AZ-Interview mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter
Abendzeitung: Herr Reiter, München wächst und wächst. Da gibt es bestimmt auch 2017 viel zu tun.
Dieter Reiter: Sehr viel. Es sind ja nicht nur Zuzügler, die zu uns kommen, wir haben seit Jahren einen Baby-Boom in München. Darüber sind wir sehr froh, aber natürlich müssen die Kinder irgendwann auch zur Schule gehen. Deswegen bauen wir auch nächstes Jahr viele Schulen. Und auch dem Thema Kinderbetreuung müssen wir uns weiterhin intensiv annehmen. Da gibt es einen hohen Bedarf an Ganztagsbetreuung – und in einer Stadt wie München, in der das Leben teuer ist und zumeist beide Partner in die Arbeit gehen müssen, gleich zwei Mal.
Auch beim Nahverkehr muss dringend was passieren.
Keine Frage, da werden wir den Ausbau noch mit einigen Beschlüssen beschleunigen müssen. Ich will unbedingt das Thema U9 angehen. Die Experten der MVG sind sich einig, dass wir diese Entlastungslinie für die Innenstadt dringend brauchen. Da muss etwas passieren. Die U9 ist das Kernstück eines zukunftsorientierten U-Bahnsystems.
Was wollen Sie kommendes Jahr da erreichen?
Wir sollten zumindest schnell einen Grundsatzbeschluss fassen, damit das Projekt endlich Fahrt aufnehmen kann. Bei den vielen Ebenen, die es unter unserer Stadt bereits gibt, ist es technisch nicht mehr so ganz trivial, eine neue U-Bahnlinie zu bauen. Und das im laufenden Betrieb.
Wie sieht es bei Bus und Tram aus?
Wir brauchen sicher weitere Buslinien. Aber auch bei der berühmten Tram-Nordtangente durch den Englischen Garten werde ich nicht aufgeben. Eine Oberleitung ist nicht mehr nötig, die Tram könnte nach neuester Technik per Batteriebetrieb durch den Park fahren und damit fällt das alte Gegenargument weg. Deshalb werde ich Herrn Söder auch noch einmal persönlich fragen, warum er die Straßenbahn nicht mag.
Das klingt jetzt sehr entschlossen. Oft macht die SPD aber den Eindruck, etwas zögerlich zu sein. Die Ring-Tunnel zum Beispiel hat die CSU locker durchbekommen. Die Tram-Westtangente wäre fast noch gescheitert...
...die Tram-Westtangente wurde beschlossen, darauf kommt es an. Und wenn ich nicht überzeugt wäre, dass die Tunnel vielen Menschen nützen, hätte ich hier nicht zugestimmt. Das ist kein Zugeständnis an die CSU, sondern Teil meiner Verkehrspolitik, die bestmögliche Lösungen für alle Mobilitätsformen ermöglichen soll. Nicht gegeneinander, sondern miteinander, nicht Verbote, sondern Angebote schaffen.
Würden Sie einen Kasten Münchner Helles wetten, dass die Koalition Ende nächsten Jahres noch steht?
Ja, würde ich. Sogar zwei. So teuer ist Bier ja auch wieder nicht (lacht). Aber im Ernst: Inzwischen ist eine Art relativer Gelassenheit zwischen den Partnern eingetreten. Was da oft als Krach interpretiert wird, ist in Wahrheit halb so schlimm. Aber es gibt schon Nachbesserungsbedarf – die werde ich aber in kleinem Kreis mit dem Kooperationspartner ansprechen.
Wie sieht es beim Wohnungsbau aus? Da werden mittlerweile auch die letzten Wiesen und Hinterhöfe zugebaut. Gelingt es noch immer, zu erklären, warum das nötig ist?
Also erstens bauen wir keine Wiesen zu und auch nicht jeden Hinterhof. Das ist deutlich übertrieben. Aber: Wir als Stadt müssen uns darum kümmern, dass auch bezahlbare Wohnungen entstehen. Das macht nämlich fast niemand außer uns. Letztlich verstehen deshalb hoffentlich auch viele Bürger, dass wir da nicht nachlassen können. Wir stellen derzeit Weichen weit über die Zeit hinaus, die ich in dieser Stadt Oberbürgermeister sein werde. Deshalb ist es entscheidend, was wir jetzt anpacken: Wohnungen bauen, den öffentlichen Nahverkehr verbessern, Schulen bauen.
Viele schimpfen da: Alles für die Zuzügler!
Viele Zuzügler können sich teure Wohnungen leisten. Was haben wir denn: florierende, tolle Unternehmen, die nach München kommen, richtige Weltkonzerne. Deren Mitarbeiter verdienen im Schnitt gut. Diese Menschen werden keinen Druck auf den Markt für bezahlbare Wohnungen machen, denn sie werden auch so eine Wohnung finden. Nein, wir bauen bezahlbare Wohnungen für Münchner, die zum Beispiel eine Familie gründen und eine größere Wohnung brauchen. Und auch, um zu erreichen, dass die Mieten nicht endgültig ins Unerschwingliche steigen. Das ist der Grund. Dass die Menschen dort, wo gebaut wird, nicht gerade Luftsprünge machen, verstehe ich natürlich. Aber als OB Verantwortung für eine Stadt übernehmen, heißt auch, Entscheidungen zu treffen, die nicht immer alle richtig finden.
Kommen wir zum Thema Luftreinhaltung. Die Grünen kritisieren, dass da inzwischen Stillstand eingetreten ist.
Das finde ich zumindest seltsam, dass das die Partei sagt, die selbst 20 Jahre lang Teil der Stadtregierung war. Aber manche Dinge lassen sich eben nicht einfach so von heute auf morgen regeln.
Bei der Elektromobilität geht aber wirklich nichts vorwärts.
Das liegt aber nicht an der Stadtverwaltung. Wir haben sogar meines Wissens als einzige Kommune eine aktive Förderung betrieben: 30 Millionen Euro für Elektroautos und die dazugehörige Ladeinfrastruktur. Schade ist nur, dass die Kunden diese Fahrzeuge nur sehr zögerlich kaufen wollen – selbst mit Förderung.
Woran liegt’s?
Das liegt sicher auch daran, dass diese Autos nicht ganz billig sind. Diesen Ball muss man den Herstellern zuspielen. Und es liegt daran, dass es bei jeder neuen Technik immer Anlaufschwierigkeiten gibt. Das ist diese Henne-Ei-Diskussion: Braucht es jetzt erst Elektroautos oder erst Ladestationen? Wir fördern deswegen parallel beides.
Haben Sie nicht aufs falsche Pferd gesetzt?
Es geht langfristig wohl kein Weg an der Elektromobilität vorbei. Aber dieses Ziel vom Bund, bis 2020 eine Millionen Elektroautos auf die Straße zu bringen, wird sich nicht so leicht verwirklichen lassen. Man muss den Menschen erst mal die Sorge nehmen, dass man mit E-Fahrzeugen irgendwo auf offener Strecke stehenbleibt, weit und breit keine Ladestation in Sicht. Dass die Autos jetzt doppelt bis dreifach so viel Reichweite haben wie bei der Markteinführung, das wird nicht wirklich wahrgenommen.
Wie kriegen wir dann den Feinstaub weg, wenn es mit der Elektromobilität nicht so schnell klappt?
München hat kein Problem beim Einhalten der Grenzwerte für Feinstaub. Was uns Sorgen bereitet, sind die Überschreitungen bei Stickstoffdioxid. Ich finde es deshalb vernünftig, dass das Bundesumweltministerium über eine wie auch immer farbige Dieselplakette nachdenkt und gerade aktuell dazu einen erneuten Vorstoß unternommen hat. Denn wenn schon Zufahrtsverbote, dann doch für die Fahrzeuge, die den Schadstoff hauptsächlich ausstoßen. Das erschiene mir ausgewogener als pauschale und undifferenzierte Fahrverbote. Aber ob es zu diesen Rechtsänderungen kommt, werden wir sehen.
Und was passiert 2017 bei der dritten Startbahn?
Es macht keinen Sinn, da jedes Jahr aufs Neue darüber zu spekulieren. Die Zahlen haben sich sicher verändert – aber ob sie sich so verändert haben, dass es eine dritte Startbahn braucht, werden wir sehen. Ich habe immer gesagt, dass über einen Zeitraum von mehreren Jahren die Zahl der Starts und Landungen signifikant steigen muss und dass wir erst dann gegebenenfalls die Bürger erneut befragen. Ohne Bürgerentscheid geht das mit mir nicht.
Was ist denn signifikant?
Ich werde da jetzt nicht irgendwelche Zahlen in den Raum stellen.
Eine letzte Frage zum Schluss: Sie dürfen dieses Jahr den neuen Bundespräsidenten mitwählen? Wird das ihr persönliches Highlight?
Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, als mich die Landtagsfraktion gefragt hat. Das ist sicher etwas, das sich nicht so oft wiederholen wird. Und dass ich auch noch einen Sozialdemokraten wählen darf ... ich habe Frank-Walter Steinmeier als unglaublich sympathischen Menschen kennengelernt. Das werden sicher ein, zwei interessante Tage in Berlin.