Interview

Neues Album von Ludwig Seuss: Trommeln auf dem Klavier

Der Pianist Ludwig Seuss spricht über sein neues Album, seine Liebe zum Blues und seine Jahrzehnte in der Spider Murphy Gang.
Dominik Petzold
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Ludwig Seuss (rechts) mit dem Schlagzeuger Manfred Mildenberger.
Ludwig Seuss (rechts) mit dem Schlagzeuger Manfred Mildenberger. © Christoph Bombart

Der Münchner Pianist und Organist Ludwig Seuss hat mit Schlagzeuger Manfred Mildenberger ein tolles Album aufgenommen: "Funky Boogaloos and Mellow Slow Drags". Der Titel verrät auf verspielte Weise, was drinsteckt: Rhythm & Blues und Boogaloo-Groove, Blues und sehr schöne Balladen - und das alles sehr virtuos gespielt. Das Album ist in Manfred Mildenbergers Studio "Cultfactory" auf dem Werksgelände entstanden und hat einen wunderbar warmen Sound. Und weil sich der nirgends besser entfaltet als auf Vinyl, erscheint das Album konsequenterweise nur auf Schallplatte.

AZ: Herr Seuss, wie ist das Album entstanden?
LUDWIG SEUSS: Ich hatte meine vorletzte Platte in Manfred Mildenbergers "Cultfactory" aufgenommen. Eine Nummer haben wir nur als Duo gespielt, und da hatten wir die Idee, mal ein ganzes Album zu zweit zu machen. Als dann in der Pandemie alle Gigs abgesagt wurden, hatten wir Zeit dafür. Aber es ist dann doch keine Duo-Platte geworden.

Mit der Zeit kamen immer mehr Gäste dazu

Wieso?
Schon bei der zweiten Session kam der erste Gast dazu, Maximilian Hirning, ein Freund von Manfred. Er hat auf demselben Gelände seinen Übungsraum, kam vorbei und hat gleich mitgespielt. Und bei ein paar Stücken haben Bassist Tom Peschel und Gitarrist Titus Vollmer aus meiner regulären Band gespielt - und dessen Sohn Victor Vollmer, der ebenfalls Gitarre spielt.

Auch Nick Woodland kam vorbei und hat den "Time Blues" gesungen.
Das sollte ein Instrumental werden. Nick hat zur gleichen Zeit seine neue Platte aufgenommen, auf der ich mitgespielt habe. Wir kennen uns schon ewig. Ich habe bei ihm 1984 gespielt, das war meine erste Profiband. Er hat die Nummer gehört und hat spontan einen Text dazu geschrieben.

"Jerry Lee ist ein großes Vorbild von mir"

Sie haben Eigenkompositionen aufgenommen, aber auch drei Cover-Versionen. Wie haben sie die ausgewählt?
Manfred ist Fan von J.J. Cale, da hatte ich die Idee, dessen unbekanntere Nummer "Cloudy Day" aufzunehmen. "You Gotta Move" ist ein Blues-Song mit Gospel-Anklängen, den habe ich zum ersten Mal auf "Love You Live" von den Stones gehört. Die Version ist Wahnsinn, die auf "Sticky Fingers" genauso. Und die Jimmy Reed-Nummer "You Don't Have To Go" haben wir spontan aus dem Hut gezaubert. Ich habe auf der Fahrt ins Studio die letzte Jerry Lee Lewis-Platte gehört, die Jim Keltner produziert hat, eine Wahnsinnsplatte. Jerry Lee ist ein großes Vorbild von mir, er ist in seiner Art zu spielen unerreicht. Meine Version ist an seine angelehnt.

Auf diesem Stück singen Sie, ansonsten nur noch auf "Wintertime Blues No. 2". Wieso?
Eigentlich sollte es eine reine Instrumental-Platte werden. Aber bei "Wintertime Blues No. 2" hatte ich mal wieder eine Idee zu einem Text, und die Nummer wollten wir mit drauf nehmen. Live singe ich viel mehr, bei einer R&B-Band muss ja gesungen werden.

Sie haben fast alles live aufgenommen. Inwiefern ist das anders, als wenn man Schicht um Schicht einspielt?
Schicht um Schicht aufzunehmen ist furchtbar. In den Achtzigern wurde das so gemacht - und zum Schluss hatte man eine tote Nummer. Aber es kommt natürlich drauf an: Wenn Prince nacheinander alle Instrumente gespielt hat, klang es trotzdem lebendig.

"In meiner ersten Band habe ich Schlagzeug gespielt"

Sie haben auf einem echten Klavier aufgenommen. Wieso ist das so ein großer Unterschied zu E-Pianos?Ich sage zu meinen Bandkollegen auf Tour oft: Ich muss am meisten leiden. Jeder Gitarrist schwärmt von seiner Telecaster oder seiner Les Paul. Ich habe ein sehr gutes E-Piano mit gewichteten Tasten, aber es ist nicht dasselbe, als wenn man echte Saiten hat und die Dynamik unter den Fingern spürt. Auf einem akustischen Klavier spielt man vollkommen anders. Auf guten Aufnahmen hört man immer ein richtiges Klavier.

Wie sind Sie zu dem Instrument gekommen?
Ich hatte als Kind Unterricht und habe Klassik gespielt, aber schon mit zehn hatte ich so ein Boogie Woogie-Notenheft, und das hat sich mir gleich erschlossen. Da habe ich angefangen zu improvisieren. Außerdem habe ich mir viel bei anderen herausgehört, zum Beispiel bei den Hamburger Boogie-Woogie-Pianisten Vince Weber und Axel Zwingenberger, die in den Siebzigern sehr bekannt waren. Und dazu kamen die einschlägigen Rockbands: die frühen Stones mit Ian Stewart oder Lynyrd Skynyrd, die auch einen guten Pianisten hatten. In meiner ersten Band habe ich aber Schlagzeug gespielt.

Wieso das denn?
Da sind wir wieder beim Thema: Damals gab es noch keine guten E-Pianos. Die rhythmische Komponente ist mir sehr wichtig. Bei Boogie Woogie und Blues-Piano ist es im Grunde, als ob man Trommeln auf dem Klavier spielt.

"Ich hätte nie gedacht, dass die Spider Murphy Gang so lange spielt"

Sie spielen in Deutschland mit vielen tollen Musikern, haben aber auch mit US-Originalen wie Louisiana Red gespielt. Merkt man da einen Unterschied?
Absolut. Jemand wie Louisiana Red denkt einfach nicht darüber nach, was er spielt. Das war eine Urgewalt. Er hatte auf der Bühne kein Zeitgefühl, wurde immer von seiner Frau von der Bühne geholt, sonst hätte er stundenlang weitergespielt. Wenn er einen Song angefangen hat, wusste man nie, in welcher Tonart er spielt oder wie lange er auf einer Akkordstufe bleibt. Wenn man die Musik lernt, überlegt man sich: Welche Tonleiter passt bei einem bestimmten Akkord? Authentische Blueser wie Louisiana Red oder Muddy Waters machen das nicht. Die können gar nicht erklären, was sie spielen.

Haben Sie auch in den USA gespielt?
Ja, ein paar Mal. Ich wurde zum Beispiel von der Sängerin Lillian Boutté nach New Orleans eingeladen. Da spielte ich mit Shannon Powell, der Schlagzeuger bei Dr. John war, und Lloyd Lambert, der Kontrabass auf Little Richards "Tutti Frutti" gespielt hatte. Er hat mir erzählt, dass er dafür 50 Dollar bekommen hat, das war's.

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Seit 36 Jahren sind Sie auch Pianist der Spider Murphy Gang. Hätten Sie sich das träumen lassen, als Sie in den Achtzigern eingestiegen sind?
Ich hätte nicht gedacht, dass es eine Band gibt, die so lange spielt. Es macht Spaß und ist immer ein Erfolg. Da kann live nichts schief gehen, man muss nur mit "Mia san a bayrische Band" anfangen und hat den Laden schon im Griff. Über die Jahre ist es ein Best-of-Programm geworden, aber das nimmt uns keiner übel. Es ist zwar auch schon viel Routine dabei, aber es geht live richtig ab. Guter Rock'n'Roll!

Ist es bei der Spider Murphy Gang einfacher als bei manchen anderen Bands, weil es eine klare Hierarchie gibt?
Es ist nicht wirklich hierarchisch. Es ist klar, dass Günther Sigl der Boss ist, aber er nimmt die Rolle nicht wirklich in Anspruch. Es ist kein Bandleader, der jemandem sagen würde, wie er spielen soll. Er freut sich, dass er mit guten Leuten zusammenspielt, dass alle Spaß haben - das ist ihm das wichtigste. Deshalb ist das mit der Band immer eine schöne Sache.


"Funky Boogaloos and Mellow Slow Drags" von Ludwig Seuss und Manfred Mildenberger gibt es bei Optimal Records (Kolosseumstr. 6) und kann bestellt werden unter www.galileo-mc.de. Live stellen Seuss und Mildenberger die Platte am 28. März im Lustspielhaus vor, 20 Uhr, Karten: lustspielhaus.de

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