Kritik

Sportfreunde Stiller in München: Kein Schlager, sondern Hymnen

Am Freitagabend sind auf dem Tollwood gleich zwei Münchner Musiklegenden aufgetreten: Rap-Poetin Fiva und die Sportfreunde Stiller. Die AZ war vor Ort und hat sich die Konzerte angeschaut.
Moses Wolff |
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Die Sportfreunde Stiller heizen dem Publikum des Münchner Tollwood kräftig ein.
Die Sportfreunde Stiller heizen dem Publikum des Münchner Tollwood kräftig ein. © Jens Niering

München - Bereits am Nachmittag sorgte der Münchner Sommerregen für erfrischende Momente und kündigte einen Abend voller unbeschwerter Lebenslust an. Rings um die Musik-Arena haben sich kleine Badeseen aus Pfützen angesammelt, über die Damen und Herren jeden Alters munter springen, um sich einen Platz im restlos ausverkauften Zelt zu sichern. Es wird gekichert und gescherzt, die Festivalstimmung ist ausgelassen, die Getränke gut gekühlt und die Vorfreude auf das Heimspiel der zwei Münchner Musiklegenden Fiva und Sportfreunde Stiller enorm.

Rap-Poetin Fiva: Deftige Melodien und knackige Beats

Bereits um 18:50 Uhr beginnt die Show der bedeutendsten deutschsprachigen Rap-Poetin und Ausnahmekünstlerin Fiva, geboren und aufgewachsen in München, rasch ein Geheimtipp in der Hiphop- und Poetryslam-Szene, war sie mit MC Rene und Fettes Brot auf Tour. Schon nach kurzer Zeit ging sie durch die Decke, bekam eine eigene Sendung auf ZDF-Kultur und erhielt 2018 den Bayerischen Kulturpreis.

Mit den Sportfreunden verbindet sie nicht nur eine lange künstlerische und private Freundschaft, sondern auch die gleiche herzerfrischende und sympathische Kraft bei Liveshows, die sich unwillkürlich aufs Publikum überträgt. Beide Acts verströmen ein grundsätzliches Wohlgefühl, wie es schöner kaum sein kann. Ihre Texte sind klug, selbstironisch und philosophisch, dazu liefert die kleine Band deftige Melodien und knackige Beats, und als sie ihre Hymne auf München rappt, treibt es manchen Fans Tränen des Glücks in die Augen: "Wenn ich an euch denk, denk ich an Herbst und Volksfestbier, an alle Katastrophen, die erst nach zwei Maß passieren. An Pass verlieren, küssen und sich krass genieren, doch immer in dem Wissen, dass ihr drüber lacht, anstatt zu kritisieren. Ich denk an Spazierengehen und übers Verlieren reden, weil die große Liebe so viel Platz nimmt, dass wir uns nicht sehen. Denk nicht dran ich würde gehen, wenn ihr nichts von mir hört, Ihr seid tief in meinem Herz, es gibt nichts, wo ihr stört." Sie ist nach wie vor ein Goldfisch der Daseinsfreude.

Die Müncher Rap-Poetin Fiva live auf der Bühne des Tollwood-Festivals.
Die Müncher Rap-Poetin Fiva live auf der Bühne des Tollwood-Festivals. © Jens Niering

Bekenntnis der Sportfreunde Stiller: Aufregung vor Tollwood-Konzert war groß

Die Sportfreunde Stiller stehen Fivas Frohmut in nichts nach und lösen Stürme der Begeisterung aus, führen beschwingte Konversationen mit ihren Technikern und preisen die Fans ihrer Heimatstadt, indem Sänger Peter Brugger, mit langen Haaren bis zur Brust und einer schwarz glänzenden Schirmmütze frohlockt: "Es ist ein Nachhause kommen, wie man es sich vorstellt", um gleich danach den Hit "New York, Rio, Rosenheim"anzustimmen. Drummer Flo Weber schwingt beherzt die Schlagstöcke, während Gitarrist Rüde Linhof in einer Zwischenansage bekennt, das sie im Backstage vor dem heutigen Auftritt schon relativ aufgeregt waren. Die Fans wissen warum. Denn eine Zeitlang stand es nicht fest, ob und wie es mit den Sportfreunden weitergehen wird. Nach ihrer sehr gelungenen Livetournee entschied sich die Band 2017 für eine Pause, da es interne Unstimmigkeiten gab und die drei Musiker das Bedürfnis hatten, andere Projekte zu realisieren, sich neu zu orientieren oder einfach mal nur die private Seele etwas baumeln zu lassen nach all dem Trubel.

Peter Bruder, Sänger und Gitarrist der Band Sportfreunde Stiller.
Peter Bruder, Sänger und Gitarrist der Band Sportfreunde Stiller. © Jens Niering

Die paar Jahre Auszeit haben ihnen gutgetan, sie konnten sich sammeln und trafen sich schließlich vor drei Jahren samt Instrumenten und kühlem Bier, um über einen möglichen Neubeginn nachzudenken. Die Annäherung glückte, sie begannen – unter pandemisch bedingten schwierigen Umständen – in privaten, ländlichen Räumlichkeiten wieder regelmäßig zu musizieren und aufeinander zuzugehen, es entstanden neue Lieder und schließlich das Album "Jeder nur ein X", benannt nach einem Zitat aus dem Monthy Python-Meisterwerk "Das Leben des Brian", als Michael Palin die Kreuzigungsgruppe fragt: "Zur Kreuzigung? Durch die Tür hinaus, zur linken Reihe, jeder nur ein Kreuz."

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Sportfreunde Stiller machen gute Laune und Hoffnung

Dieses Beispiel ist extrem passend für die gesamte Weltanschauung der Band: bewusst durch die Welt schreiten, dabei aber stets versuchen, das Positive zu sehen und optimistisch zu bleiben, schwierige Lagen möglichst mit einem Augenzwinkern zu betrachten und im Idealfall zu meistern. Dieses Lebensgefühl spiegelt sich auch seit der Bandgründung in ihren Songs wider: viele Lieder der Sportis machen daher nicht nur gute Laune, sondern auch Hoffnung und manchmal Mut – und: sie haben immer ein Happy End wie in einem schönen Liebesfilm wie "Harry & Sally".

Die Sportfreunde Stiller live auf der Buehne im  Olympiapark München.
Die Sportfreunde Stiller live auf der Buehne im Olympiapark München. © Jens Niering

Auf dem neuen Album geht es unter anderem um Freundschaft, Liebe und Krisen. Außerdem gibt es einen Song über einen schwermütigen Menschen: "Dein Weg nach draußen ist völlig blockiert, dein Kopf spielt verrückt. Dein Bauch rebelliert. Flaschen voll von Zigaretten neben leeren Verpackungen von Schmerztabletten, deine schmutzigen Klamotten zwischen Essensresten von Fast-Food-Ketten, doch kein Herz bleibt für immer schwarz / Wir stellen einen Wächter immer Richtung Licht. Alleine bist du nicht." Ein sehr in die Tiefe gehender, erwachsener Text mit einer frohen Botschaft.

Die Sportfreunde Stiller schreiben keine Schlager, sondern Hymnen. Und entlassen eine fidele Menschenmenge in die bunte Welt des Tollwood, wo nach dem Bezwingen einiger Regenpfützen noch orientalische Musikinstrumente, handgefertigter Schmuck und erlesene kulinarische Köstlichkeiten auf den Ausklang eines funkelnden Abends warten.


Vergangene Woche ist im Hannibal Verlag die vom Schweizer Schriftsteller Nicola Bardola verfasste Bandbiografie "Applaus, Applaus" erschienen, ein liebevoll gestaltetes Werk mit bislang unveröffentlichten Fotos, Hintergrundinformationen und Interviews mit Zeitzeugen.

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