Ein Lokführer erzählt: Er musste vier Selbstmorde miterleben

Vier Mal Horror: So oft musste Lokführer Thomas Mühlhausen Selbstmorde auf dem Gleis miterleben. Heute betreut er Kollegen mit gleichen Erfahrungen
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Er spricht über seine Erfahrungen: Thomas Mühlhausen.
Er spricht über seine Erfahrungen: Thomas Mühlhausen.

Vier Mal Horror: So oft musste Lokführer Thomas Mühlhausen Selbstmorde auf dem Gleis miterleben. Heute betreut er Kollegen mit gleichen Erfahrungen und hofft auf Hilfe für sie durch die Bahn

Frankfurt - Thomas Mühlhausen ist es vier Mal passiert. Vier Menschen hat er als Lokführer mit seinem Zug in den Tod gerissen. „Man tut alles“, sagt er. „Man bremst, man gibt Sand und trotzdem merkt man, man kann nicht weg, man kann nicht ausweichen, man kann es nicht verhindern.“ Der erste Unfall passierte dem heute 53-Jährigen 1982, der schlimmste Fall war der eines Mannes, der entlang der Gleise mit seiner Frau spazieren ging, sich plötzlich von ihrer Hand losriss und sich ins Gleis stellte. „Der Mann war selbst Eisenbahner“, sagt Mühlhausen. „Ich habe alles gesehen, mit allem Drum und Dran.“

1976 – mit 16 Jahren – fing Mühlhausen als Maschinenschlosser bei der Bahn an. Mit 19 machte er die Ausbildung zum Lokführer. Bis zum Frühjahr 1994 arbeitete Mühlhausen in dem Beruf, meist im Güterverkehr. Dann, nach dem vierten Unfall, legte ihm sein Vorgesetzter nahe, in den Innendienst zu wechseln. Bis heute ist er Disponent bei der Güterverkehrsparte der Bahn, DB Schenker Rail, außerdem Ortsgruppenvorsitzender bei der Lokführergewerkschaft GdL. Seit seinem Wechsel betreut Mühlhausen Kollegen, die in Unfälle verwickelt werden, gleich vor Ort. Zur Zeit seiner Ausbildung sei das ein Tabuthema gewesen, sagt er. „Darüber wurde nicht gesprochen.“

Heute sei das zum Glück anders. Mühlhausen besucht oft Kollegen, die einen Personenunfall hinter sich haben. „Neulich war ich bei einem, der im Dezember einen Unfall hatte, ein Mann von 150 Kilo, zwei Meter groß, der weinte wie ein Schlosshund.“ Auch wenn Thomas Mühlhausen heute sehr abgeklärt über die Vorfälle spricht, weiß er, wie traumatisierend diese Unfälle sind. 1000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr bei Personenunfällen. Pro Tag springen drei vor einen Zug. Nicht immer weiß man, ob es sich tatsächlich um einen Suizid handelte. „Meiner persönlichen Einschätzung nach sind es aber 90 Prozent“, sagt Mühlhausen. „Mir fiel es immer leichter, das zu verarbeiten, wenn ich erfuhr, der Mensch wollte sterben.“ Die Suizide sind nicht die einzige Belastung für die Lokführer: viel Nachtarbeit, völlig variable Arbeitszeiten, lange Schichten: „Das macht die Kollegen kaputt“, sagt Mühlhausen. „Bis 67 durchzuhalten, das packt kaum einer.“ Er hofft, dass es bei den Tarifverhandlungen zu einer Lösung kommt, „damit die Kollegen nicht ins Bodenlose fallen, wenn sie nicht mehr können.“

Die Frage, ob und wie Lokführer gegen ein solches Traum abgesichert werden, ist gerade das Schlüsselthema im Tarifkonflikt.

 

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