Berlins wohl bunteste Oase
Berlin - Kein Radau. Kein Müll. Keine Schmierereien. Kein Alkohol. Keine Hunde und damit auch keine Tretminengefahr. Gibt es nicht im extrem liberalen Berlin, wo jeder jederzeit und überall tun und lassen kann, was er will? Gibt es doch! Nur 20 Autominuten vom Alexanderplatz und ausgerechnet zwischen den zu Unrecht schlecht beleumundeten Ostberliner Plattenbaubezirken Marzahn und Hellersdorf existiert solch ein wundervoller Ort, an dem diese erfreulichen Begleitumstände sozusagen gesetzlich verankert sind. Und die dem Besucher damit ermöglichen, sich ungestört ins Eigentliche zu vertiefen: die „Gärten der Welt“ im Erholungspark Marzahn.
Eine beispiellose Kollektion von acht Gärten verschiedener Völker und Kulturen, die seit 1995 auf einer riesigen Brache nach und nach entstanden. Im Oktober 2000 wurde der erste eröffnet und sofort schlagartig zu einer Attraktion: Denn der „Garten des wiedergewonnenen Mondes“ ist mit 2,7 Hektar nicht nur Europas größte chinesische Anlage dieser Art, er entstand zudem nach einem Plan des Pekinger Instituts für klassische Gartenarchitektur und ist somit authentisch bis zum letzten Nagel.
Chinesische Weisheit: Ein Stein muss mager und faltig sein
Die Gartendesigner aus Nordchina sorgten nicht nur für penible Planung und akkurate Ausführung, sie transportierten auch sämtliches Material - sperrige Felsen und fragile Möbel - in 100 Seecontainern aus ihrer Heimat nach Berlin. Verschlüsselt, wie in China üblich, steckt im Namen des Gartens übrigens auch eine Botschaft: Der wiedergewonnene Mond steht für die Wiedervereinigung der früher geteilten Stadt.
Mittelpunkt ist ein 4500 Quadratmeter großer See, der in eine reich bepflanzte Hügellandschaft eingebettet ist und mit verschiedenen Gebäuden, Brücken und Mauern umgeben wurde. Als zentrales Bauwerk dominiert an seinem Ufer das „Berghaus zum Osmanthussaft“ - ein stattliches Teehaus, das über Uferwege und eine Zickzackbrücke mit der „Stube des heiteren Wetters“, dem „Pavillon des ruhigen Mondscheins“ und dem Steinboot „Blick auf den Mond“ verbunden ist - letzteres übrigens ein prachtvolles und höchst populäres Plätzchen für Trauungen.
„Ein Stein muss mager sein und faltig wie ein Hundertjähriger“ - diesem uralten Grundsatz folgten die Experten, indem sie fantastisch geformte Felsen und Steine als Sinnbild von Kraft und Schönheit in den Garten integrierten. Aber auch die Flora hat hier Symbolcharakter: So stehen Chrysanthemen für ein langes Leben, weil sie erst dann blühen, wenn alle anderen Blumen schon verwelkt sind. Und Magnolien sind der weiblichen Schönheit, Reinheit und Süße geweiht. Und so gilt der sich biegende, aber nicht brechende Bambus als Zeichen für Anpassungsfähigkeit. Kiefern symbolisieren hingegen Männlichkeit, aber auch langes Leben und große Erfahrung.
An der Gestaltung des japanischen Gartens war ein Zen-Priester beteiligt
Ebenso akribisch-professionell wie bei der Ausgestaltung des Gartens geht es im Tee-haus zu. Dort kann man nicht nur 30 verschiedene Sorten grünen Tee probieren, dort zelebriert die Tee-Künstlerin Yali Yu auch die wahrhaft zeremonielle Zubereitung des aromatischen Getränks. Immerhin ein Kulturgut, das die Chinesen seit 5000 Jahren als Heilmittel, Meditationshilfe und Lebenselixier überaus schätzen. In mehrjähriger intensiver Ausbildung lernen Meister wie Yali Yu alles über den kunstvollen Weg zum Ziel: vollendeter Geschmack und purer Genuss.
Auch der 2003 als Nächstes folgende japanische „Garten des zusammenfließenden Wassers“ ist nicht einfach nur eine schlichte Gartenanlage. Hier haben jedes Steinchen und jeder Wassertropfen eine philosophisch-religiöse Bedeutung. So war denn auch, wie in Japan üblich, ein Zen-Priester bei seiner Gestaltung maßgeblich beteiligt: Denn japanische Gärten sind in bester Tradition zum einen Freilichtkirchen, zum anderen Orte des Schweigens und Betrachtens, in der die künstlich geschaffene Natur die reale an Schönheit und Ausstrahlung übertreffen soll.
Großzügiges Geschenk der Stadt Seoul ist der Koreanische Garten mit naturnaher Landschaft, Pavillon und grinsenden Totempfählen, die nicht nur bei Kindern ausgesprochen populär sind. Der orientalische „Garten der vier Ströme“ wiederum gleicht einem Hof im Stil der Alhambra mit Wasserspielen und Palmen hinter blau-weiß gekachelten Mauern. Er entspricht in seiner Gestaltung als umschlossener, durch vier Ströme gegliederter Gartenraum symbolisch der Idee des Paradieses, wie sie sich im Alten Testament oder im Koran findet.
Ein tropisch-exotischer Balinesischer Garten im Gewächshaus, ein italienischer Renaissance-Garten, ein Staudengarten, ein Irrgarten aus übermannshohen Eibenhecken und als jüngster Neuzugang ein Christlicher Garten komplettieren die einzigartige Marzahner Gartenwelt. Auf der riesigen Anlage lässt sich mühelos ein ganzer Tag verbringen. Neben den acht Gärten schätzen die mehr als ein halbe Million Besucher pro Jahr aber auch die vielen reizvollen Park-Accessoires entlang der Wege: Bäume, Sträuchergruppen, Blumenrabatten, Weiher, Wasserspiele, Märchenfiguren. Am schönsten - das hat der Selbstversuch gezeigt - ist es bei wenig Betrieb unter der Woche. Mit Decke, Picknickkorb und Buch bewaffnet auf einer Liege an einem versteckten Plätzchen in der Sonne faulenzen: Auch dafür ist dieses Fleckchen Erde schlicht und einfach zauberhaft.
Anreise
Per Bahn, Flugzeug (z. B. Air Berlin oder Lufthansa) oder Auto nach Berlin. Mit dem Auto bis zur Eisenacher Straße (Parkplätze vorhanden); oder mit der S 7 bis Marzahn/Bus 195 bzw. mit der U 5 Hellersdorf/Bus 195. Am Wochenende auch S 7 Mehrower Allee/Bus X69.
Infos und Öffnungszeiten
Gärten der Welt/Erholungspark Marzahn, Eisenacher Straße 99, 12685 Berlin, Telefon 030 / 7 00 90 66 99, www.gruen-berlin.de
Geöffnet April bis September täglich 9 bis 20 Uhr
Eintritt 3 Euro (Erwachsene), 1,50 Euro (ermäßigt)
Führungen
Park: Di. bis Fr. 11 und 14 Uhr (5 Euro); einzelne Gärten: Für Gruppen nach telefonischer Voranmeldung
Teekunst-Vorführung: Anmeldung bei Frau Yali Yu, Telefon 01 79 / 3 94 55 64.
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