Zwei Dutzend verschiedene Herzen

Audio von Carbonatix
Mit ein bisschen Statistik kommt man vielleicht sogar dem an sich Unbeschreiblichen bei, das vor sich geht, wenn Christian Gerhaher Robert Schumann singt und Gerold Huber dazu Klavier spielt. Zwei Liederabende gaben der Bariton und der Pianist bei den Opernfestspielen, rund 40 Gesänge waren das allein beim zweiten Konzert, das Gros davon Vertonungen von Texten von Heinrich Heine. Bedenkt man, wie ausgiebig und dabei natürlich listig distanziert dieser Dichter die für ihn schon historisch gewordene ur-romantische Bilderwelt gebraucht – kommt man, überschlagsweise, auf eine zweistellige Zahl von Zitationen etwa des Schlüsselwortes "Herz“.
Die Verzweiflung ist zum Greifen nah
Christian Gerhaher singt jedes dieser "Herzen“ anders: in "Ich wandelte“ aus dem Heine-"Liederkreis“ mit einem himmlischen Verweilen in der von ihm wie immer schwerelos schwebenden Höhe, in "An den Sonnenschein“ aus dem "Liederbuch eines Malers“ (hier ausnahmsweise von Robert Reinick) mit einem köstlich sentimentalen Drücker, quasi selbst beherzt. In "Und wüssten's die Blumen“ aus der "Dichterliebe“ aber (nun wieder Heine) wird das "Herz“ unversehens zum Symptom einer emotionalen Krise, und wenn es sich dann auf "Schmerz“ reimt, ist die Verzweiflung zum Greifen nahe. Da wird die romantische Ironie zum Ausdruck existentieller Erschütterung.

Solche sublimsten Verschiebungen sind nur innerhalb der Kunstform des Liedes möglich. Christian Gerhaher hat immer wieder, auch als Buchautor ("Lyrisches Tagebuch“), betont, dass der klavierbegleitete Sologesang eben mitnichten eine Art "Mini-Oper“ ist. Im Drama wird das Geschehen unmittelbar dargestellt. Im Lied hingegen wird eine Figur und ihr Gefühlshaushalt im zugrundeliegenden Text, den Gerhaher mit unvergleichlicher Deutlichkeit verständlich hält, geschildert.
Gerhahers vollendete Phrasierungen
Die Nonne aus Schumanns zweitem Heft von Romanzen und Balladen op. 49 verkörpert der Bariton nicht etwa, sondern sie erscheint innerhalb der vollendet sinnhaften Phrasierung vor dem inneren Auge der Hörenden. Wie sehr das Publikum es goutiert, in dieser Weise ernstgenommen zu werden, zeigt sich an den stehenden Ovationen, die das Liedduo nach dem Konzert im Prinzregententheater empfängt.
Spätestens an dieser Stelle muss die Aufmerksamkeit auf Gerold Huber gelenkt werden, wie Gerhaher gebürtiger Straubinger und seit weit über 30 Jahren sein exklusiver pianistischer Partner. Was Huber von allen begleitenden Kolleginnen und Kollegen fundamental unterscheidet, ist, dass er eben nie bloß begleitet, sondern die Klavierparts zu einer jeweils ganz eigenen musikalischen Welt ausgestaltet. Das ist gerade bei Schumann auch dringend geboten, da dieser Komponist nicht nur im ersten Heft mit Romanzen und Balladen op. 45 auch einmal haarige Kaskaden in Oktaven vorschreibt, die einem Franz Liszt gut zu Gesicht stünden. Und niemand, das sei an einem letzten Beispiel illustriert, kann in "Das ist ein Flöten und Geigen“ aus der "Dichterliebe“ die insistierende Rhythmik so tänzerisch plastisch in den Raum stellen wie Huber, der, das wissen gar nicht alle, auch ein virtuoser Interpret der Werke Frédéric Chopins ist.
Zwei eigenständige Solisten also sind am Werk, wenn Christian Gerhaher und Gerold Huber Robert Schumann singen und spielen. Wie sie als gleichberechtigte Partner schlafwandlerisch zusammenwirken, macht das Unsagbare ihrer einsamen Kunst wenigstens ansatzweise beschreibbar. Dass diese Lieder darüber hinaus noch direkt ins Herz hinein gehen, steht dabei noch auf einem ganz anderen Blatt ...