"Wetten, dass...?": Macht Schluss mit lustig!
AZ-Kritikerin Ponkie würdigt die Mischung aus Kindlichkeit und Spieltrieb als Geheimnis von Europas größter TV-Show. Und sie ist sich sicher: Keiner kann Thomas Gottschalk.
München - Von Countdown zu Countdown bis zum letzten Promi-Schnaufer und zur letzten Zirkuswette: Thomas Gottschalk, unser allseits beliebter blondlockiger Familienkasperl, kann seinen letzten „Wetten, dass…?“-Auftritt mit der Gewissheit absolvieren, dass seinem Spontanmundwerk keiner das Wasser reichen kann.
Hape Kerkeling, der es könnte, war gescheit genug, sich rechtzeitig vom Acker zu machen, und jedem weiteren Nachfolge-Anwärter muss klar sein, dass hinter der schnellen schmeichelhaften Ehre, überhaupt als Thronfolger gefragt zu werden, für jeden Erben das böse Erwachen in der Kulisse lauert: Denn es gibt eben nur ganz selten solche Naturtalentewie den zungenflinken Gottschalk, der als Leichtgewichts-Kreuzung zwischen schabernack-lustigem Kindergartenonkel, bildungsförderndem Grundschullehrer und listigem Feuerzangenbowlen- Studienrat einen generationenübergreifenden Lausbubencharme zur Verfügung hat, mit dem man eine solch alberne Spielratzen-Zusammenrottung wie „Wetten, dass…?“ so viele Jahre über die Runden spassetteln kann.
Nur Kulenkampff war aus ähnlichem Holz – von Bildungsbürger- Witz, Selbstironie und Schlagfertigkeit beflügelt, ohne dass dem Publikum die Füße einschliefen oder vor Peinlichkeit die Schenkelklopfer-Pappnasen abfielen. Auch Kuli war, wie Gottschalk, ein unbefangener Verkleidungskomödiant und humoristischer Charmebolzen. Während wir also inständig hoffen, dass Gottschalks „Wetten, dass…?“ ohne Nachfolge-Ärger in die TV-Geschichte eingeht, wo es im historischen Unterhaltungsmuseum seiner legendären Höhepunkte gedenken kann, muss jeder, der für den Himmelfahrts- Job geködert werden soll, die Undankbarkeit des Publikums fürchten: Als Witzbold, Talkschwurbler und Charme- Frechling muss er sich an der Kulmbacher Dampflokomotive messen lassen, und das kann nur schlecht ausgehen.
Wenn wir jetzt alle in Jahrzehnten angesammelten „besonderen Vorkommnisse“ der „Wetten, dass…?“-Maschinerie zusammenrechnen, dann ist die Ausbeute anWichtigkeiten relativ gering. Weil die Illusion, die ganze Familie säße hier quer durch alle Zielgruppen von 5 bis 100 immer noch umein gemeinsames Lagerfeuer, über das anderntags in Küche, Schulhof und Büro Manöverkritik fällig war, zwar von einem Gemeinschafts- Infantilismus gespeist, aber inzwischen von der „Vielfalt“ der Sender in viele Quoten-Zielgruppen zerhackt wurde.
Ob also einer den Gottschalk geleimt hatte mit seinen Buntstiften, die er am Geschmack erkannt haben wollte, oder 100 Luftballons ins Weltall pieksen oder irgendwas Sinnloses mit Armen, Beinen, Fingern, Hinterteilen oder großen Zehen in Bewegung bringen konnten, das blieb relativ unwichtig. Außer der schönen Wette von Karl-Heinz Böhm von 1981, bei der 1,2 Millionen Mark für die Sahelzone zusammenkamen und die Aktion „Menschen für Menschen“ entstand.
Meistens behielten die Zuschauer lieber die Fettnäpfchen- Platscher im Gedächtnis, die Gottschalk ab und zu herausrutschten im Eifer des Gefechts. Der Freizeit-Infantilismus spaltet sich heute längst in Spezial-Events der Zeittotschläger-Industrie auf. Widmet also den nostalgischen Erinnerungen einen Sack Gummibärle und jagt den ergrauten Helden nicht durch neue Wetteinlöser-Senftöpfe. Macht einfach Schluss!