4600 Kinder, aber kein Kinderarzt: So will München Abhilfe in der Messestadt schaffen

Jenseits des Stadtzentrums ist es um die Ärzte-Versorgung schlecht bestellt. Die Stadt München versucht, mit Gesundheitszentren Abhilfe zu schaffen. Die AZ hat eines davon in Riem besucht.
Christina Hertel |
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Insgesamt vier Gesundheitszentren gibt es in München. Bald kommt ein Fünftes dazu.
Insgesamt vier Gesundheitszentren gibt es in München. Bald kommt ein Fünftes dazu. © Daniel von Loeper

München - München ist eine reiche Stadt. Aber nicht überall. In der Messestadt Riem können die Bewohner im Schnitt nicht einmal die Hälfte für Konsum ausgeben verglichen mit denen, die in der Altstadt wohnen. Rund 43.000 Euro bleibt den Menschen dort, wenn sie ihre Miete und Versicherungen bezahlt haben. In der Messestadt sind es bloß 18.000 Euro.

Wahrscheinlich sind diese Menschen nicht nur weniger reich als die im Münchner Zentrum, sondern auch weniger gesund. Verschiedene Studien zeigen: Wie viel Geld Menschen verdienen, hat einen Einfluss darauf, wie gesund sie sind und wie lange sie leben.

Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts hatten Frauen in ärmeren Wohnregionen zuletzt eine um 4,3 Jahre kürzere Lebenserwartung als jene in den wohlhabendsten Gegenden. Bei Männern lag der Unterschied sogar bei 7,2 Jahren.

In einigen Stadtvierteln lassen sich weniger Ärzte nieder

Das Problem ist nur: In Vierteln wie der Messestadt, aber auch im Hasenbergl und in Neuperlach lassen sich weniger Ärzte nieder. Zum Beispiel gab es in der Messestadt bis vor Kurzem keinen einzigen Kinderarzt, obwohl dort um die 4600 Kinder leben. Das heißt: Die Gesundheitsversorgung ist dort besonders schlecht, wo eigentlich dringend Ärzte gebraucht werden.

Die Stadt versucht deshalb auf eine eigene Faust, die Lage zu verbessern – mit sogenannten Gesundheitstreffs. Insgesamt gibt es davon vier – in Riem, Moosach, Neuperlach und dem Hasenbergl.

In Freiham soll es auch bald einen geben, allerdings erst, sobald die Räumlichkeiten fertig sind. Doch was ist ein Gesundheitstreff überhaupt? Um das zu verstehen, hat die AZ den in Riem besucht.

"Willkommen" steht in allen möglichen Sprachen am Eingang. Bestimmt 70 Prozent der Patienten, die hierherkommen, haben einen Migrationshintergrund, sagt Annette Gröger, die Chefin aller Gesundheitstreffs in München. Sie und Daniela Schober, die Leiterin des Riemer Gesundheitstreffs, wollen der AZ alles zeigen.

Daniela Schober (r.) und ihr Team nehmen sich Zeit für die Menschen, die zu ihnen kommen.
Daniela Schober (r.) und ihr Team nehmen sich Zeit für die Menschen, die zu ihnen kommen. © Daniel von Loeper

"Wir therapieren nicht. Wir nehmen uns Zeit"

Wenn man reinkommt, sieht alles nach einer Arztpraxis aus: Viel weiß, mit einem Tresen, wo man sich anmelden muss.

Doch nur darum, ein Rezept zu bekommen, wenn man eine Erkältung hat, geht es beim Gesundheitstreff nicht. "Wir therapieren nicht", sagt Schober. Vielmehr gehe es darum, zu den richtigen Stellen zu vermitteln – und sich Zeit zu nehmen. "Das ist das große Pfund, das wir haben", meint sie.

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Wenn man sich mit den Patienten unterhalte, stoße man auf das eigentliche Problem, das sie haben. Oftmals sei die Krankheit nur ein Problem von vielen.

Deshalb arbeiten in dem Gesundheitstreff auch zwei Sozialpädagogen. Auch mit dem Jobcenter arbeitet der Gesundheitstreff zusammen. Denn oftmals müssten Menschen erst einmal gesund werden oder abnehmen, bevor sie einen Job anfangen können.

Das bieten die Gesundheitstreffs alles

Prävention – also Gesundheits- und Ernährungsangebote – spielen in dem Treff auch eine große Rolle. Schober verteilt auf einem Tisch jede Menge Flyer, was der Gesundheitstreff noch alles anbietet: ein Selbsthilfe-Café, Beratung für Menschen mit Suchtproblemen, für Eltern, für Kinder mit Übergewicht. Eine Kinderkrankenschwester bietet Hausbesuche an. Und auch eine Kinderärztin arbeitet in dem Gesundheitstreff.

70 Prozent der Patienten, die hier her kommen, haben einen Migrationshintergrund. Bei vielen gehen die Probleme viel tiefer als die eigentliche Krankheit.
70 Prozent der Patienten, die hier her kommen, haben einen Migrationshintergrund. Bei vielen gehen die Probleme viel tiefer als die eigentliche Krankheit. © Daniel von Loeper

Die Menschen, die hierherkommen, haben schon oft erlebt, dass sie auf einen Termin beim Arzt lange warten müssen, sagt Schober. Hier sei das anders. Wenn der Gesundheitstreff aufhat, kann man immer kommen.

Der frühere Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte eigentlich vor, so ein Angebot in ganz Deutschland zu etablieren – bloß unter einem anderen Namen: Gesundheitskioske hieß das Ganze bei ihm. Damit hätte die Stadt München schneller in den Ausbau der Gesundheitstreffs gehen können, heißt es vom Gesundheitsreferat. Jetzt muss die Stadt die fünf Gesundheitstreffs, von denen einer etwa 400.000 Euro im Jahr kostet, aus eigenen Mitteln zahlen – zumindest zum Teil. Die AOK gibt für die kommenden vier Jahre einen Zuschuss von 2,5 Millionen Euro. Die gesamten Kosten deckt das allerdings nicht.


Der Gesundheitstreff Riem befindet sich an der Willy-Brandt-Allee 44, Öffnungszeiten sind Mo, Mi, Do von 9 bis 15 Uhr, Di 9 bis 17 Uhr, Fr 9 bis 12 Uhr

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