Der Pater und sein alter Renault R4: Lange Liebe rostet nicht

Für Pater Clemens ist es so sicher wie das Amen in der Kirche: „Wir werden miteinander alt“, sagt der 67-Jährige und schaut auf sein Auto. Seit 27 Jahren begleitet ihn der beige Renault R4 mit den einstmals knallbunten Seitenstreifen.
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Perfektes Team: Pater Clemens und sein alter Renault.
R. Huber 3 Perfektes Team: Pater Clemens und sein alter Renault.
Alles im Blick. Pater Clemens fährt durch Regensburg.
Ronald Zimmermann 3 Alles im Blick. Pater Clemens fährt durch Regensburg.
Ein freundlicher Gruß: Der Geistliche ist immer noch flott mit seinem Oldie unterwegs.
Ronald Zimmermann 3 Ein freundlicher Gruß: Der Geistliche ist immer noch flott mit seinem Oldie unterwegs.

REGENSBURG - Für Pater Clemens ist es so sicher wie das Amen in der Kirche: „Wir werden miteinander alt“, sagt der 67-Jährige und schaut auf sein Auto. Seit 27 Jahren begleitet ihn der beige Renault R4 mit den einstmals knallbunten Seitenstreifen.

1 070 000 Kilometer (in Worten: eine Million siebzigtausend) hat der Gottesmann aus Regensburg damit zurückgelegt. Ein Ende der spannenden Beziehung Mensch-Maschine ist nicht in Sicht. Gerade wurde dem französischen Kult-Mobil ein Katalysator implantiert – fürs Umweltgewissen, wie der Kapuzinerpater lächelnd anmerkt.

1982 begann die Langzeit-Liaison. Drei R4 hatte Pater Clemens schon gefahren, da machte ihm sein Händler ein besonders gutes Angebot: Sondermodell „Funny“ mit Glashubdach und Seitenstreifen, Version GTL – also mit dem größeren der zwei damals verfügbaren Motoren. Spitzenleistung: 34 PS. Dazu eine anständige Summe für den Vorgänger. Der Pater schlug ein. Bis heute kommt er nicht mehr los von seinem „Container mit Motor“.

Einmal zum Mond, wieder retour, noch einmal hin – diese Strecke verbindet die zwei. Pater Clemens hat trotz der unzähligen Stunden hinter dem dünnen Plastik-Lenkrad noch längst nicht genug von der französisch-dynamischen Fortbewegung. Noch dazu, wo sich sein Untersatz auch noch sehr ökonomisch bewegen lässt. „Wenn man’s darauf anlegt, braucht er nur 4,5 Liter auf 100 Kilometer“, hat der Geistliche errechnet. In diesem Fall lotet er aber die Leistungsreserven des flotten Oldies nicht annähernd aus: „Dann fahre ich höchstens 100.“ Sportliche Anwandlungen am Steuer sind dem Pater zwar eher fremd, auch wenn er sein Mobil im Gewirr der Regensburger Altstadt-Gassen flott durch die Kurven zirkelt. Aber sein Grundsatz ist klar: „Von Lastwagen lasse ich mich nicht überholen.“ Ganz klar – das ist eine Frage der Ehre. Schließlich läuft der R4 immer noch 140, 150 Sachen. Wenn’s sein muss.

Eine Reihe ungewöhnlicher Extras

Im Lauf der Jahre hat Pater Clemens’ Auto eine ganze Reihe von, vorsichtig ausgedrückt, eher ungewöhnlichen Extras spendiert bekommen. Zwei Wassertemperaturmesser zum Beispiel. „Einer sitzt vor, einer hinter dem Kühler“, erklärt der 67-Jährige. Anzeigen für Öldruck- und -temperatur sind ebenso verbaut wie ein Unterdruckmesser im Vergaser. Über 100 Mark hat eine „Spinnerei“ seinerzeit gekostet: der Höhenmesser – dafür zeigt er aber auch immer noch auf fünf Meter genau an.

Doch damit längst nicht genug. Einen Bleistiftspitzer mit Globus hat Pater Clemens zur Weltzeituhr umgebaut. „Der Gaudi halber“ wird im Cockpit auch noch die Vergasertemperatur angezeigt. Schiebt er den Choke nicht zurück, wenn der Motor warm ist, zwitschert ein Kanarienvogel, ist die Handbremse gezogen, muht eine Kuh und bellt ein Hund. Und sollte der Kirchenmann einmal vergessen, die Türen richtig zu schließen, ertönt „Für Elise“. Den Chip dafür hat er aus einer Glückwunschkarte ausgebaut. So ein kleines Wunderwerk der Technik kann man ja nicht einfach wegwerfen . . .

Kaffemaschine und Waschbecken sind schon installiert

An Ideen mangelt es dem Pater nicht. Ein Handgashebel am Schalt-Krückstock – das wäre eine Herausforderung. Standheizung, Kaffeemaschine und Waschbecken hat er längst eingebaut. Und ein Brett zugesägt, das er statt des Beifahrersitzes einhängen kann. Darauf lässt sich prima schlafen. „Du fährst raus ins Freie und wachst mit Vogelgezwitscher auf“, schwärmt der Vielzweckauto-Besitzer.

Wobei die Freizeitgestaltung eigentlich nicht der Hauptzweck der R4-Fahrten ist. Pater Clemens, der zum Münchner Kapuzinerkloster gehört, aber seit 22 Jahren in einer Wohnung in Regensburg lebt und arbeitet, braucht ihn, um seine Schäfchen zu besuchen: Er liest in einem Heim für Alkoholkranke die Messe, er kümmert sich um „Knackis“, um Obdachlose, um Alleinstehende. Er transportiert den weltlichen Besitz von Stadtstreichern, wenn die mal dringende behördliche Verpflichtungen haben. Und er hält in einem Dorf die heilige Messe, tauft und verheiratet. „Ich fahre an die 40000 Kilometer im Jahr“, hat der Regensburger ausgerechnet. Viele Stadtfahrten sind dabei. Aber auch Amberg oder Weiden steuert Pater Clemens regelmäßig an. „Die weiteste Fahrt bisher war nach Avignon. An einem Stück“, erinnert er sich – und daran, dass er damals früher angekommen ist als ein Begleiter mit einer schnellen 1100er BMW.

"Ich kenne jedes Kabel", sagt der Pater

Im Lauf der Jahre hat er sich zum absoluten R4-Experten gemausert. „Ich kenne jedes Kabel“, berichtet der Auto-Bastler. Bremsen und Motor lässt er in einer Werkstatt machen. Aber den Rest kann er selbst: „Kürzlich haben wir eine neue Kupplung eingebaut – vier Stunden hat’s gedauert. Man kriegt halt Routine.“ Der dritte Motor tut inzwischen seinen Dienst in dem braven „Arbeitstier“, auch einen kompletten neuen Rahmen hat ihm Reinhard Zirpel, der oberste Öffentlichkeitsarbeiter von Renault Deutschland, schon spendiert, als Pater Clemens in einem Brief sein Malheur schilderte: Der R4 war zum Lebensretter geworden, als ein Wagen bei Rot in eine Kreuzung gefahren und ihn gerammt hatte. Zum Glück – denn sonst hätte es die Fußgänger auf dem Zebrastreifen erwischt.

Der hohe Alltagsnutzen des eigentlich recht kleinen Renault begeistert Pater Clemens immer wieder aufs Neue. „Unwahrscheinlich, was man damit transportieren kann.“ Bei Kühlschränken muss der clevere Kasten allerdings passen: „Da fehlen drei Zentimeter.“

"Im Urlaub muss ich mich um den Rost kümmern"

Dass der Wagen im Moment nicht so ganz tipp-topp ausschaut, ist nicht auf mangelnde Zuneigung, sondern auf Zeitmangel des viel beschäftigten Seelsorgers zurückzuführen. „Im Urlaub muss ich mich mal um den Rost kümmern“, nimmt sich Pater Clemens vor und streicht über einen braunen Pickel am hinteren Kotflügel. Nicht, dass ihm der Zahn der Zeit grundsätzliche Sorgen machen würde. Leicht kariös sind nur einige Bleche, die tragenden Teile sind grundsolide. „Tüv habe ich noch bis nächstes Jahr“, meint der Geistliche zuversichtlich. Und auch dann kann seiner Meinung nach nicht viel passieren.

Schließlich will er noch viele Jahre weiter arbeiten – und weiter schrauben. Wobei die handwerkliche Betätigung an seinem Auto auch einen therapeutischen Effekt hat. „Wenn man Seelsorger ist, sieht man oft keine Ergebnisse“, bemerkt Pater Clemens mit weiser Selbsterkenntnis. „Man stellt sich die Frage: Was hast du denn erreicht?“

Genau das Gegenteil ist beim Autobasteln der Fall, so der Pater: „Da kann ich sagen, das habe ich geschafft. Das ist ein Werk meiner Hände.“

Rudolf Huber

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