Bahner- E-Mails ausgespäht
Gewerkschaften fordern Mehdorns Rücktritt. Minister Tiefensee geht auf Distanz zu seinem Konzernchef: „Es wird ganz, ganz schwer.“
BERLIN/MÜNCHEN Was hat sich die Bahn noch alles herausgenommen, um ihre Mitarbeiter zu kontrollieren? Wie jetzt bekannt wurde, untersuchte das Unternehmen im Jahr 2005 die E-Mails sämtlicher Beschäftigten, um herauszufinden, wer mit Bahnkritikern in Kontakt war. Die Gewerkschaften Transnet und GDBA forderten am Freitag den Rücktritt von Konzernchef Hartmut Mehdorn. Bundesverkehrsminister Tiefensee rückte noch weiter als bisher von dem umstrittenen Manager ab.
Rasterfahndung von Mehdorn angeordnet?
Die neuesten Erkenntnisse übertreffen die bisher bekannt gewordenen Späh-Aktionen, also den mehrfachen Abgleich der Konto- und Adressdaten sämtlicher Bahnmitarbeiter mit denen von Lieferanten. Der Zugriff auf E-Mails ging allem Anschein nach über eine grobmaschige Untersuchung hinaus: Mails, in denen etwa Namen einzelner Journalisten auftauchten, sollen ohne Wissen der betroffenen Mitarbeiter automatisch an eine interne Kontrollinstanz weitergeleitet worden sein. Dort habe man die E-Mails geöffnet und ausgewertet, berichten Ermittler. Auch die Namen externer Verkehrsexperten und Bahnkritiker etwa aus dem Bundestag standen anscheinend auf einer internen schwarzen Liste und lösten die Kontroll-Software aus. Medien berichten, die interne Rasterfahndung sei direkt vom Vorstand angeordnet worden.
Am Freitagvormittag ließen sich die Bahn-Aufsichtsräte von den Ex-Bundesministern Gerhart Baum und Herta Däubler-Gmelin informieren. Die beiden Sonderermittler waren wegen der bereits bekannten Konten-Überprüfungen eingeschaltet worden.
Der Stuhl des Konzernlenkers wackelt heftiger denn je
Seitdem der Zugriff auf die Mitarbeiter-E-Mails bekannt ist, wackelt Hartmut Mehdorns Stuhl heftiger denn je. Der bullige Bahn-Boss hatte bisher stets behauptet, der Vorstand habe keine fragwürdigen Überwachungsaufträge erteilt, Journalisten seien nicht bespitzelt worden. Die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA hatten ihre Unterstützung für Mehdorn von der Richtigkeit dieser Aussagen abhängig gemacht.
Mehdorns Verhältnis zur Bundesregierung gilt als zerrüttet, obwohl seine Leistungen beim Umbau des früheren Staatskonzerns unumstritten sind. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hatte wiederholt die Aufklärung der Schnüffelaffäre angemahnt. Am Freitag ging er auf Distanz zu dem Konzernlenker. Wenn sich die neuen Vorwürfe bestätigten, sagte er, „wird es ganz, ganz schwer.“ Bisher erwarteten Experten Mehdorns Abberufung erst nach der Bundestagswahl – jetzt könnte es ganz schnell gehen.