Ab Dienstag: Sonderausstellung im NS-Dokuzentrum

München - Die Tante wurde zwangssterilisiert und ermordet, der Schwiegervater war Nazi-Arzt: In der Familie des Malers Gerhard Richter sind Opfer und Täter vereint. Eine Ausstellung im NS-Dokuzentrum München befasst sich mit der mörderischen "Rassenhygiene" der Nazis. Tante Marianne zum Beispiel. Als Gerhard Richter seine Tante von einem Foto aus den 1930er Jahren abmalte, wusste er noch nicht, dass sie als "Geisteskranke" Euthanasie-Opfer der Nazis geworden war. Auch bei dem zuvor in Öl gebannten Urlaubs-Schnappschuss "Familie am Meer" ahnte er nicht: Sein lachender Schwiegervater auf dem Foto war als Chef der Städtischen Frauenklinik in Dresden an Hunderten Zwangssterilisationen beteiligt.
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Richters Tante Marianne Schönfelder war eine von mehr als 200.000 Kranken und Behinderten, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Bis zu 400.000 Betroffene wurden zwangssterilisiert. Die Sonderausstellung "erfasst, verfolgt, vernichtet" im NS-Dokumentationszentrum München beleuchtet die Schicksale derjenigen, die nach der Nazi-Ideologie als "unwertes Leben" und Belastung der "Volksgemeinschaft" galten.
Ausstellung bis Ende Juni zu besichtigen
Die Ausstellung stelle Bilder der Täter und Opfer bewusst ohne Uniform oder Anstaltskleidung gegenüber, erläuterte der Leiter der Ausstellung, Frank Schneider, am Montag zur Eröffnung. Der damalige Psychiater Friedrich Panse etwa ist zu sehen in rheinländischer Karnevalskluft. Panse und sein Kollege Friedrich Mauz waren in der Nazizeit T4-Gutachter, die anhand von Meldeböden über das Schicksal Kranker und Behinderter entschieden. Nach dem Krieg waren sie Präsidenten psychiatrischer Fachgesellschaften - und Ehrenpräsidenten.
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Erst später wurden sie ausgeschlossen. Die Verbrechen seien viel zu lange verschwiegen worden, sagte nun Schneider, selbst Ex-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Wichtig sei nun, dass die Erinnerung wach gehalten werde. "Wer schweigt, macht sich mitschuldig."
Auch Richters Familiengeschichte kam erst vor Jahren durch die Recherchen eines Journalisten vollends ans Licht, wie Schneider berichtete. Er zitiert den Maler, der seine unbewusste Motiv-Auswahl mit den Worten kommentierte: "Meine Bilder sind klüger als ich." Die Ausstellung war an vielen Orten in Deutschland sowie in Wien, Toronto und Osaka zu sehen und soll 2017 nach Haifa reisen.
"Erfasst, verfolgt, vernichtet" - Sonderausstellung im NS-Dokumentationszentrum München | 5. April bis 26. Juni 2016