Alle reden sie vom Wetter

Kaum am Ferienort angekommen, werden wir sogleich unfreiwillig zu Hobbymeteorologen.
Adrian Lobe |
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Mal ist es zu kalt, mal zu warm, mal zu nass, mal zu trocken: das Wetter. Ständig lamentieren wir über die Launen der Natur. Irgendwie, so scheint es, kann man es uns nie recht machen. Der einzige Weg, den Verdruss zu überwinden, heißt: Urlaub. In der wohlverdienten Auszeit wollen wir einfach nur entspannen und an nichts denken. Schon gar nicht an die Kapriolen des Wetters. Die könnten uns ja schließlich die Urlaubsstimmung verhageln. Doch siehe da: Auch auf Reisen unterhalten wir uns über die Wirren des Wetters. Und das, obwohl wir uns eigentlich davon lossagen wollten.

Kaum am Ferienort angekommen, dreht sich alles nur noch um die Witterungsverhältnisse. Wir fragen andere Hotelgäste, wie lange die Sonnenscheindauer zuvor gewesen war. Wir erkundigen uns, ob Niederschlag für die nächsten Tage angekündigt ist. Und wir feixen, wenn es bei uns im Hotel schön ist und zu Hause regnet. Eine Genugtuung. Quietschvergnügt schlendert man durch die Lobby und ruft dem Zimmernachbarn zu: „Ach ja, übrigens, über Deutschland liegt ein Tief.“ Da schmeckt der Cocktail gleich noch besser. Doch so richtig können wir den Urlaub gar nicht genießen. Die Gedanken kreisen permanent um Temperatur, Niederschlag, Luftdruck, Feuchtigkeit, Windstärke und so weiter und so fort. In den Ferien werden wir unfreiwillig zum Wetterfrosch.

Dabei kann sich die Expertise der Hobbymeteorologen durchaus sehen lassen. Bauernregeln gesellen sich zu jahrelanger Ortskenntnis und Pfadfindertugenden. Alsbald wird der angefeuchtete Finger in die Luft gereckt, die Wölbung des Joghurtdeckels geprüft und der Himmel mit dem Fernstecher inspiziert. Kündet der Wolkentyp von Niederschlag? Wetterleuchten am Horizont? Droht nach Vollmond gar ein Wetterumschwung? Fragen über Fragen. Und das Tolle: Jeder kann mit fachsimpeln.

John Serale, ein Wissenschaftler aus den USA, hat einmal gesagt, Wettergespräche gehörten zur niedrigsten Form der Kommunikation. So eine Art billiger Small Talk. Nach dem Motto: Wer gar nichts zu melden hat, kann immer noch über Wind und Wetter schwadronieren. Das Problem ist nur, dass die sogenannte Sprechakttheorie in Kalifornien erfunden wurde, wo es gut 360 Sonnentage im Jahr gibt und so gut wie nie regnet. Da fällt einem die Kreativität schon etwas schwer. So eintönig wie das Wetter sind die Gedanken. Kein Wunder, dass Sprechen zum Akt wird.


Eigentlich sollte man froh sein, dass sich das Wetter zur seichten Unterhaltung eignet. Das Thema ist neben Fußball und Essensgewohnheiten der Gesprächsöffner schlechthin. Die Feststellung „Schön warm heute, was?“ ist eine Binsenweisheit, die von jedermann artikuliert und an jedermann adressiert werden kann. Der Inhalt ist zwar so bedeutsam wie die Aussage, man esse gern Spaghetti. Doch darauf kommt es nicht an. Es geht um Empathie und Zuneigung. Etwa mit Blick auf die Schweißperlen des beleibten Barbesuchers oder den knappen Bikini der Strandschönheit. Wem es da mal nicht zu heiß wird.

Einen kühlen Kopf kann nur der Wetterfrosch behalten. Er hat nicht nur ein feines Näschen für Niederschlag, sondern auch für menschliche Befindlichkeiten. Hobbymeteorologen gehören zum Typ „Ich habe für alles und jeden Verständnis“. Jemand, der in delikaten Situationen auch mal „gut Wetter“ machen kann. Zum Beispiel, wenn der Nachwuchs nörgelt oder die Gummistiefel im Gepäck vergessen wurden. Da können Feingefühl und Humor schon mal für Aufhellung sorgen.

Wenn es aber unablässig wie aus Kübeln gießt, steht auch der Wetterfrosch ziemlich bedröppelt da. Flotte Sprüche helfen dann nicht mehr, sondern nur noch Technik und Raffinesse. Was sagt man bloß den Bekannten zu Hause? Findige Geister wissen sich zu helfen: Wolken werden kurzerhand mit Photoshop retuschiert, Nebel zum El-Niño-artigen Wetterphänomen (v)erklärt und verregnete Tage schlicht verheimlicht. Man kann so wortreich über seinen Urlaub fabulieren, dass es fast schon literarischen Ansprüchen genügt. Von wegen simpel und flach! Wozu hat man schließlich Sprache? Urlaubsberichte sind die höchste Form der Kreativität. Und mal ganz ehrlich: Wer will schon zugeben, dass der Urlaub ins Wasser fiel?

Ob es Petrus nun gut oder schlecht mit uns meinte – insgeheim freuen wir uns doch auf die Rückkehr nach Hause. Dort erwarten uns vier Jahreszeiten mit abwechslungsreichen, nie vorhersehbaren Ereignissen. Und das ist das Schöne. Wenn der Schwabe über das „Drecksweddr“ zetert, die „Bild“- Zeitung von einem „Saugust“ spricht und der Sommer vom Wetterdienst als „Flop“ verkauft wird, als handele es sich um eine Fehlinvestition, dann sorgt das irgendwie auch für Erheiterung. Wenn nicht schon am Himmel, so doch bei den Gemütern.

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