Interview

MünchenMusik-Veranstalter: Wo bleibt ein klarer Fahrplan?

Für private Veranstalter wie MünchenMusik sind 500 Besucher im Gasteig keine Perspektive. Andreas Schessl lässt die geltenden Regeln daher juristisch prüfen.
Robert Braunmüller
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Der 59-jährige Münchner Andreas Schessl hat Horn und Betriebswirtschaft studiert, 1984 eine erste Konzertreihe organisiert und bis 1996 als Plattenmanager gearbeitet.
Der 59-jährige Münchner Andreas Schessl hat Horn und Betriebswirtschaft studiert, 1984 eine erste Konzertreihe organisiert und bis 1996 als Plattenmanager gearbeitet. © Penguinmoon

Die Bayerische Staatsoper spielt - mit einer kurzfristig erteilten Sondergenehmigung - vor 500 Besuchern. Am Dienstag weitete Ministerpräsident Markus Söder diesen Pilotversuch auch auf den Gasteig aus, wo die Münchner Philharmoniker am Freitag unter Valery Gergiev ihre Saison eröffnen. Für Andreas Schessl von MünchenMusik bleibt die Lage schwierig.

AZ: Herr Schessl, werden Sie demnächst auch wieder Konzerte in der Philharmonie veranstalten?
ANDREAS SCHESSL: Zumindest bis mindestens Ende November nicht. Das Problem ist die Kurzfristigkeit, mit der die Politik von einem Tag auf den anderen entscheidet. Darauf können nur staatliche und städtische Kulturinstitutionen wie die Staatsoper oder die Münchner Philharmoniker reagieren. Wir brauchen mehr Vorlaufzeit. Und weil wir als private Veranstalter nicht von der Öffentlichkeit bezuschusst werden, können wir keine Konzerte mit 200 Besuchern planen.

Warum brauchen Sie eine Vorlaufzeit?
Für die Absprachen mit den Künstlern und den Abschluss von Verträgen, die derzeit besonders kompliziert sind, weil die Lockerungen auch wieder zurückgenommen werden könnten. Wir müssen den Kartenverkauf vorbereiten und die Marketing-Maßnahmen planen. Das geht nicht prophylaktisch, weil das mit viel Geld verbunden ist.

Schessl: Klassische Konzerte sind keine Superspreading-Events

Trotzdem: 500 Besucher sind mehr als 200.
Ja, gewiss. Schwierig ist auch hier dennoch wieder der zu knappe Vorlauf. Und schwierig finde ich auch, dass die Regelung nur für zwei ausgewählte Spielstätten gilt und nicht auch für andere Säle, beispielsweise das Prinzregententheater. Wir veranstalten außerdem Konzerte in der Nürnberger Meistersingerhalle mit 2.100 Plätzen. Für diesen Saal gilt die Regelung ebenfalls nicht. Die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt sind außerdem bereits vorhanden oder werden gerade ausgewertet - etwa bei dem Konzert von Tim Bendzko in Leipzig oder den Salzburger Festspielen.

Es ist kein Fall einer Infektion bei einem Konzert bekannt geworden.
Mein größter Verdruss ist, dass in der Öffentlichkeit durch die zaghafte Politik der Eindruck erweckt wird, klassische Konzerte seien Superspreading-Events. Das Gegenteil ist der Fall. Das Publikum verhält sich diszipliniert. Ein Konzertbesuch ist wesentlich ungefährlicher als viele andere Dinge, die im Moment erlaubt sind.

Wie sieht Ihr Corona-Spielplan aus?
Wir haben in den letzten Wochen einen Ersatz-Spielplan erarbeitet - etwa kleinere Konzerte in größere Säle zu verlegen und Programme zweimal zu spielen. Das wäre beispielsweise in der Philharmonie bei zwei Mal 700 Besuchern und gleichzeitigem Entgegenkommen aller Beteiligten eventuell wirtschaftlich. Aber weil wir nicht wissen, welche Regelungen für Oktober und November gelten werden, sind unsere Planungen vor jeder politischen Entscheidung ein Sandkastenspiel.

Wie sieht es anderswo aus?
Wir veranstalten unter anderem auch Konzerte in Berlin, Österreich und der Schweiz. Dort ist derzeit mehr möglich. Nur in München, unserem wichtigsten Standort, entwickeln wir derzeit einen Plan B, C und D…

Hoffnungen auf mehr Konzerte im Dezember

Die Hauptsaison für Konzerte ist die Vorweihnachtszeit.
Meine Hoffnungen richten sich auf den Dezember. Insbesondere eine Aufführung von Bachs "Weihnachtsoratorium" wäre mein Wunsch. Wir haben für Veranstaltungen Hygienekonzepte entwickelt, die von zwei Ämtern der Stadt auch akzeptiert worden wären. Aber in der bayernweiten Verordnung sind keine Ausnahmen für die 200er-Regelung vorgesehen. Ich vergönne dem Gasteig und der Staatsoper ihre Pilotphasen, aber ich möchte nicht anders behandelt werden.

Wäre da nicht eine juristische Klärung fällig?
Ich habe am Freitag eine Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht - nicht wegen der 200er-Begrenzung, sondern wegen der fehlenden Ausnahmeregelungen für geschlossene Räume, wie es sie für Open-Air-Veranstaltungen bereits gibt. Man darf in die Olympiahalle derzeit nur so viele Leute hineinlassen wie ins Prinzregententheater. Das erscheint mir sachfremd. Und es geht aktuell immer nur darum, mit Umsicht und mit einem Hygienekonzept Veranstaltungen durchführen zu können - angepasst an die Größe des Saals und bei Einhaltung eines Mindestabstands.

Ist MünchenMusik in Kurzarbeit?
Ja, unsere mit der Durchführung von Konzerten beschäftigten Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Ein Kernteam arbeitet weiter an der aktuellen und zukünftigen Planung.

Schessl: Aus der Politik kommen keine Lösungen

Hören Ihnen Politiker zu?
Ich hatte gute Gespräche mit Vertretern der Stadt und des Freistaats. Niemand verschließt sich Gesprächen, alle hören einem zu. Aber es hat auch niemand eine Lösung. Ich wünsche mir weniger erratische Entscheidungen und einen klaren Fahrplan für die nächsten Monate.

Leider ist das Infektionsgeschehen aber nicht vorhersehbar.
Das ist klar. Aber es wäre schön, wenn die Interessen der Veranstalter, die auf ihr Budget achten müssen, stärker berücksichtigt würden.

Wie nehmen Sie die Situation freiberuflicher Künstler wahr?
Teilweise herrscht große Verzweiflung. Ein junger aufstrebender Künstler tut sich schwerer als jemand, der viele Jahre gut im Geschäft ist. Renommierte Stars finden eher Engagements, aber für weniger bekannte Künstler und Ensembles ist die Krise eine Katastrophe. Manche überlegen auch, gänzlich auszusteigen.

Wie ist Ihre Perspektive für die Zukunft?
Wenn ein Impfschutz existiert und ein paar Monate vergangen sind, wird sich die Lage in der Saison 2021/22 normalisieren. Ich befürchte zwar, dass das ältere Publikum, das beispielweise Kammerkonzerte besucht, etwas länger zögern wird. Aber sonst bin ich sehr optimistisch. Die letzten Monate haben gezeigt, dass das Bedürfnis nach live gespielter Musik groß ist.

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