Gesellschaftskritik und Vokuhila: Paula Carolina im AZ-Interview

Paula Carolina begeistert mit Vokuhila, NDW-Revival und ironischen Texten. Die AZ hat sie getroffen und mit ihr über ihr neues Album "Extra" gesprochen.
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Paula Carolinas Debütalbum "Extra" erscheint am 27. September
Paula Carolinas Debütalbum "Extra" erscheint am 27. September © Eric Joe Nagel

München- Mit ironisch-politischen Texten und Vokuhila ist sie eine treibende Kraft im Neue Deutsche Welle-Revival: Paula Carolina. Die Wahlberlinerin ist im Allgäu aufgewachsen und hat in Augsburg Lehramt studiert und 2022 wieder abgebrochen, um sich voll und ganz der Musik zu widmen – mit Erfolg: Ihre Songs erzielen mittlerweile Millionen von Klicks. Nach der gefeierten EP "Heiß/Kalt" (2023) erscheint am 27. September ihr Debütalbum "Extra", mit dem sie im Oktober in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Tour geht. Die Sängerin und Songwriterin mischt darin gekonnt Indie-Pop mit Elementen aus Future-Punk und Techno und lässt ironische sowie gesellschaftskritische Texte auf pulsierende Beats treffen. Die AZ hat sie auf dem Superbloom-Festival in München getroffen und mit ihr über die Entstehung des Albums gesprochen, ihre Erfahrungen auf Tour und warum "Extra" genauso laut, schrill und facettenreich ist wie sie selbst.

Paula Carolina im AZ-Interview: "Wenn ich ein Zuhause habe, dann ist es das Allgäu"

AZ: Hallo Paula Carolina. Schön, dich zu treffen. Wie geht es dir heute?
PAULA CAROLINA: Gut. Bisschen müde, aber gut.

Du hast als Teenagerin im Allgäu gelebt. Fühlst du dich noch mit deiner Heimat verbunden?
Ja, das ist immer noch mein Zuhause. Ich bin selten nur an einem Ort, aber wenn ich ein Zuhause habe, dann ist es das Allgäu. Meine Eltern wohnen noch da und da bin ich immer, wenn ich versuche runterzukommen.

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Du bist zurzeit unheimlich viel unterwegs. Hat das Unterwegssein deinen kreativen Prozess beeinflusst?
Ja, aber ich glaube nur gut. Deswegen klingt die Musik so wie sie klingt – sie geht sehr nach vorne. Ich glaube, so ist auch mein Leben in den letzten zwei Jahren gewesen. Wir waren sehr inspiriert, haben viel gemacht – das merkt man oft nicht, wenn man unterwegs ist. So klingt die Musik auch mittlerweile, finde ich. Die ist sehr tanzbar. Wir hatten sehr viel Spaß und dementsprechend klingt es jetzt auch.

Gab es da Orte, die dich besonders inspiriert haben?
Die Bühne ist da ein krass wichtiger Ort, weil das Album zwischen den Bühnen entstanden ist, aber auch für die Bühne. Wir hatten bei der ersten EP gar keine Ahnung, was wir von den Menschen wollen, die vor der Bühne stehen. Dann haben wir gemerkt, dass das, was wir eigentlich wollten, nicht passiert ist. Da habe ich die Musik für mich so geschrieben, dass ich das bekomme, dass ich auch haben will: Das sind tanzende, springende und glückliche Leute. Das ist mir sehr wichtig. Ich finde, wir haben zurzeit so viele Dinge im Leben, die uns unglücklich machen können. Musik sollte ein Ort sein, wo man entweder in den Schmerz rein kann oder auch in die Freude. Ich mag es eher, wenn die Leute in die Freude gehen. Das andere finde ich immer schwer anzuschauen.

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Wie kamst du zum Albumtitel “Extra”?
Ich glaube, was mich mittlerweile ausmacht, ist sehr viel Lebensenergie, sei es positive oder negative. Die Songs, die jetzt auf dem Album sind, sind alle emotional extrem. Entweder sehr traurig oder sehr gesellschaftskritisch oder extrem glücklich. Ich finde an Kunst cool, dass man das, was man fühlt, in die Extreme treiben kann, um es zu verarbeiten und um danach weniger extrem zu fühlen. Ich mag es, wenn Leute bei uns in Ekstase fallen. Deswegen finde ich es auch wichtig, dass du auf einen sehr traurigen Song, plötzlich einen Song wie "Kein Bock" anmachst, wo die Leute nach links und rechts springen. Da ist so eine Trap-808 drunter und davor war nur eine Gitarre und Gesang. Und diese Extreme, die aufeinander klatschen, sind wie ein Gewitter, wo die Leute eine krasse Zeit haben.

Was ist dein persönlicher Lieblingssong auf dem neuen Album?
Ich glaube, es ist "Extra", deswegen habe ich das Album auch rückwirkend komplett umbenannt. Das war der letzte Song, den ich für das Album geschrieben hab. Vom Aufbau her ist mein absoluter Lieblingssong auf dem Album "Alles wieder gut" weil der so anders ist als der Rest. Hätte der auf dem Album gefehlt, wäre dieses "Extra" nur extra lustig, ironisch und Abriss gewesen. Da hat aber noch ein "Extra" gefehlt und "Alles wieder gut" hat es dann vollendet.

Du verarbeitest in deinen Songs persönliche Erlebnisse, viel Gesellschaftskritik, viel Feminismus. Wie entscheidest du dich für Themen, die du in deinen Songs ansprechen möchtest?
Es ist nicht wirklich eine Entscheidung. Ich sitze mit meinem Gitarristen und mit einem Freund von mir, der jedes Instrument spielt, im Studio. Wir schreiben seit "Trophäe" alles zusammen und kennen uns extrem gut. Oft jammen wir einfach und irgendwann schrei’ ich: "mach das nochmal". Wir nehmen mittlerweile auch alles direkt auf, da wir sonst alles wieder vergessen, weil wir in diesen Momenten zu kreativ sind. Dann ist irgendwas Musikalisches da und ich bin sehr szenisch in meinem Kopf. Zum Beispiel haben wir eine Bassline, die entweder nach Ironie oder Witz klingt. Für mich klingt die immer nach irgendwas. Da ist sofort eine Situation in meinem Kopf. Es muss auch nicht immer exakt so passiert sein, aber man kann darstellen, wie sich etwas angefühlt hat. "Danke Dirk" ist zum Beispiel ein Song, wo die Situation nicht genau so passiert ist, aber es stand einfach ein Gefühl im Raum und die Musik klang danach. Das macht uns, glaube ich, auch einfach aus, dass mein Kopf durch die Musik einfach einen Film hat. Manchmal ist er witzig, manchmal nicht.

Gibt es Themen, die dir schwerfallen beim Songwriting?
Ich hatte das ganz lange mit traurigen Themen. Es fällt mir viel leichter witzige Texte zu schreiben und irgendwelche Alliterationen aneinander zu klatschen. Es ist leichter zu gucken was passiert und witzige Wortkonstruktionen zu finden. Das ist wie eine Lernaufgabe. Es ist schwieriger, ein Gefühl einzufangen, das nicht witzig ist. Ich habe sehr viele Songs geschrieben, wo ich während der Produktion gemerkt habe, dass es mir zu persönlich ist. Es gibt deswegen nur ein paar Songs, die so persönlich sind, wo ich mich immer wieder mit dem einen Thema auseinandergesetzt habe. Ich habe aber sehr viele solcher Songs. Da gibt es irgendwann mal ein Album, das thematisch ein bisschen anders ist als bisher.

Ist da schon etwas Konkretes in Planung?
Ich habe schon den Titel für mein zweites Album, aber noch keinen Song davon. In meinem Kopf habe ich auch das Cover dafür. Die Titel für die einzelnen Songs habe ich auch schon. Ich habe da so eine Geschichte für das Album, die aus dem Nichts in meinem Kopf gelandet ist. Ich freue mich riesig auf die Tour, aber danach will ich direkt weg und das zweite Album schreiben. Mal schauen, ob ich das durchsetzen kann, ich habe noch nie so viele Shows gespielt (lacht).

Paula Carolina über Musik und Politik: "Wir ändern nicht die Wahlergebnisse"

Mit Songs wie "Angst frisst Demokratie" und "Danke Dirk" setzt du politische Statements. Welche Rolle sollte Musik deiner Meinung nach im politischen Diskurs spielen?
Ich finde, Politik ist etwas, was gerade niemand schafft zu verarbeiten. Kunst im Allgemeinen ist unsere einzige Möglichkeit, das Ganze emotional zu verstehen, was da passiert. Ich glaube, vor allem unsere Generation hat noch nicht fünf Bundeskanzler gewechselt und weiß, dass es da Phasen gibt. Ich glaube, für uns fühlt sich gerade alles, was gerade passiert, wie das Ultimum an. Da ist es sehr leicht, in ein sehr schlechtes Gefühl reinzufallen. Es passieren aber auch viele gute Dinge. Das, was neulich bei den Landtagswahlen passiert ist, ist natürlich scheiße. An so einem Punkt waren wir seit sehr vielen Jahren nicht. Aber ich glaube, es braucht vielleicht auch diesen Schockmoment, damit sich Leute aufraffen und politische Organisationen gründen. Und Musik ist eine dieser Organisationen, die plötzlich hochkommt und wo sich mehr Leute trauen, politische Musik zu machen.Aber sich gerade als Musiker:in politisch zu äußern ist nicht die geilste Position. Es gibt andere Künstler:innen, die noch politischer sind als wir, die sehr viel Hass abbekommen.

Denkst du, Musik kann trotz der Schwierigkeiten politische Veränderungen bewirken?
Ich finde, wir haben Momente, wo wir "Das Ende" oder "Angst frisst Demokratie" spielen, und die Leute einfach sehr viel Emotion im Gesicht haben. Und das ist die Antwort auf die Frage. Die Leute müssen ja jetzt irgendwas fühlen. Die Leute müssen sich trauen zu ihrer Oma oder wem auch immer hinzugehen und zu sagen "hey, lass mal reden". Als Band ist es glaube ich unsere Aufgabe, zu sagen "ihr seid nicht alleine mit dem, was ihr fühlt". Wir ändern jetzt nicht die Wahlergebnisse. Wir können mit den Menschen reden, aber die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, wählen ziemlich wahrscheinlich nicht die Parteien, die wir nicht feiern. Die meisten sind schon in unserer Blase. Das Schwierige, aber Wichtige ist, irgendwie aus seiner Blase rauszukommen. Ob das jetzt mit Musik ist oder mit auf eine Demo gehen oder mit der Oma reden. Im besten Fall macht man alles.

 Veganer Salat und alkoholfreies Bier: "Die neue Form des Rock and Roll"

Neben dem Politischen behandelst du ja auch viel das Tourleben auf dem Album. Wie schaffst du es einen kühlen Kopf zu bewahren auf Tour?
Ich habe Noise Cancelling Kopfhörer, die finde ich super (lacht). Und mittlerweile ist es mir wichtig, mich zurückzuziehen. Als Sängerin ist es leicht, bis Nachts um drei zu bleiben und dann am nächsten Tag völlig im Arsch zu sein, aber am nächsten Tag wieder auf die Bühne zu müssen. Mittlerweile ist es für mich auf jeden Fall wichtig, mich zurückzuziehen. Wir stehen mittlerweile vor super vielen Leuten und man kann da superschnell abheben und sagen "ich bin die Königin der Welt". Das gute ist, dass die Leute, die bei uns vor der Bühne stehen, super entspannt sind. Wir haben auch eine sehr bodenständige Crew und trinken alle wenig Alkohol. Bei uns gehen die Leute morgens Joggen. Ich glaube das ist auch die neue Form von Rock and Roll irgendwie. Du kannst vor 35.000 Leuten spielen und Bands, die vor genauso vielen Leuten gespielt haben, sitzen Abends noch da und ziehen sich nen veganen Salat rein, trinken 0,0% Bier und steigen geduscht in ihren Nightliner. Und die genießen das Leben mehr, hab ich das Gefühl. Mein Umfeld besteht aus sehr entspannten Leuten und keiner ist so durchgedreht, wie das vielleicht mal in der 80ern war.

Paula Carolina auf dem Superbloom
Paula Carolina auf dem Superbloom © Superneo/Celli Pratter

Gibt es Künstler:innen, mit denen du gerne einmal kooperieren würdest?
Ja, da gibt’s ein paar tolle Menschen. Wenn ich international gehen würde, dann Paramore oder Wet Leg. Da hätte ich extrem Bock. Das sind einfach ganz inspirierende, tolle Sängerinnen. In Deutschland würde ich natürlich – unreachable (dt. unerreichbar)- mit den Ärzten was machen. Ich hätte auch extrem Bock nochmal was mit Kraftklub zu machen. Wir standen zwar schonmal zusammen auf der Bühne, aber würde gerne nochmal mit ihnen kooperieren. Das sind ganz tolle, sehr bodenständige Jungs. Auf Großstadtgeflüster mit Jen hätte ich auch Bock. Sie und ihre Jungs haben auch einen Remix von unserem Song "Extra" gemacht. Jen hat auch gesagt, dass wir mal was zusammen machen müssen.

Aber sonst gibt es leider nicht so viele weibliche Künstlerinnen, mit rockigerer Indie Musik, wo irgendwelche Plattenfirmen es sinnvoll finden gemeinsam was zu machen. Es gibt in Deutschland wenig  weibliche Vorbilder. Ich hätte gerne was mit Wir sind Helden gemacht, aber das ist ja gerade nicht möglich. Die waren halt eine Band mit weiblicher Frontfrau bei Rock am Ring. Das gibt’s in Deutschland nicht so oft.

Wenn wir schon bei Rock am Ring sind: Hast du eine Dream-Venue oder ein Traumfestival, wo du gerne einmal auftreten möchtest?
Rock am Ring und im Park wär mein größter Festivaltraum. Und Venue-mäßig würd ich gerne mal die Wuhlheide selbst verkaufen. Aber das extrem weit weg, in zehn Jahren vielleicht mal. Das erste Mal, das wir vor so vielen Leuten gespielt haben war, mit Kraftklub und da haben wir uns alle gedacht, dass wir hier irgendwann mal selbst spielen wollen.

Hast du besondere Rituale, die du machst, bevor du auf die Bühne gehst?I
ch hör ganz viel Musik mit treibendem Schlagzeug und viel rotzigem Bass. Bei "Teil dieser Band" von Kraftklub singt er "von 17 Uhr Festival Opener zu 17.000er Open Air"- das ist mein letzter Song den ich höre, bevor ich auf die Bühne gehe. Aber sagt es nicht Felix (Kummer), sonst sagt er ich bin Fangirl (lacht). Und sonst mache ich auch davor immer Sport. Und ich brauche meine Ruhe bevor ich auf die Bühne gehe, das ist mir wichtig.

Das Debütalbum "EXTRA" von Paula Carolina ist am 27. September 2024 via superpolrecords erschienen. 

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