Architektur in München: „Ich wünsche mir mehr Mut von allen“
Der Chef der Architektenkammer mahnt an, nicht vorschnell zu urteilen. „In vielen Fällen lohnt sich ein zweiter Blick“.
München - Als „langweilige, mutlose, gesichtslose Einheitsbauten“ beschimpft AZ-Chefredakteur Arno Makowsky die Münchner Wohnungsbauten der letzten Jahre.
Zahlreichen Münchnern spricht er damit aus der Seele, das belegen die vielen Leserbriefe, die die AZ erreicht haben. Architektur geht uns eben alle an. Wegschauen ist nicht nur unmöglich, sondern auch nicht erwünscht, und das ist gut so. Auch ich gebe zu: Nicht alles, was um mich herum entsteht und entstanden ist, ist schön anzusehen. Doch ganz so schnell sollten wir mit unseren Urteilen dann doch nicht sein.
Ein zweiter Blick würde sich in vielen Fällen lohnen: Einer, der hinter die „Schuhschachtel-Fassaden“ schaut und sich auf die Grundrisse konzentriert, die unseren heutigen Lebensentwürfen entsprechen und im besten Fall künftige Lebensumstände schon vorsehen.
Ein Blick auch, der die energetischen Qualitäten eines Hauses wahrnimmt, die heute ganz selbstverständlich umgesetzt werden. Es ist die Aufgabe der Architekten, ökonomische Vorgaben, ökologische Ansprüche, durch Regelwerke und Normen definierte Vorgaben und nicht zuletzt berechtigte Wünsche der Bauherren beziehungsweise den antizipierten Geschmack der zukünftigen Nutzer unter einen Hut zu bringen. Und zwar in einer Stadt, in der die Grundstückspreise so hoch sind, wie an keinem anderen deutschen Ort. Das ist nicht leicht.
Lesen Sie hier den Debattenbeitrag von Architekt Stephan Braunfels: „Die banalste Stadt Europas“
Erinnern Sie sich noch an den Entwurf der Werkbundsiedlung auf dem Gelände der ehemaligen Luitpold-Kaserne? Er wurde nicht realisiert. Die Bereitschaft, die bekannten, funktionierenden Wege zu verlassen und Neues zu wagen, brachten Stadt und Bauträger damals, im Jahr 2007, nicht auf.
Natürlich wissen wir nicht, wie gut das damals vom japanischen Architekten Sakamoto entworfene Wohnviertel uns heute noch gefallen würde.
Den Mut, der damals nicht bewiesen wurde, den wünsche ich mir jedoch. Und zwar von der Stadt, von den Bauherren, natürlich aber auch von uns Architekten. Mut der Bauträger, den Nutzern mehr zuzutrauen.
Mut der Stadt, Baukultur ebenso einzufordern wie Bruttogeschossfläche und energetische Kennzahlen. Mut jedoch auch der Architekten, noch radikaler und überzeugender auf Mögliches hinzuweisen und Banales abzulehnen.
Fassadendekoration à la Hundertwasser wird unsere Stadt auf Dauer nicht lebenswerter machen.
Das wird nur eine lebendige, durchmischte Stadtgesellschaft leisten können, in der alle bereit sind, die gewohnten Sichtweisen zu verlassen.
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