Jan Böhmermann in München: "Freistaat? Wie großkotzig kann ein Bundesland sein?"
Bei der neuen Tour verschmelzen eine satirisch-politische Revue, subversive Show, herausragende Musik und spitze Lyrik zu einer hochfesten Unterhaltungslegierung, wie sie niemand sonst auf Bühnen gießen und schmieden kann", kündigt Jan Böhmermann an.
AZ: Herr Böhmermann, nach zwei Auftritten im Zenith spielen Sie mit dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld am 24. Januar erstmals in der Olympiahalle – größer wird's in München nicht.
JAN BÖHMERMANN: Es ist höchst erstaunlich! In Köln spielen wir sogar an zwei Abenden in der Lanxess Arena: Das ist alles ein bisschen bizarr. Und toll. Ich freue mich natürlich.
Wie fühlt sich das Bad in der Menge an, auf solch riesigen Bühnen, wenn man es sonst gewohnt ist, in eine kleine Kamera hineinzuspielen?
Weiß gar nicht, ob ich da baden werde in der Olympiahalle. Ist das technisch möglich? Nein, diese Sendung herzustellen, ist ja so ein Nine-to-five-Job, oder eher nine-to-nine. Man sitzt da zwölf Stunden im Büro. Für die Tour besinnen wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen vom Rundfunk-Tanzorchester auf die Qualitäten, die uns dazu getrieben haben, das zu machen, was wir machen: Wir sind ja hauptsächlich Bühnen-Menschen. Deswegen räumen wir uns alle zwei Jahre regelmäßig Platz frei in unseren Terminkalendern. Denn: Das macht leider nochmal ganz anders Spaß als eine Fernsehsendung. Weil man in echten Kontakt tritt mit echten Menschen. Weil ein Abend, an dem das Orchester durchspielt, immer ein schönerer Abend ist. Weil man alles live machen muss, nicht wiederholen kann. Weil es der größte Spaß ist, den man haben kann.

Klingt, als würden Sie sofort Ihre Sendung absetzen, um noch mehr solcher Glücksgefühle einsammeln zu können.
Nee, alle zwei Jahre ist genau richtig. Auf Tour zu sein ist auch wahnsinnig anstrengend. Allein der logistische Aufwand: drei große LKWs allein für das Orchester. Plus drei Tour-Busse. Ein riesiger Aufriss, das kann man gar nicht öfter machen. Eine Mischung aus Sendung und Bühne ist schon reizvoll.
"Die Ärzte waren eine lyrische Erleuchtung"
Wie man an Ihrem neuen Song "Faschismus is back" wieder sieht, wäre in der Tat ein famoser Entertainer an Ihnen verloren gegangen. Hat es Sie von klein auf zur Bühne gezogen?
Ich muss gestehen: Ja, das ist schon ein bisschen pathologisch, eine Veranlagung. Seit ich acht bin, stehe ich auf irgendwelchen Bühnen: Schüler-Kabarett, Kinder-Theater, Kinder-Zirkus, Radio, Fernsehen, Internet. Kürzlich habe ich für unsere Sendung über Lokaljournalismus alte Zeitungsartikel aus der Lokalzeitung rausgesucht. Da gibt es Fotos, wo ich schon als Zehnjähriger auf der Bühne Quatsch mache. Vielleicht war das ein bisschen Beschäftigungsprogramm, damit meine Eltern mal Ruhe haben. Es zog mich also immer schon da hin. Aber so eine Tour ist auch körperlich anstrengende Arbeit. Ich fange tatsächlich gerade mit dem Training dafür an.
Was für ein Training?
Stimmbandtraining. Nicht, dass ich dann an Tag drei keine Stimme mehr habe!
Wer waren Ihre frühen Helden in der Musik?
Die "Ärzte" waren die erste Band, bei denen ich das Gefühl hatte: Ach, guck mal, was für eine performative und lyrische Erleuchtung! Ich war aber auch immer schon ein großer Fan von Theatermusik. In der dritten Klasse habe ich im Schülertheater ein komplettes Musical gespielt. Die Tour, die wir jetzt spielen, ist ja ein politischer Liederabend. Klar, es gibt ein tolles Konzert, aber die Songs sind natürlich politische Songs, kabarettistische Stücke, mehr oder weniger Genre-Parodien, die vor allem über den Text kommen. Ich finde es immer gut, wenn man Musik als Transportmittel für Inhalt nutzt.
"Der erste, der mich verklagt hat, war Lukas Podolski"
Was für ein Musical war das damals in der dritten Klasse?
"Knasterbax und Siebenschütz", nach dem Kinderbuch von Werner Schrader. Ich war der Räuber Knasterbax, hatte die Rolle lustigerweise von einem meiner heutigen Rechtsanwälte übernommen, der drei Klassen über mir war und nicht mehr spielen durfte, weil er auf die weiterführende Schule kam. Heute ist er Anwalt und ich Künstler – wer weiß, was gewesen wäre, wenn die Rollen damals anders verteilt worden wären.
Als Ihr Anwalt hat der Mann ja ordentlich zu tun…
Ich habe letztens mal nachgeschaut: Es ist fast 20 Jahre her, dass ich zum ersten Mal richtig groß verklagt wurde, von Lukas Podolski. Der hatte Christian Schertz als Anwalt, der inzwischen auch mich mehrmals vertreten hat und den ich kurz vor dieser ersten Klage als Rechts-Dozenten im Rahmen meiner Journalistenausbildung hatte. Da hat er am Ende des Seminars, wie das sonst gar nicht so seine Art ist, ein bisschen auf dicke Hose gemacht und gesagt: "Wir werden uns eines Tages alle wiedersehen!" Aber dass das vor Gericht sein würde und er die Gegenseite vertritt, hätte ich nicht gedacht.

Wissen Sie, warum die Causa Schönbohm versus ZDF, die ja aus einem Beitrag in Ihrer Sendung "ZDF Magazin Royale" resultiert, ausgerechnet am Münchner Landgericht verhandelt wird?
Ich frage mich auch, warum diese Klage erst ein Jahr nach der Sendung eingereicht wurde, was für äußerungsrechtliche Beanstandungen ja frivol spät ist. Aber der Anwalt des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist erfahren im Führen von spektakulären Rechtsstreitigkeiten. Er hat auch schon den Prinz von Preußen vertreten, in seinem vergeblichen Bemühen, die alten Reichtümer der Hitler-Kollaborateure der Familie Hohenzollern von der Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen. Ich wünsche da alles Gute.
Was haben Sie dem BSI-Präsidenten Schönbohm in der Sendung vorgeworfen?
Es ist nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ein Problem für die Innere und Äußere Sicherheit, wenn der Präsident einer wichtigen deutschen Sicherheitsbehörde einen engen Umgang zu einem zwielichtigen Lobbyverein mit Verbindungen zu russischen Nachrichtendiensten und einer von amerikanischen Sicherheitsbehörden beobachteten russischen IT-Firma pflegt. Schon der bloße Anschein wäre unmöglich. Aber die fragwürdige Beziehung war Fakt, der ehemalige BSI-Präsident hatte diesen windigen Lobbyverein auch noch privat mitgegründet. Er findet das alles ganz unproblematisch, das "ZDF Magazin Royale" nicht. Unsere Recherche steht, die Fakten stimmen, unsere Meinung über die Eignung des ehemaligen BSI-Präsidenten ist fundiert und unverändert. Es ist und war im öffentlichen Interesse, den BSI-Präsidenten laut und deutlich zu kritisieren. Dass ausgerechnet der Redaktion einer frechen ZDF-Satireshow nach Kriegsbeginn 2022 als Erstes auffällt, was da eigentlich an der BSI-Spitze los ist, tut mir ja wirklich leid. Und persönlich kann ich auch nachvollziehen, dass Herr Schönbohm jetzt auf der Suche ist nach einem Schuldigen und dass es ihm als langjähriger Spitzenbeamter vielleicht etwas schwer fällt, zuerst mal bei sich selbst zu suchen. Dass unsere Sendung ursächlich für die Versetzung des ehemaligen BSI- Präsidenten durch die Bundesinnenministerin war, ist ein clever gesponnenes Märchen. Schon vor unserer Sendung lagen im Innenministerium eine ganze Reihe von Vorwürfen gegen den ehemaligen BSI-Chef vor. Auch das ist umfassend und seriös belegt.
Haben Sie auf "Faschismus is back" schon Feedback aus den Rechtsabteilungen von "NZZ", "Welt" und "Berliner Zeitung" bekommen? Die haben im Video ja recht unappetitliche Leser…
Das Feedback kommt seit Jahren zuverlässig in Form von regelmäßig schlechten Besprechungen meiner Sendungen. Ich nehme das schon wahr und gönne allen die Böhmermann-Hate-Klicks. Aber ich singe ja nicht fürs liebe Feedback. Ich finde es einfach lustig, die traurige politische Gegenwart in einen tanzbaren Song zu pressen.
"Die Rivalität ins Blut gerutscht"
Wie ist Ihr Verhältnis zu Bayern, zu München?
Ich bin ja nun leider Bremer, ein sehr lokalpatriotischer obendrein, und das Bundesland Bremen ist ja der komplette Gegenentwurf zum Freistaat Bayern. Allein das Wort Freistaat – wie großkotzig kann ein Bundesland sein? Der Bremer ist ein bescheidener Hanseat, der nicht so gern hausieren geht, mit dem, was er hat und kann. In Bayern ist es andersherum. Als geneigter Fußballfan der 90er-Jahre ist mir diese Rivalität zwischen Bremen und München schon ziemlich ins Blut gerutscht. Ich bin aber beruflich oft in München, finde es immer eine ganz tolle Atmosphäre und sehr freundlich – wenn nicht gerade Oktoberfest ist. Da fürchte ich mich immer davor, im Käferzelt von zwielichtigen Rechtsextremen zum Champagner eingeladen zu werden.
Nochmal in die Olympiahalle: Bei manchen Tour-Stopps haben Sie Promis wie Herbert Grönemeyer, Scooter oder Danger Dan aus dem Hut gezaubert. Ist für München auch eine Überraschung geplant?
Ich darf natürlich nicht verraten, was wir vorhaben. Aber: ja, wir haben uns was Besonderes ausgedacht. Ich würde mir wünschen, dass Claus Weselsky, der ehemalige Chef der GDL, dem wir mal einen Song gewidmet haben, nach München kommt. Dann würden wir ihm in der Olympiahalle einen Thron bauen und ihm den Song singen. Ich weiß nämlich nicht, wie ich ihn im Ruhestand erreichen kann; vielleicht klappt das ja über die AZ. Richten Sie ihm das gerne aus!
Jan Böhmermann & Das Rundfunk Tanzorchester Ehrenfeld spielen am 24. Januar 2025 in der Olympiahalle