Stillstehendes Kulturleben: Den Kopf aus dem Sand holen

München - Ausbleibende Engagements, Absagen von Auftritten, kein Einkommen - die Corona-Krise trifft Kulturschaffende besonders hart. Für die Künstlerszene - ob Solo-Selbständige, Galeristen oder Veranstalter - ist die Krise existenzbedrohend.
Denn noch immer steht das kulturelle Leben in vielen Bereichen nahezu still. Betätigungsfelder sind weggebrochen, Kultureinrichtungen öffnen nur unter strengen Auflagen.
Künstler-Soforthilfe ist Ende September ausgelaufen
Zwar springt der Bund mit einem Milliardenpaket den Kulturschaffenden zur Seite und auch Bayern hat ein millionenschweres Hilfsprogramm, doch kommen die Hilfen längst nicht bei allen an. Und je länger die Rückkehr zur Normalität dauert, desto dramatischer wird die Lage.
Die Künstler-Soforthilfe von maximal 1.000 Euro für drei Monate - von der bayerischen Staatsregierung viel zu spät und viel zu kompliziert umgesetzt - ist Ende September ausgelaufen. Die Pandemie aber ist noch immer da.
Für viele Künstlerinnen und Künstler heißt das: Sie haben null Euro Einkommen. Kultur aber ist ein hohes Gut, sie ist systemrelevant. Sie ist mehr als Unterhaltung und Zeitvertreib. Sie ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit für unsere Demokratie.
Erhalt der Kultur sollte verpflichtend sein
Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist überdies für Bayern ein relevanter Wirtschaftsfaktor: 400.000 Menschen sind in Freistaat im kreativen Bereich erwerbstätig, ähnlich wie in der Automobilindustrie. Gemessen an der Bruttowertschöpfung ist sie damit die drittwichtigste Branche im Freistaat.
Bayern ist Kulturstaat. Der Erhalt der Kultur ist allein deshalb schon verpflichtend. Es wundert daher sehr, dass die Bayerische Staatsregierung hier den Vogel Strauß gibt und den Kopf in den Sand steckt. Wenn sie nicht endlich handelt, dann droht der kulturellen Vielfalt ein irreparabler Schaden.
Die Corona-Hilfen für Kulturschaffende sowie für die Akteure der kulturellen Bildung müssen fortgeführt werden. Sie müssen einfach zu beantragen und unbürokratisch sein - in Höhe des pfändungsfreien Existenzminimums von 1.180 Euro pro Monat. Zudem sollten sie rückwirkend auch für die Monate März und April gezahlt werden. Diese blieben bisher nämlich unberücksichtigt. Wir müssen den Kulturschaffenden die Möglichkeit der Planbarkeit zurückgeben - und zwar mit klaren politischen Vorgaben, besonders in der Krise. Unsere Einrichtungen und Veranstalter haben ihre Hausaufgaben gemacht. Jetzt ist die Bayerische Staatsregierung am Zug.
Zur Erinnerung: Es war der Verband der Münchner Kulturveranstalter, der einen weit über die Grenzen Bayerns hinaus viel beachteten Leitfaden für die Erstellung von Hygienekonzepten für Theater-, Konzert- und Veranstaltungsbetriebe erstellt hat. Eine Hilfestellung, die eigentlich von der Bayerischen Staatsregierung hätte kommen müssen.
Unsere Kultureinrichtungen haben vorgerechnet, dass unter Einhaltung der gültigen Hygiene- und Abstandsregelungen oft viel mehr Zuschauerplätze gefüllt werden könnten, als es die starre Besucherzahlenregelung der Staatsregierung vorgibt. Verantwortliches Handeln, Wirtschaftlichkeit und Planbarkeit im Sinne des Kulturbetriebs und seines Publikums sehen anders aus.
Club-Szene in ihrer Existenz bedroht
Die bayerische Club-Kultur befindet sich seit nunmehr sieben Monaten im Lockdown. Sie ist massiv in ihrer Existenz bedroht. Hier könnte man schnell und unbürokratisch helfen, indem man Verwaltungshürden abbaut und eine anderweitige Nutzung von Räumlichkeiten kurzfristig erlaubt.
Ohnehin könnte der Club-Szene mit kontrollierten Events und Feiern eine wichtige Rolle zukommen: Denn dank professionellem Hygiene- und Gästemanagement sowie einer geschulten Security könnten illegale Partys und spontan entstehende Hotspots vermieden werden.
Bayern hat eine starke Kultur. Eine Kultur, die weit über Bayern hinaus ausstrahlt. Es ist die Aufgabe unserer Staatsregierung, dafür Sorge zu tragen, dass dies so bleibt.
Gastbeitrag von Wolfgang Heubisch: Geboren 1946 in München. Er war von 2008 bis 2013 Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Er ist Vizepräsident des Landtags und kulturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.