Gestern, heute und für immer: Acht Geschichten zum 80. Geburtstag von Paul McCartney
Die 40er: Die Konzerte des Vaters
Mr McCartney sitzt am Klavier, er ist wie immer der Mittelpunkt der Party. Um ihn herum lauter euphorisierte, musikbegeisterte Menschen, die die bekannten Songs aus voller Kehle mitsingen. Auch der kleine Paul. Der Junge, geboren am 18. Juni 1942 in Liverpool, liebt es, seinem Vater Jim McCartney an Klavier und Trompete zuzuhören. Egal, ob dieser in den 40er und 50er Jahren für ihn und seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Mike im kleinen Wohnzimmer der Familie spielt oder wie jedes Jahr an den Silvesterfesten für die Verwandten, diese feierfreudigen, herzlichen, liebevollen Menschen aus der Liverpooler Arbeiterschicht.
Später, als Jim McCartney wegen Arthritis nicht mehr Klavier spielen kann, übernimmt bei den Festen sein älterer Sohn. Und nochmals später verlangt die Verwandtschaft bei diesen Gelegenheiten nach "Let It Be" und anderen Welthits. "Aber das wollte ich nie. Es schien mir nicht koscher", sagt Paul McCartney, der im elterlichen Wohnzimmer seine Liebe zu Musik und Entertainment entdeckte.
Die 50er: Das Treffen mit John
Die Geschichte der Popmusik, wie wir sie kennen, beginnt im Garten einer Kirche. Am Nachmittag des 6. Juli 1957 begleitet der 15-jährige Paul McCartney seinen Freund Ivan Vaughan zu einem Fest der Gemeinde St Peter's. Paul will Mädchen aufreißen, doch er trifft jemand anderen, einen 16-Jährigen, den er vom Sehen kennt: John Lennon, der bei dem Kirchenfest mit The Quarrymen Skiffle spielt.
In der Pause zwischen zwei Auftritten stellt Vaughan die beiden einander vor. Der angetrunkene John gibt sich gegenüber dem eindreiviertel Jahre jüngeren Paul distanziert, doch dann spielt der auf der Gitarre Eddie Cochrans "Twenty Flight Rock" und auf dem Klavier Jerry Lee Lewis' "Whole Lotta Shakin' Goin' On".
John ist beeindruckt, will Paul in die Band holen, schickt als Boten den Waschbrett-Spieler der Band los. Aber bis der Paul zufällig trifft, vergehen noch ein paar Wochen. Dann antwortet Paul auf das Angebot, in Johns Band einzusteigen: "Ich überleg's mir."
Die 60er: Die "Mondlandung" der Beatles
Am Abend des 9. Februar 1964 beschließt Tom Petty (13) aus Florida, mit der Rockmusik anzufangen. Billy Joel (14) aus New York ebenfalls. Die kalifornischen Teenager John und Tom Fogerty, Doug Clifford und Stu Cook gründen an dem Abend ein Quartett, das einige Jahre später als "Creedence Clearwater Revival" bekannt wird. Chrissie Hynde (12) aus Ohio weiß noch genau, wo sie saß, als sie den Eindruck hatte, "einer Invasion Außerirdischer" beizuwohnen.
Wie praktisch jeder US-Rockstar der nächsten Generation sehen sie alle die Beatles an diesem Abend im Fernsehen in der "Ed Sullivan Show". Und sind vom Donner gerührt, als Paul McCartney mit "All My Loving" und "Till There Was You" loslegt.
Zwei Tage zuvor sind die Beatles in den USA gelandet, wie geplant erst zu dem Zeitpunkt, als sie hier ihre erste Nummer-eins-Single haben, was mit "I Want To Hold Your Hand" gelungen ist. Der Hype ist gewaltig, vom Moment ihrer vielbekreischten Ankunft am New Yorker Flughafen an. Und ihr erster, von 73 Millionen Amerikanern gesehener Fernsehauftritt ist dann ein Ereignis "wie die Mondlandung", wie sich Nancy Wilson von Heart erinnert. Sie trifft an diesem Abend neunjährig ihre Berufswahl.
Die 70er: Ein Song für James Bond
Anfang der Siebziger nimmt Paul McCartney den Auftrag an, den Titelsong zu einem neuen James-Bond-Film zu schreiben - worauf er insgeheim schon lange Lust hatte. Erstmals nach dem Ende der Beatles arbeitet er 1973 wieder mit Produzent George Martin zusammen, das Ergebnis ist spektakulär: Man muss den Film gar nicht sehen, die Verfolgungsjagden und Explosionen sind im Song "Live And Let Die" schon zu hören.
Martin fliegt mit einer Vorpressung der fertigen Aufnahme zu Filmproduzent Cubby Broccoli, und der sagt: "Ein schönes Demo. Aber wann macht ihr's fertig?" Er denkt, dass McCartneys Gesang durch eine Sängerin ersetzt wird. Aber auch mit der Stimme des berühmtesten Popmusikers der Welt wird das Stück ein Hit.
Die 80er: Das Erbe der Beatles verwalten
1989 geht Paul McCartney nach fast zehn Jahren wieder auf Tour. Erstmals in seiner Solo-Karriere wird er viele Beatles-Songs spielen. Von nun an, neun Jahre nach dem Tod John Lennons, wird er das Erbe der Band repräsentieren. Und so beginnt die Welttournee in Hamburg, wo die Beatles von 1960 bis 1962 in endlosen Clubnächten zu einer grandiosen Rockband reiften, unter anderem im "Kaiserkeller".
Dort gibt McCartney die Pressekonferenz zum Tourneestart. Und der Wirt eines anderen Reeperbahn-Lokals, "Gretel & Alfons", verkündet zu diesem Anlass, dass ihm die Beatles noch 84,70 Mark schulden. Sie hatten stets anschreiben lassen und einmal pro Woche gezahlt - nur nicht in der letzten Woche vor ihre Abreise. McCartney lässt ihm 200 Mark und ein Tourplakat bringen, auf das er schreibt: "Sorry it took 27 years". Er landet einen schönen PR-Coup, eine triumphale Tour beginnt.
Die 90er: Mit Rock gegen die Trauer
Als 1998 Pauls Frau Linda stirbt, versucht er seine Trauer auf dieselbe Weise zu bewältigen wie nach dem Tod seiner Mutter Mary 1956: mit Rock'n'Roll. Für das Album "Run Devil Run" nimmt er Lieblingssongs seiner Jugend auf, und die spielt er live bei einem Auftritt im nachgebauten Cavern Club - den echten historischen Kellerclub haben Liverpools Stadtoberen 1973 abreißen lassen, um ein Parkhaus zu bauen.
Den Fans ist's egal, angeblich eine Million Menschen wollen sehen, wie Paul erstmals seit 1963 wieder in der Mathew Street auftritt. Unter den 300 glücklichen Zuschauern, die Karten bekommen, ist einer, der Pauls Humor nicht ganz trifft: Er verlangt lautstark "Satisfaction".
"Read my lips", er solle ihm von den Lippen ablesen, sagt der verdutzte, ansonsten immer charmante Paul McCartney ins Mikrofon. Dann folgt, ohne Mikro, eine Aufforderung, die mit dem Buchstaben "F" beginnt und die man nicht nur in Liverpool versteht.
Die Nullerjahre: Wenn Privates öffentlich wird
Mit 16 schreibt Paul McCartney "When I'm Sixty-Four", mit 24 nimmt er den Song für das Beatles-Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" auf. Das Stück im Music-Hall-Stil handelt von den Freuden eines gemütlichen Familienlebens im reiferen Alter. Zu seinem eigenen 64. Geburtstag im Jahr 2006 könnte Paul nicht weiter davon entfernt sein.
Einen Monat zuvor trennt er sich von seiner zweiten Ehefrau Heather Mills, kurz darauf reicht er die Scheidung ein. Die Charity-Lady hat der Öffentlichkeit eine teils frei erfundene Biografie aufgetischt, hält sich für fast ebenso prominent wie ihren Gatten, drängt diesen bei öffentlichen Auftritten oft in den Hintergrund und - da hört der Spaß wirklich auf - kennt als Mrs McCartney kaum einen Beatles-Song.
Vor der Scheidung bewirft sie ihn mit übelstem Schmutz, macht Pauls sorgsam gehütetes Privatleben zum Stoff für die britische Boulevardpresse. Doch alles geht gut aus: Die Öffentlichkeit steht fest auf der Seite ihres nationalen Heiligtums.
Und weil Heather Mills auch vor Gericht offenkundig lügt, entscheidet der Scheidungsrichter, sein Urteil ungewöhnlicherweise zu veröffentlichen: Paul wird komplett reingewaschen. 2011 heiratet er die US-Unternehmerin Nancy Shevell, die mit seiner ersten Frau Linda befreundet gewesen ist.
Die Zehner Jahre: Paul kommt nicht in den Club
Nach der Grammy-Verleihung 2016 will Paul McCartney zu einer After-Show-Party in Hollywood, im Schlepptau hat er Foo Fighters-Schlagzeuger Taylor Hawkins (der kürzlich verstorben ist) und Beck. Offenbar wurden sie falsch gelotst, sie landen nicht bei der Party von Mark Ronson, sondern von Rapper Tyga. Und zu der Feier kommen sie nicht rein: Der Türsteher sieht Paul und macht ihm die Tür vor der Nase zu.
"How VIP do we gotta get?", sagt McCartney belustigt. Ja, wie berühmt muss er wohl noch werden, der Mann, der zu dem Zeitpunkt mit den Beatles und als Solokünstler allein in den USA 26 Nummer-eins-Alben und 29 Nummer-eins-Singles hatte und nun vor einer verschlossenen Clubtür steht? "Wir brauchen noch einen Hit, Mann!", sagt er zu Beck. "Arbeite daran!"
Paul McCartney macht's dann doch selbst und liefert die Hits mit seinen nächsten Alben "Egypt Station" (2018) und "McCartney III" (2020), auf dem er sämtliche Instrumente selbst spielt. Der musikbegeisterte Mann aus Liverpool, der am heutigen Samstag seinen achtzigsten Geburtstag feiert, erreicht mit diesen beiden Alben in den weltweiten Charts noch einmal die Position, die ihm in der Popgeschichte sowieso gebührt: Platz eins.
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