standort bis zu 300 Jahre.
Was muss man an einem Spitzahorn regelmäßig machen?
P: Baumkontrolle. Vom Boden bis zur Spitze. Da geht es in Städten vor allem um Verkehrssicherheit. So kann man feststellen, ob eingegriffen werden muss. Dafür gibt es Gründe. Bei Totholz ab drei Zentimeter Durchmesser etwa. Das gilt als Verkehrsgefahr und wird herausgeschnitten. Aber sonst muss man da nichts tun, wenn es dem Baum gut geht und er keine Hinweise auf Schäden zeigt. Diese Verkehrssicherheit muss auch jeder Gartenbesitzer gewährleisten, dessen Baum auf öffentlichen Weg ragt.
Es gibt also keine Regelmäßigkeiten, so etwas wie: Alle acht Monate fünf Zentimeter an der Spitze wegschneiden?
B: Nein. Auf keinen Fall. Genau das Gegenteil, weniger ist mehr. Auch Totholz würde den Baum grundsätzlich nicht stören. Wenn er nah an der Straße steht und tiefe Äste hat, die in den Verkehrsraum ragen, schneidet man auch mal Äste ab, bevor ein LKW dagegenfährt und diese abreißt. Zum Eigenschutz sozusagen. Das nennt man Lichtraumprofil.
P: Jeder Schnitt ist grundsätzlich eine Verletzung. Bei kleinen Schnitten im Fein- und Schwachastbereich kann der Baum sich leicht erholen. Für größere Eingriffe braucht man einen guten Grund.
Der wäre?
B: Zum Beispiel, um eine Schadstelle zu entlasten. Lange schwere Äste wirken da wie ein Hebel. Bevor der abreißt, kann man ihn einkürzen und damit Gewicht wegnehmen. Gerade bei starken Winden können sonst große Kräfte am Baum zerren. Oder wenn ein Gerüst aufgestellt wird und der Baum geschützt werden muss.
Hat sich die Herangehensweise an Ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten verändert, war man früher gröber zum Baum?
P: Definitiv. Erst in den 80ern gab es die ersten Forschungen in den USA, welche Folgen Schnittmaßnahmen haben. Bis dahin hat man gesagt, okay, der Baum sieht sicher aus oder ich bin mir unsicher, also fällen wir ihn. Und inzwischen gibt es da sehr viele Maßnahmen dazwischen, um die Bäume langfristig zu erhalten.
Bei Bäumen wuselt das Leben in den Furchen
Also eine recht junge Disziplin.
B: Absolut. Gerade zusammen mit der schonenden Seilklettertechnik.
Ist es zu günstig, einen Baum einfach zu fällen?
B: Es ist natürlich günstiger, als ihn jährlich zu kontrollieren und zu pflegen. Aber der Wert für das Ökosystem bemisst sich ja nicht nur daran. Das hat man inzwischen schon verstanden, vor allem in Städten. Viel dramatischer ist, dass die Strafen für illegale Baumfällungen viel zu niedrig sind. Da bräuchten wir meiner Meinung nach deutlich schärfere Gesetze und höhere Strafen. Bei millionenschweren Immobilienprojekten sind die Strafen verhältnismäßig lächerlich.
P: 10.000 bis 50.000 Euro Strafe sind da Taschengeld.
B: Der Schaden aber, wenn ein alter gesunder Baum gefällt wird, ist für die Gesellschaft enorm.
Was war der schlimmste Zustand, in dem Sie Bäume vorgefunden haben?
P: Diejenigen, bei denen ohne Fachwissen eingegriffen worden ist. Das sind oft Kappungen. Zu große Schnitte. Häufig werden wir dann viel zu spät gerufen und der Baum ist schon von Pilzen befallen. Ab dann ist er ein Pflegefall. Wir können ja keine Äste ankleben.
Also das fault dann richtig vom Ast zum Baum?
P: Ja.
Was passiert dann?
P: Der Holzkörper wird schwach und marode. Bröselig. Nicht mehr sicher. Und dann Ultima Ratio, fällen.
In Kinderbüchern habe ich zuletzt gelesen, dass Bäume unterirdisch kommunizieren, sich gegenseitig warnen und versorgen können. Welche Rolle spielen solche neuen Erkenntnisse für Ihre Arbeit?
P: Die sind sehr wertvoll, weil so die Wertschätzung für den Baumerhalt steigt. Bei dieser Kommunikation spielen übrigens auch Pilze und Hormone eine Rolle. Es ist mystisch.
Noch lange nicht ausgeforscht?
P: Bei weitem nicht. Je mehr wir wissen, desto leichter können wir Bäume erhalten.
B: Wir sind jedes Jahr auf den Baumpflegetagen, einem internationalen Treffen. Da kommen jährlich neue Studien heraus und wir lernen dazu. Sehr spannend.
Innenstädte brauchen Bäume als Schattenspender.
B: Und als Luftreiniger.
Welche Relevanz haben Bäume noch als Klimaelement?
P: Naturschutz und Artenvielfalt. Ein Baum ist auch das Zuhause von vielen Tieren. Insekten, Vögeln, Eichhörnchen. In Höhlungen von alten Bäumen leben Fledermäuse oder Siebenschläfer.
B: Deswegen müssen auch alte abgestorbene Bäume möglichst noch stehenbleiben. Da wuselt das Leben in den Furchen.
P: Oder wenn man mal an diese Ruhe denkt, die Bäume ausstrahlen, das ganze Grün, dazu das Vogelgezwitscher. Der Frühling kommt. Keiner möchte das vermissen.
B: Vor allem in kleineren Orten sind markante Bäume auch beliebte Treffpunkte oder Orientierungshilfen. Teilweise sind es Veranstaltungsorte.
Es fehlt Personal für die Kontrolle auf Baustellen
Was noch?
P: Bessere Luft, niedrigere Temperaturen, höhere Luftfeuchtigkeit, Artenvielfalt, Schatten. Der Baum im Garten meines Nachbarn ist eigentlich der wichtigste. Was nützt es mir vor Ort, wenn am anderen Ende der Welt aufgeforstet wird? Für das Gesamtklima wichtig, klar. Aber direkt in meinem Garten? Um so bedauerlicher sind Nachbarsstreitigkeiten um Bäume.
Also am besten sofort einen Baum anpflanzen im Garten?
P: Das schadet nie. Viel wichtiger ist es, Altbäume zu erhalten. In München ist kaum Platz, um neue Bäume zu pflanzen. Um so einen alten Spitzahorn zu ersetzen, müsste man mehrere Hundert Jungbäume setzen.
Das klingt übertrieben. Warum denn mehrere Hundert?
P: Weil der alte Baum im Vergleich hundert bis zweihundert Mal so viel Sauerstoff erzeugt.
Das ist ja enorm. Was kann die Stadt besser machen?
B: München macht schon vieles richtig. Die Baumschutzverordnung ist ein guter Schutz. Sie wird gerade verschärft. München ist eine grüne Stadt. Aber gerade auf Baustellen verlieren wir täglich unnötig gesunde und alte Bäume. Da fehlt es an Personal für die Kontrolle und Strafen.
B: Manche machen den Fehler, dass sie in kleinen Gärten zu große Bäume pflanzen. Eichen sind beliebt. Aber die werden enorm groß und werfen dann natürlich viel Laub ab. Das unterschätzen die Münchner oft. Wir beraten bei der Entscheidung viele Münchner auch.
Es gibt da ja zahlreiche plausible Argumente, wie es aussieht.
B: Das ist schön zu sehen, ja, wenn wir bei den Leuten erzählen können, wie wichtig so ein Baum sein kann.
P: Wir arbeiten auch als Mediatoren, wenn es zu typischen Nachbarstreitigkeiten kommt.
B: Auch in Kindergärten sind wir viel unterwegs und erzählen über die Welt der Bäume und die Sinnhaftigkeit unseres Berufs. Hier ist großes Interesse.
Wie viel Prozent der Baumpfleger sind eigentlich Frauen?
P: Zu wenige. Würd’ schätzen, zwei bis fünf Prozent.
B: Hätte ich auch gesagt.
Woran liegt das?
B: Die Zahl steigt langsam, es ist ein körperlicher Job. Das fängt an bei der Ausrüstung. Frauen haben andere Körperformen und brauchen anderes Equipment. Lange Zeit war es ausschließlich ein Männerjob. Über den Klettersport tut sich da viel, weil dort grundsätzlich mehr Frauen sind, als in dem Beruf.
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