Interview

Wolfgang Niedecken im Interview: „Bundeswehr und die Nato müssen wehrtüchtig gemacht werden“

Der BAP-Gründer spricht im AZ-Interview über die Kraft des Dialekts, die Ursprünge seiner Band in der Gegenkultur der 1980er, Rock-Veteranen und seine Kritik am Populismus.
Olaf Neumann |
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Auf dem „Zeitreise“-Konzert von BAP spielt Wolfgang Niedeckens Kölschrock-Band nach 40 Jahren noch einmal alle Titel ihrer beiden Erfolgsalben „für usszeschnigge!“ und „von drinne noh drusse“.
picture alliance/dpa 7 Auf dem „Zeitreise“-Konzert von BAP spielt Wolfgang Niedeckens Kölschrock-Band nach 40 Jahren noch einmal alle Titel ihrer beiden Erfolgsalben „für usszeschnigge!“ und „von drinne noh drusse“.
Wolfgang Niedecken, Musiker und Sänger der Gruppe Bap, steht auf dem Südfriedhof am Grab seines Vaters. Die Beziehung zu seinem Vater ist Gegenstand des Liedes "Verdammp lang her".
picture alliance/dpa 7 Wolfgang Niedecken, Musiker und Sänger der Gruppe Bap, steht auf dem Südfriedhof am Grab seines Vaters. Die Beziehung zu seinem Vater ist Gegenstand des Liedes "Verdammp lang her".
Der Kölner Wolfgang Niedecken spielt zum zwanzigjährigen Bestehen der Stiftung Schloss Neuhardenberg ein open-air-Konzert im brandenburgischen Neuhardenberg mit seiner Band BAP.
picture alliance/dpa 7 Der Kölner Wolfgang Niedecken spielt zum zwanzigjährigen Bestehen der Stiftung Schloss Neuhardenberg ein open-air-Konzert im brandenburgischen Neuhardenberg mit seiner Band BAP.
Wolfgang Niedecken in Morlitzwinden, wo er 1981 den Hit „Verdamp lang her“ schrieb - neben seiner damaligen Gastgeberin Erika Leitel und Niedeckens Hündin Numa.
picture alliance/dpa/Tina Niedecken 7 Wolfgang Niedecken in Morlitzwinden, wo er 1981 den Hit „Verdamp lang her“ schrieb - neben seiner damaligen Gastgeberin Erika Leitel und Niedeckens Hündin Numa.
Wolfgang Niedecken.
picture alliance/dpa/Tina Niedecken 7 Wolfgang Niedecken.
Wolfgang Niedecken.
picture alliance/dpa 7 Wolfgang Niedecken.
Der Sänger, Maler und Autor Wolfgang Niedecken.
picture alliance/dpa 7 Der Sänger, Maler und Autor Wolfgang Niedecken.

Wolfgang Niedecken setzt mit seiner Band BAP die „Zeitreise“-Tour fort, die ihn diesmal auch nach Wacken führt. Dort teilt der Kölschrocker sich die Bühne mit Weltstars wie Guns N’Roses. Niedecken ist ein sehr wacher Beobachter des politischen Geschehens, der aus seiner Kritik an den populistischen Parteien kein Hehl macht.

AZ: Herr Niedecken, gemeinsam mit Hans-Timm „Timsen“ Hinrichsen von Santiano haben Sie die ältere BAP-Nummer „Aff un to“ neu aufgenommen - auf Kölsch und Plattdeutsch.
Wolfgang Niedecken: Ich fand die Idee toll, ein Album mit lauter Kollegen zu machen, die noch Mundart sprechen. Das ist ein Projekt mit Herzblut. Die Dialekte sterben ja leider aus. Timsen ist so mit Plattdeutsch aufgewachsen wie ich mit Kölsch. Ich musste im Alter von sechs Jahren meine erste Fremdsprache lernen, das war Hochdeutsch.

Was können Dialekte und Regionalsprachen, was die Hochsprache nicht kann?
Ich möchte niemandem zu nahe treten, der nur mit Hochdeutsch aufgewachsen ist. Da hat sich ja im Lauf meiner Lebenszeit auch viel dran geändert. Aber ich habe ganz automatisch meinen ersten Song auf Kölsch geschrieben, weil ich mich so am besten ausdrücken konnte. Dialekte sind eher die Sprache der Seele als eine Amtssprache. Alle rockenden Kollegen, die deutsch singen, haben einen Dreh gefunden, wie sie diese eckige Sprache abmildern können. Ob das der Udo mit seinem Genuschel ist oder der Herbert, der mit merkwürdigen Betonungen singt. Aber das geht einem auch nah.

„Dieses Kribbeln, dass ich da hoch will“

Wie lange stehen Sie jetzt schon auf der Bühne?
Kommt drauf an, ab wann man rechnet. BAP fing 1976 an, und bis zu meinem Kunststudium habe ich bereits in „Schülerbands“ gespielt, die nachher ziemlich professionell wurden. Keiner von uns hätte damit gerechnet, dass ich BAP noch 48 Jahre später betreiben würde.

Der Sänger, Maler und Autor Wolfgang Niedecken.
Der Sänger, Maler und Autor Wolfgang Niedecken. © picture alliance/dpa

Im August treten Sie erstmals beim Wacken Festival auf. Ist das Live-Spielen für Sie immer noch mit Aufregung verbunden oder ist es zu einem irgendwie normalen Vorgang geworden?
Ich habe kein Lampenfieber. Aber ich muss dieses Kribbeln verspüren, dass ich da hoch will. Das ist ein bisschen vergleichbar mit einem Kind bei der Bescherung, wenn die Mama mit dem Glöckchen bimmelt und man darf endlich rein ins Wohnzimmer. Bleibt das aus, setzt bei mir Lampenfieber ein. Ich befürchte dann nämlich, dass ich heute Abend der letzte Langweiler sein werde. Und dann bekomme ich furchtbares Lampenfieber, und das Kribbeln ist auch wieder da. Es funktioniert also von selbst.

„Ich bin mit Qualitätsjournalismus aufgewachsen, ich will Bescheid wissen.“

Zu Ihren Live-Auftritten kommen mittlerweile drei Generationen. Junge Konzertbesucher wissen vielleicht nicht, in welchem kulturellen Klima die großen BAP-Hits entstanden sind. Werden Sie es Ihnen erklären?
Man darf nicht anfangen, ein Konzert mit einer Vorlesung zu verwecheln. Ich glaube, ich vermittele das Zeitgefühl von damals schon, indem ich Anekdoten erzähle. Zum Beispiel, wie wir 1980 bei der Gegenbuch-Messe in Frankfurt gespielt haben. Nachdem wir unseren ganzen Kram in die erste Etage geschleppt hatten, meinte einer dieser gutmeinenden Hippies zu uns: „Ein Kofferverstärker hätte es ja wohl auch getan.“ Wie dieser Satz zu einem Stück wie „Müsli-Män“ führt, ist schon irre. Bei der „Zeitreise“ mache ich nach den ersten drei Stücken eine relativ lange Moderation. Und danach erzähle ich noch die Geschichte von „Waschsalon“. Würde ich aber die Geschichte jedes einzelnen Stücks erklären, würden wir im Morgengrauen rausgehen. Im vorigen Jahr habe ich das BAP-„Zeitreise“-Magazin geschrieben, das gibt es am Merch-Stand oder in unserem Webshop. Darin erzähle ich alle Geschichten und liefere die entsprechenden Fotos, Eintrittskarten und Plakate.

Der Kölner Wolfgang Niedecken spielt zum zwanzigjährigen Bestehen der Stiftung Schloss Neuhardenberg ein open-air-Konzert im brandenburgischen Neuhardenberg mit seiner Band BAP.
Der Kölner Wolfgang Niedecken spielt zum zwanzigjährigen Bestehen der Stiftung Schloss Neuhardenberg ein open-air-Konzert im brandenburgischen Neuhardenberg mit seiner Band BAP. © picture alliance/dpa

„Es ist gut für einen Song, wenn er auch mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wird“

Welche „Gegenbücher“ hat man damals gelesen?
Das waren all die Bücher, die bewusst in alternativen Verlagen publiziert wurden oder keinen Verleger fanden, weil sie nicht kommerziell genug waren. Damals gab es in Universitätsstädten ohne Ende linke Buchläden. Ein Vertreter unseres ersten Plattenlabels Eigelstein lief mit seinem Musterkoffer durch diese Läden und versuchte, zehn von unseren Alben in Kommission dazulassen. Das war aber nicht genug Vertrieb für uns, denn wir merkten, wir schmoren im eigenen Saft. Wir kamen aus dem kölschen Sprachgebiet einfach nicht raus. Da Eigelstein aber nicht in einen ordentlichen Vertrieb gehen wollte, mussten wir uns schweren Herzens von ihnen trennen.

Sie sind dann zur EMI gegangen. Die sorgte dafür, dass kritische Lieder wie „Zehnter Juni“ eine große Verbreitung fanden. Sie schrieben es 1982 nach der gigantischen Friedensdemonstration in Bonn-Beuel gegen den Nato-Doppelbeschluss. Hat der Refrain „Plant mich bloß nit bei üch en“ heute noch Gültigkeit?
Ja. Bei dem Song erzähle ich dem Publikum von einem Interview, dass ich einem Ihrer Kollegen aus Frankfurt gegeben habe, anlässlich des 40. Jahrestags dieser Demonstration. Am Schluss fragte er mich: „Würdest du ‚Zehnter Juni’ irgendwann noch einmal spielen?“ Und ich sagte: „Kommt drauf an, wie die politischen Voraussetzungen gerade sind. Dann kann das Stück schon wieder Sinn machen.“ Kurz danach kündigte Putin seine „Teilmobilmachung“ an. Er verschleiert ja schon in der Begrifflichkeit alles. Viele junge russische Männer haben sich daraufhin ins Ausland abgesetzt. Ich musste mich eigentlich nur in einen dieser Deserteure versetzen, und dann stimmte „Zehnter Juni“ wieder komplett, jedes einzelne Wort. Es ist gut für einen Song, wenn er auch mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wird. Bei „Verdamp lang her“ etwa denken die Leute bestimmt nicht daran, dass ich da am Grab meines Vaters stehe. Die denken eher an alles Mögliche, was bei ihnen lange her ist. Und das ist auch gut so.

Wolfgang Niedecken, Musiker und Sänger der Gruppe Bap, steht auf dem Südfriedhof am Grab seines Vaters. Die Beziehung zu seinem Vater ist Gegenstand des Liedes "Verdammp lang her".
Wolfgang Niedecken, Musiker und Sänger der Gruppe Bap, steht auf dem Südfriedhof am Grab seines Vaters. Die Beziehung zu seinem Vater ist Gegenstand des Liedes "Verdammp lang her". © picture alliance/dpa

„Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die Bedrohung aus dem Osten noch einmal so stark wird“

US-Präsident Trump verlangt von Nato-Partnern fünf Prozent Verteidigungshaushalt.
Dieser Satz ist wie vom orientalischen Markt. Trump denkt nicht im Traum daran, dass das tatsächlich funktioniert. Er macht, wie immer auf dicke Hose, wo leider viele drauf reinfallen. Ein Großteil der Leute will auch keine ausgearbeiteten politischen Artikel lesen, sondern lieber Schlagzeilen, am besten auf TikTok. Sie denken, daraus könnten sie sich ihre Meinung bilden. Ich bin mit Qualitätsjournalismus aufgewachsen, ich will Bescheid wissen. Das wollen aber immer weniger Menschen. Unfassbar, was in den sozialen Medien an Werbung von der AfD geschaltet wird. Ich will den Scheiß gar nicht sehen, aber es taucht immer wieder auf. Es ist ganz wichtig, dass alle Leute wissen, was parteipolitisch passiert, damit sie nicht an einer Stelle ihr Kreuzchen machen, an der ihre Interessen überhaupt nicht vertreten werden. Manipulation ist Tür und Tor geöffnet.

Zurück zu meiner Frage.
Ich finde, die Bundeswehr und die Nato müssen wehrtüchtig gemacht werden. Damit ist in den vergangenen Jahren geschlampt worden, auch in meinem Namen übrigens. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die Bedrohung aus dem Osten noch einmal so stark wird. Wir dürfen aber nicht auf den linken und rechten Rand reinfallen. Überall lauern Populisten, denen traue ich nicht.

Wolfgang Niedecken.
Wolfgang Niedecken. © picture alliance/dpa

Wie bewahren Sie sich in diesen chaotischen Zeiten den Optimismus?
Wenn wir die Empathie verlieren, ist alles zu spät. Gott sei Dank können viele noch Empathie aufbringen. Lieder handeln ja von Gefühlen. Man darf da nicht zu wissenschaftlich werden. Am Tag des fünften Auftritts der „Zeitreise“-Tour ist die Wahl in den USA schiefgegangen. Ich habe wirklich überlegt, ob ich dazu in Reutlingen von der Bühne aus Stellung nehme. Habe es dann lieber sein gelassen, weil diese Zeitreise in die Anfangsjahre von BAP zurückgeht.

Kein Johannes Heesters des Rock‘n‘Roll werden

Bob Dylan wird dieses Jahr 84, Mick Jagger 82 und Bruce Springsteen 76. Warum können die Granden sich nicht zur Ruhe setzen? Werden sie von den Geistern der Kunst getrieben?
Das ist bei jedem anders. Bei Dylan ist es eine Lebensform. Er muss unterwegs sein und lebt in einem wunderbaren Tourbus mit allem Komfort. Er geht erst gar nicht in die Garderobe vor einem Auftritt. Weiß der Teufel, was in seinem Privatleben läuft. Mir schwant, dass es nicht allzu glücklich verlaufen ist. Und Bruce will auch live spielen. Er macht es gut, aber ich habe das Gefühl, dass er ein bisschen extra-jugendlich wirken will. Die Ansage, dass er der letzte aus seiner Schülerband sei, der noch lebe, ist mir allerdings sehr nahegegangen. Da steht einer zu seinem Alter, ich mag keine Berufsjugendlichen. Und Jagger ist Asket und Athlet in einer Person. Ich hoffe, dass die anderen beiden Herrschaften auch Spaß haben. Ich bin ihnen zwar mal begegnet, kann aber nicht behaupten, sie zu kennen. Ich hoffe, dass sie rechtzeitig den Punkt finden aufzuhören, bevor sie zu Johannes Heesters des Rock‘n‘Rolls werden.

Wolfgang Niedecken und BAP spielen am 2. Juli in der Tollwood Musikarena (nur noch Restkarten), Telefon 089 3838500

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