Salzburger Festspiele: Der Tod ist ein Meister aus Russland
Die Mitwirkenden hatten wegen der fehlenden Flugverbindungen zwischen dem kriegführenden Russland und Europa eine anstrengende Anreise. Von St. Petersburg mit dem Bus sieben Stunden nach Helsinki. Auf dem Flughafen schnell einen Prosecco und Krabbensalat für Instagram, dann mit dem Flugzeug nach Salzburg, um dort Schostakowitschs Leiden an Tod und Totalitarismus zu interpretieren.
Das ist frivol, wenn gleichzeitig von anderen Russen Kriegsverbrechen begangen werden. Aber so läuft das Business. Noch genießt Teodor Currentzis als Musikzauberer und Publikumsliebling der Salzburger Festspiele die Narrenfreiheit des Genies, und noch wirkt es sich nicht an der Kasse aus, dass sein in St. Petersburg ansässiges, aus einem Chor und einem Orchester bestehendes Ensemble musicAeterna von einer naturgemäß staatsnahen russischen Bank finanziert wird, die auf einer Sanktionsliste steht. Außerdem gibt es Verbindungen zu Gazprom.
Hätte man Currentzis absagen sollen? Wohl eher nicht
Hätten die Festspiele, die es mit Sympathiebekundungen für die angegriffene Ukraine ohnehin nicht übertreiben, die Auftritte von Currentzis und seines Ensembles absagen sollen? So lange der Dirigent beredt schweigt und nicht – wie Valery Gergiev – offen mit dem Putin-Regime sympathisiert, wohl eher nicht. Abgesehen davon, dass es keine kulturellen Sanktionen gibt, würde das womöglich unsere eigenen liberalen Grundsätze verraten, so lange der Markt nichts regelt und die Leute dieses Ensemble unbedingt hören wollen. Außerdem würden wir um die herausragenden Schostakowitsch- und Purcell-Interpretationen dieses Dirigenten gebracht, die er nicht nur, aber vor allem mit den auf ihn eingeschworenen Ensembles zustandebringt.
Die Verbindung zwischen Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 14 und Henry Purcells "Dido and Aeneas" wirkt auf dem Papier des Programmhefts ziemlich willkürlich. Aber das Konzert offenbarte untergründige Verbindungen: Beide Werke sind Totentänze. Und weil, um ein Zitat von Paul Celan sarkastisch abzuwandeln, der Tod derzeit ein Meister aus Russland ist, mögen die Umstände bei Interpreten wie Zuhörern ähnlich wie bei Wilhelm Furtwängler Konzerten während des Zweiten Weltkriegs für eine obszön geschärfte Wahrnehmung sorgen. Das soll aber keinesfalls heißen, dass wir hier generell Angriffskriege zur Steigerung ästhetischer Wirkungen empfehlen möchten. Es ist nur eine Beobachtung, die sich im historischen Vergleich aufdrängt.
Musik der Extreme
Currentzis versteht Schostakowitschs Symphonie Nr. 14, ein Liederzyklus um Tod, Trauer und Gewalt für Sopran, Bass und Streichorchester als Musik der Extreme. Nadezhda Pavlova neigt zu russischer Theatralik. Es ist besser, die Augen zu schließen und nur hinzuhören. Dann wird deutlich, dass sich die Sopranistin zwar um maximalen Ausdruck bemüht und dabei auch zum Mittel des Flüster- und Sprechgesangs greift, auf musikalische Faxen aber letztendlich verzichtet.

Matthias Goernes überlegene Ruhe bildet dazu einen scharfen Kontrast, zumal es ihm gelingt, die Merkwürdigkeiten seines Timbres in dieser intimen Musik unter Kontrolle zu halten. Die Streicher von musicAeterna übertragen die rhetorische Artikulation der Alten Musik auf Schostakowitsch und entgehen so der Gefahr klassizistischer Glätte, auf der Interpreten dieser Musik ausgerutscht sind.
Der mitsingende, miterbebende und bisweilen auch mitstampfende Dirigent lässt sich mit seinen Musikern voll auf die Schattierungen fahler Trauer und unterdrückter Wut ein. Das nervt, wirkt aber nie inszeniert und die Grenze zur unangenehmen Übertreibung wird nie überschritten.
Eine Faszination, der man sich nur schwer entziehen kann
Gibt es außer Currentzis einen Dirigenten, dem Schostakowitsch und Henry Purcell gleich überzeugend gelingen? Nach der Pause folgte "Dido and Aeneas" in einer hinreißenden Gegenüberstellung aus tänzerischer Leichtfüßigkeit und tiefer Melancholie. Die amerikanische Mezzosopranistin Kate Lindsey ließ die karthagische Königin mit vibratolosem Gesang bereits unendlich traurig auftreten. Ihre kunstlose Künstlichkeit streifte zwar das Manierierte, dennoch: Wie die Sängerin das gleichsam lebt, erzeugt eine Faszination, der man sich nur schwer entziehen kann.

Das Ensemble um Lindsay war mit Nuria Rial (Belinda) und Konstantin Krimmel (Aeneas) luxuriös besetzt, in kleineren Rollen glänzten die Solisten des Chors. Der wiederum überraschte mit frischen, jungen Stimmen und einer unglaublichen Homogenität (Einstudierung: Vitaly Polonsky). Den Schlusschor gestaltete Currentzis sehr frei als hochexpressive, hochromantische und hochkonzentrierte Ausdrucksmusik, ohne den melodischen Bogen zu zerstören.
Das kann man, einschließlich der Verdunkelung des Saals, für Kitsch halten. Aber es scheint aus dem Herzen zu kommen und es spricht letztendlich selbst dann zu ihm, wenn man den Hokuspokus durchschaut.
Standing Ovations
Das Publikum reagierte mit stehenden Ovationen. Wenn man mit offenen Ohren durch das Foyer geht, kursieren hier auch die unter Musikern gängigen Anekdoten über die schlagtechnische Inkompetenz des Dirigenten. Currentzis hat zwar ein neues Orchester ohne festen Sitz gegründet, aber das kann ein taktisches Manöver sein: Man wird sehen, ob da nicht die gleichen Musiker lediglich unter anderem Namen spielen.
Und es geht weiter mit Business as usual. Currentzis plant mit musicAeterna als nächstes konzertant Wagners "Tristan und Isolde". Die Aufführung wird in Moskau geprobt, gespielt und nach Baden-Baden exportiert. Andreas Schager steht seit kurzem nicht mehr auf der Besetzungsliste. Aber Matthias Goerne scheint noch willens, für den König Marke Umwege bei der Anreise auf sich zu nehmen.
So lange sich das Publikum und die Veranstalter an der schmutzigen Finanzierung nicht stören und unter Verbiegung moralischer Messlatten darauf verweisen, dass auch andere Sponsoren der Salzburger Festspiele keine blütenweiße Weste haben, wird sich nichts ändern. Aber schon Hans Pfitzner, der seine Oper "Palestrina" mit einem Schopenhauer-Motto überschrieb, wonach die Kunst als "ätherische Zugabe" schuldlos und "nicht blutbefleckt" über der Weltgeschichte schwebe, musste erfahren, dass derlei Eskapismus auf lange Sicht nur mit stärksten Verletzungen funktioniert.
Currentzis gastiert am 12. Dezember mit dem SWR Symphonieorchester in der Isarphilharmonie. Karten unter Telefon 93 60 93
- Themen:
- Kultur
- Salzburger Festspiele