Pianist Pogorelich im Prinzregententheater: Colt und Beretta
AZ-Interview mit Ivo Pogorelich: Auf seiner neuen CD und am Sonntag im Prinzregententheater spielt der 63-Jährige Werke von Chopin.
"Dieser Mann ist ein Genie!" Martha Argerichs empörter Ausruf beim Chopin-Wettbewerb von 1980 in Warschau, als die Kollegen ihrem Favoriten die Final-Teilnahme verweigerten und sie aus der Jury austrat, katapultierte ihn ins Zentrum weltweiter Aufmerksamkeit.
Seine Karriere verlief danach wechselhaft, nach dem Tod seiner Frau und einstigen Klavierlehrerin Alisa Keseradse zog er sich zeitweise ganz zurück.
Pogorelich über Chopin: "Modernität hat mich früh fasziniert"
AZ: Herr Pogorelich, was hat Sie zu dem reinen Chopin-Programm bewogen?
IVO POGOLERICH: Die Stücke gehören zu den Spätwerken Chopins. Einige dieser Werke habe ich das erste Mal in sehr jungen Jahren gespielt - auch gegen den Rat meines damaligen Lehrers: Ich war 15, als ich die Sonate Nr. 3 unbedingt lernen wollte. Ich war fasziniert von diesem rätselhaften wie bedeutsamen Werk - und mein Lehrer war strikt dagegen.
Was hat Sie als 15-Jähriger damals an der Sonate Nr. 3 so fasziniert?
Nur wenige Menschen haben eine Ahnung, warum Chopin den ersten Satz in dieser sehr modernen Art komponiert hat: Das Muster A-B-A ist zwar eine typische Sonatenhauptsatzform, das Material aber ist modern, und es gibt etwa kurze Sequenzen völlig unterschiedlichen Charakters - und diese Modernität und Rätselhaftigkeit hat mich früh fasziniert.
Pogorelich: "Ich musste ich erst einmal lernen, Nein zu sagen"
Nach dem Eklat beim Warschauer Chopin-Wettbewerb seien Sie in eine Welt voller Kommerz und Gemeinheiten geraten, haben Sie einmal erzählt. War es so schlimm?
Es war noch viel schlimmer! Ich war ganz seltsamen Ideen ausgesetzt: In Los Angeles, wollten Vertreter eines Fernseh-Senders, dass ich mich in einer Art von Soap Opera selbst spiele und dafür meine Biografie ändere: "Wir wollen es etwas dramatischer gestalten und zeigen, wie Sie aus Ihrem Land entkommen sind, denn das ist spannend für unser Publikum."
Und wie haben Sie reagiert?
Natürlich habe ich das nicht gemacht! Es gab einfach unglaublich viele Leute, die mit mir schnelles Geld machen wollten. Ich musste ich erst einmal lernen, Nein zu sagen. Hinzu kam diese unglaubliche mediale Öffentlichkeit, wo sehr oft über Musik geschrieben wurde, ohne dass die Leute auch nur irgendeine musikalische Ausbildung gehabt hätte...
"Bin allein meinem Leben und meiner Arbeit nachgegangen"
In den 80er-Jahren hatten Sie das Image eines Popstars, nicht zuletzt durch Ihr Auftreten - würden Sie rückblickend wieder so auftreten?
Wie kommen Sie darauf, dass ich wie ein Popstar ausgesehen hätte? Habe ich mein Haar gefärbt? Als ich meine Karriere begann, war es die Zeit des Punk. Sah ich wie ein Punk aus? Künstlerisch-musikalisch gab es nie etwas, das mich als Popstar charakterisiert hätte. Das war nur das Bild von mir, das durch die Fotos auf den Titelseiten zahlreicher Magazine und deren Geschichten über mich entstanden ist - oftmals Zeitschriften, die zuvor noch nie über einen klassischen Musiker berichtet hatten.
In den letzten Jahren schienen Sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen zu haben. Was war der Grund?
Ich bin allein meinem Leben und meiner Arbeit nach meinen eigenen Prinzipien nachgegangen. So lerne ich bis heute immer wieder neues Repertoire und frische bereits gespielte Werke neu auf: Eines der beiden Nocturnes auf meinem jüngsten Album etwa habe ich erstmals gespielt, da war ich noch keine 13 Jahre alt, das andere kurze Zeit später - insofern wiederhole ich beständig Vergangenes, das ich mir wieder vornehme, um noch mehr darin zu finden.
"Nennen Sie mir ein Beispiel, wo ich die Tempi verändert habe"
Neben der Musik sollen Sie viel gewandert sein - was hat Sie in die Berge gezogen?
Wenn man in der Schweiz lebt wie ich, liegt es natürlich nahe, in den Bergen zu wandern. Das Wasser und die See hatten für mich schon immer eine natürliche Anziehungskraft besessen, nicht zuletzt da mein Großvater auf einer Insel im adriatischen Meer lebte. Doch für das eigene Wohlbefinden ist es eben auch sehr gut, einmal dieses Meeres-Klima zu verlassen - und die Schweizer Alpen haben mir genau diesen Wechsel versprochen. Insofern sind Spaziergänge in den Bergen für mich ebenso gesund wie inspirierend.
Inspirierend auch für Ihre Interpretationen? Gelten diese doch als eher unkonventionell, da Sie gern die Tempi oder auch Angaben in den Noten ändern würden…
Glauben Sie, dass Chopins Musik als konventionell galt, als sie erstmals veröffentlicht worden ist? Warum hat der Begriff unkonventionell solch einen negativen Beigeschmack? Nennen Sie mir ein Beispiel, wo ich die Tempi verändert habe. Dann erhalten Sie von mir wie in einer TV-Quiz-Show als Preis eine Waschmaschine!
"Ich versuche den Vorstellungen des Komponisten bis ins kleinste Detail zu folgen"
Nichtsdestotrotz gibt es Kritiker, die eben solche Eigenwilligkeiten bei Ihnen immer wieder anmerken.
Ich habe es ja eben schon erwähnt: Irgendein Ahnungsloser schreibt irgendwann einmal etwas Dummes in einem Artikel - und das wird dann immer wieder aufs Neue wiederholt. Ich versuche den Vorstellungen des Komponisten bis ins kleinste Detail zu folgen. Mein Klang ist so wohl austariert und reich an Farben - wenn wir das mit einem Thema unserer Tage vergleichen wollen…
Gern - ich bin gespannt…
Das neueste iPhone hat weit mehr Gigabytes als das erste Modell - ich bin der Pianist, der über diese weit mehr Gigabytes verfügt und muss insofern nichts verändern. Ich gebe Ihnen ein anders Beispiel: Vor vielen Jahren war ich in Philadelphia und trat dort mit dem Philadelphia Orchestra auf. Auf dem Programm stand Rachmaninows zweites Klavierkonzert und im ersten Satz gibt es eine Stelle, wo die Klarinette und das Klavier dasselbe Motiv spielen, eine Art von Kanon wie ein Dialog. Die Probe war zu Ende und der Klarinettist - ein toller Musiker mit einem fantastischen Klang - kam zu mir und fragte mich: Jedes Mal, wenn wir mit Ihnen als Solist spielen, nehmen wir unsere Noten mit nach Hause und üben weiter - warum passiert uns dies nicht bei anderen Künstlern?
Und was haben Sie gesagt?
Ich habe ihm geantwortet: Als Amerikaner verstehen Sie sicher auch etwas von Pistolen und Gewehren. Wissen Sie, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer Colt-Pistole vom Kaliber 45 und einer Beretta vom Kaliber 38? Natürlich, sagte er - und ich erwiderte ihm: Ich spiele mit einem kalibrierten Klang - eine Kugel des Kalibers 38 würde niemals in das Kaliber 45 passen und umgekehrt. Warum also nehmen Sie die Musik mit nach Hause? Weil Sie einen passenden Zugang zu meinem Sound finden wollen.
Prinzregententheater, Sonntag, 27. Februar, 20 Uhr, Karten (ab 46,20 Euro) unter Telefon 089/936093. Die CD "Chopin" (Sonate Nr.3, op. 58, Fantasie op. 49, Nocturnes Nr. 13 & 18) bei Sony
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