Angehörige von Demenzkranken: Wie in München geholfen werden kann

Wenn Vater, Mutter oder Lebenspartner an Demenz erkranken, ist die Belastung für Angehörige oft enorm. Die AZ hat Betroffenen zugehört - und sagt, wo es Hilfe gibt.
Nina Job
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Zwei Drittel aller Demenzerkrankten leben zu Hause und werden von Angehörigen gepflegt.
Zwei Drittel aller Demenzerkrankten leben zu Hause und werden von Angehörigen gepflegt. © imago images/Martin Wagner

München - Drei Männer und zwei Frauen sitzen im Johanniter-Campus in Obersendling im Kreis. Sie reden sich von der Seele, wie es ihnen geht. Sie hören einander zu und geben sich Tipps.

Alle haben Angehörige, die an Demenz erkrankt sind. Zwei Drittel aller Demenzerkrankten leben laut Bundesamt für Familie zu Hause - und werden dort von Partnern oder Verwandten gepflegt. Bei den Johannitern können sich Angehörige einmal im Monat, immer montags, zu einer offenen Gesprächsrunde treffen. Angeleitet wird der Abend von der Gerontologin Elisabeth Feustel. Beim Novembertreffen durfte die AZ dabei sein.

Deprimierende Situation für Angehörige: "Man sitzt da und kann nichts machen"

"Sie ist praktisch nicht mehr da. Meine Mutter gibt es nicht mehr. Ich habe mich erst einmal einfinden müssen, dass ein Mensch, der sein Leben lang alles selbstständig gemacht hat, jetzt nichts mehr kann", berichtet Stefan (alle Namen geändert). Seine Mutter lebt in einem Pflegeheim, wo er sie oft besucht. Doch die Besuche deprimieren ihn. Seine Mutter reagiert kaum noch auf Fragen.

"Man sitzt da und kann nichts machen", sagt Stefan. "Ich sitze im Sessel gegenüber. Mal kommt was, meistens kommt nichts. Sie ist praktisch nicht mehr da. Meine Mutter gibt es nicht mehr", erzählt er mit ruhiger Stimme. "Das liegt auf der Seele. Ich fahre wieder heim und das ist halt jetzt mein Leben. Der Begriff des Gegenübers fällt quasi aus."

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Schwerer Schritt für viele Angehörige ihre Liebsten in ein Pflegeheim zu geben

Das macht auch den anderen zu schaffen. Peter kämpft immer noch mit sich, weil er und seine Frau irgendwann entschieden hatten, dass es für alle besser ist, wenn sein kranker Vater und die kranke Mutter seiner Frau in einem Pflegeheim leben. Bis jetzt empfindet er das auf eine Art, als habe er versagt.

Sein Vater ist mittlerweile verstorben. Die Mutter seiner Frau besucht das Ehepaar nach wie vor regelmäßig. "Wie kommuniziert man, wenn kaum etwas zurückkommt?", fragt Peter die Gruppe. Was, wenn die Schwiegermutter eigentlich nur noch sagt, dass sie nach Hause will? Auf Fragen aber nicht antwortet. "Da redet man in den Wind", sagt er. "Da kommt man sich so hilflos vor." Peter fühlt sich oft leer.

Viele Pflegende mit Situation überfordert 

Stefan gibt den Tipp, sehr gezielt Fragen zu stellen, nie allgemeine. Elisabeth Feustel rät allen, lieber öfters kürzere Besuche zu machen als lange. Am Ende seiner Kraft ist Fritz. Der Rentner pflegt seine Lebensgefährtin zu Hause, Tag und Nacht, rund um die Uhr. "Ich bin im eigenen Überlebensmodus", sagt er. Ständig würden neue Probleme dazukommen. Zuletzt war's der Fernseher, der kaputtgegangen war. Ein Riesenproblem, denn seine Lebensgefährtin besteht darauf, dass er immer läuft. Kopfhörer aufzusetzen, weigert sie sich.

Fritz hofft darauf, dass er im nächsten Jahr eine Reha machen kann. Als er gefragt wird, ob allein oder mit seiner Lebensgefährtin, bricht es aus ihm heraus: "Allein!" Elisabeth Feustel wird ihm dabei helfen, einen Rehaplatz zu bekommen und sicherzustellen, dass seine Lebensgefährtin in dieser Zeit gepflegt wird.

Familiensystem kann durch Pflege belastet werden 

Mit Abstand die Jüngste in der Runde ist an diesem Tag Lisa. Die sportliche Frau ist Anfang dreißig, sie arbeitet Vollzeit, trotzdem kümmert sie sich intensiv um ihre kranke Mutter, die zusammen mit dem Vater in einer anderen Stadt lebt. "Meine Mutter kann sich nicht mal mehr ein Butterbrot schmieren", berichtet sie. Auch Lisa erzählt, wie schwer es für sie war, zu akzeptieren, dass die Mutter nicht mehr ist wie früher. Dass sie nicht mehr zurückkommt, wie sie es nennt. "Sie antwortet nicht mehr und ich erwarte es nicht mehr", sagt Lisa.

Ihr Vater stehe kurz vor einem Burnout, er arbeite extrem viel. Lisa hat alles organisiert für ihre Mutter: Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine polnische Pflegerin, Tagespflege, Ergotherapie, sogar einen Yogakurs. Anerkennung bekomme sie dafür von der Familie kaum. Sie empfindet es so, dass die Familie immer mehr auseinanderdriftet. Elisabeth Feustel vermittelt ihr, dass ihre Familie keine Ausnahme ist: "Das gibt es sehr oft, dass das Familiensystem sehr belastet ist", sagt sie.

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Partner entwickelte nach Demenz-Diagnose seiner Frau eine Depression

Wie bei Lisa leben auch die Eltern von Maria in einer anderen Stadt. Sie sind 87 und 93 Jahre alt. Als die Mutter an Demenz erkrankte, habe der Vater eine Depression entwickelt. Nun bekomme er Tabletten, seitdem gehe es besser. "Telefonieren kann meine Mutter nicht mehr. Ich fahre alle paar Wochen hin", erzählt Maria.

Gerade beschäftigt sie, ob sie wieder neue Hörgeräte für die Mutter kaufen soll. Einmal hatte sie die Geräte in der Waschküche im Keller verlegt, dann lagen sie im Mülleimer. Bei ihrem letzten Besuch suchte Maria wieder alles ab. Doch dieses Mal blieben die Geräte unauffindbar. Soll sie neue kaufen? Wieder 2000 Euro ausgeben? Die Mutter wollte sie eh nicht tragen - weil der Vater oft so schimpft, sagt Maria.

Hörgeräte können das Fortschreiten der Demenz verlangsamen 

Auch Fritz treibt das Thema Hörgeräte um. Seine Lebensgefährtin bräuchte ebenfalls welche, "aber sie weigert sich. Ich kann sie ja nicht zwingen". Dabei können Hörgeräte das Fortschreiten der Demenz verlangsamen, informiert Elisabeth Feustel über jüngste Forschungsergebnisse. Stefan sagt zu den anderen, er habe seine Mutter zum Tragen motiviert, indem er nur die Lippen bewegt und nicht gesprochen habe. Da sie ihn offenbar verstehen wollte, habe sie die Hörgeräte eingesetzt. Ein kleiner lebenspraktischer Trick, die anderen lächeln.

Eineinhalb Stunden sitzt die Gruppe in dem hellen Raum zusammen. Die Frauen und Männer geben einander das Gefühl, sich zu verstehen, sie stützen sich gegenseitig. Gegen Ende des Treffens bittet Elisabeth Feustel alle noch, von etwas Schönem zu erzählen, das sie mit der zu pflegenden Person erlebt haben.

Trotz schwierigem Alltag gibt es auch Lichtblicke für die Pflegenden 

Fritz berichtet, wie die Augen seiner Lebensgefährtin gestrahlt haben, als er mit einem neuen Fernseher ankam. Stefan erzählt, dass er Dankbarkeit gespürt habe von seiner Mutter. So ging es auch Maria: Ihre Eltern hätten sich sehr gefreut, weil ihnen das Essen so gut schmeckte. Und Lisa berichtet, dass sie ihre Mutter mit in ein Konzert genommen hat und stundenlang mit ihr spazieren war. "Sie war so glücklich!", erzählt sie.

Elisabeth Feustel bestärkt die Teilnehmer darin, Ressourcen zu nutzen: "Schauen Sie, was da ist!", gibt sie ihnen mit auf den Weg. Dann löst sich die Runde auf. In ein paar Wochen wird wieder ein Treffen stattfinden. So belastet jeder Einzelne auch ist, Elisabeth Feustel gewinnt der Situation trotzdem Positives ab. "Es ist schön zu sehen, dass es Menschen gibt, die das alles auf sich nehmen. Aus Liebe."


In München gibt es viele Treffen für pflegende Angehörige. Das nächste der Johanniter für Sendling findet am 16. Januar statt. Anmeldung: 089/ 124 73 44 181

Hilfsangebote

Fachstellen für pflegende Angehörige in München:

  • Johanniter: 1247344181
  • Caritas: 31606310
  • Moosach: 14989713
  • West: 8299200
  • Parität: Wohlfahrtsverband: 2420778-208
  • Diakonie: 126991-437
  • Dein Nachbar e.V.: 96040400
  • AWO: 66616330
  • Malteser: 43608-530
  • Alzheimer Gesellschaft: 475185
  • Münchenstift: 62020-317
  • Carpe Diem: 2000767
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