Mit großen Gefühlen

Kent Nagano wird ab Ende Juli die Berge, das Bayerische Staatsorchester und den Staatsopernchor vermissen
Georg Etscheit |
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Heute dirigiert er seine letzte Premiere: George Benjamins Oper „Written on Skin“ im Prinzregententheater. Nach einem „Parsifal“ am 31. Juli verlässt Kent Nagano als Generalmusikdirektor die Bayerische Staatsoper, um 2015 in gleicher Funktion an die Hamburgische Staatsoper zu wechseln.

Herr Nagano, Bayerns Kunstminister Wolfgang Heubisch erwartet von Ihrem Nachfolger Kirill Petrenko mehr Emotion. Sind Sie so ein kühler Kopfmensch?

KENT NAGANO: Das müssen Sie meine Frau fragen. Aber im Ernst: Kunst ohne Emotion geht nicht. Es geht auch nicht ohne Spiritualität und Poesie. Aber natürlich auch nicht ohne einen intellektuellen Prozess. Wir machen ja keine Schönheitsoperation, die nur an der Oberfläche bleibt.

Ein anderes Klischee über Sie lautet, dass Sie vor allem Spezialist fürs Moderne sind.

Wir leben nun mal im 21. Jahrhundert und müssen uns mit der Musik unserer Zeit auseinandersetzen. Wenn wir die große Tradition der klassischen Musik am Leben erhalten wollen, müssen wir auch in die Zukunft investieren. Das Repertoire muss immer die Chance haben, zu wachsen. Also habe ich im Interesse eines starken Profils nicht nur einen starken Akzent auf Wagner und Strauss gesetzt, sondern auch auf Opern des 20. und 21. Jahrhunderts. Die deutsche Erstaufführung von George Benjamins Oper „Written on Skin“ wird hier den Schlusspunkt setzen.

Sie haben anfangs sehr stark die Tradition der Staatsoper betont und intensiven Kontakt mit Wolfgang Sawallisch gepflegt. Warum?

Sawallisch, den ich schon länger kannte, hat die Staatsoper mehr als zwei Jahrzehnte geleitet und geprägt. Er hat, was sehr ungewöhnlich war, jede unserer Premieren, die er im Radio hörte, schriftlich kommentiert. Das war unglaublich generös, wie viel Zeit er sich dafür nahm. Solch eine Beziehung zwischen zwei Dirigenten gibt es nicht oft.

Wie denken Sie heute über den „Don Giovanni“ von 2009, der als Ihr größter Flop gilt?

Es war eine komplizierte Produktion. Es gab elementare Differenzen zwischen der inszenatorischen und der musikalischen Seite, die nicht unbedingt förderlich waren. Außerdem wirkte sich die Gestaltung des Bühnenbilds akustisch sehr unfreundlich aus. Offensichtlich misst sich heute aber alles am Premierenstatus. Vor Jahren hat man das „Work-in-progress“ sehr viel ernster genommen.

Bergs „Wozzeck“ in der Regie von Andreas Kriegenburg, der später dann zusammen mit Ihnen Wagners „Ring“ realisierte, wurde dagegen als Sternstunde gewertet.

Die Produktion war ein gutes Beispiel dafür, dass man zwischen dem musikalischen Konzept und dem Konzept des Regisseurs keinen Bruch gespürt hat. Das war eine Einheit, da stimmte alles. Für mich war das eine Überraschung, weil ich das erste Mal mit Kriegenburg zusammenarbeitete und er in Sachen Oper noch nicht so erfahren war. Aber er ist eben ein großer Künstler.

Was werden Sie am meisten vermissen, wenn Sie München verlassen?

Das Bayerische Staatsorchester und den Staatsopernchor. Diese wunderbaren Klangkörper haben ein kollektives Gedächtnis und man hat immer wieder den Eindruck, ja, so und nicht anders, muss etwas klingen. Das ist ein Stück Wahrheit in der Musik. Und ich werde das Publikum vermissen. Dass sich die Leute so stark mit ihrer Oper identifizieren gibt es nicht oft.

Werden Sie auch die Weißwürste vermissen?

Sicher.  Und die Berge. Ich war oft in den Alpen und bin dort gewandert. Mit meiner Familie, aber auch allein. Das ist großes Theater.

Welchen Grund gibt es für einen Münchner, bald mal wieder nach Hamburg zu fahren?

Die Elbphilharmonie.

Glauben Sie wirklich, dass die fertig wird?

Ich hatte in meiner Zeit an der Oper in Lyon Gelegenheit, den früheren französischen Staatspräsidenten François Mitterrand zu sprechen, der als Sohn eines Architekten viele große öffentliche Bauten geschaffen hat. Ich fragte ihn, wie er das alles zustandebrachte. Darauf antwortete er mir, er war ein weiser Mann: Erstens muss das Projekt einen Nutzen für die Menschen haben. Zweitens muss man zu dem Punkt kommen, an dem es teurer ist, eine Baustelle abzureißen, als weiterzubauen.

Ist dieser „point of no return“ in Hamburg schon erreicht?

Es ist klar, dieses tolle Haus muss fertig werden. Nach meinem Gefühl – und da bin ich sicher nicht der Einzige – wurde nun nach vielen Umwegen die Zielgerade erreicht.

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