Cristian Macelaru: Globalisierung und Nationalität
Er zählt zu den führenden Dirigenten seiner Generation. In Köln wirkt Cristian Macelaru seit 2019 als Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters. Vor zwei Jahren wurde der 42-jährige Rumäne überdies zum Musikdirektor des in Paris ansässigen Orchestre National de France in Paris ernannt, mit dem er am Sonntag in der Isarphilharmonie gastiert. Auf dem Programm stehen Werke von Maurice Ravel und César Franck. Daniil Trifonov spielt das Klavierkonzert von Alexander Skrjabin.
AZ: Herr Macelaru, gibt es einen deutschen und französischen Klang?
Cristian Macelaru: Es gibt jedenfalls Unterschiede. Im dunklen, tiefen Klang haben deutsche Orchester eine größere Tradition. Dagegen haben französische Orchester eine große Tradition im klaren, hellen Klang – eine Leichtigkeit des Klangs. Darüber hinaus differiert teilweise auch der Instrumentenbau, etwa bei den Klarinetten. Auch das ergibt ein besonderes Timbre.
"Der BR zählt zu meinen Favoriten"
Obwohl ein Klangkörper wie das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, bei dem Sie 2017 debütiert haben, in diesem Sinn sehr französisch klingen kann.
Das stimmt. Ihre Transparenz des Klangs kann unglaublich sein. Der BR zählt zu meinen Favoriten unter den Orchestern auf diesem Planeten. Es bleiben aber Unterschiede. Ich selber spiele Geige. Die französische Bogentechnik folgt einem anderen Verständnis. Als Dirigent könnte ich das gar nicht ändern, selbst wenn ich wollte und es versuchte.
Trotzdem hat Anne Sophie-Mutter schon vor Jahren betont, dass in einer globalisierten Welt die Diskussion um klangliche Nationalitäten obsolet sei. Stimmt das?
Natürlich gibt es heute kein Orchester, das nur eine Nationalität hat. Überall kommen Musiker aus unterschiedlichen Ländern zusammen, mit unterschiedlichen Hintergründen und Sichtweisen. Ein perfektes Orchester ist für mich ein Klangkörper, der sich auf diese individuelle Identität der Mitglieder einlässt. Gleichzeitig kommt es auch auf eine innere Flexibilität an.
Französischer vs. deutscher Stil
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie den Flötisten Emmanuel Pahud: Er wechselt agil zwischen dem französischen und deutschen Stil. Als Dirigent kann ich solche Haltungen unterstützen und fördern.
Beim jetzigen Gastspiel leiten Sie Ravels "Ma mère l'oye" und die Symphonie d-moll von Cesar Franck. Woher kommt Ihre Verbindung zur französischen Tradition?
Durch David Zinman. In den USA konnte ich bei ihm Meisterkurse besuchen. Da hatte ich den Eindruck, in einen direkten Kontakt mit Pierre Monteux zu treten. Der 1964 verstorbene französisch-amerikanische Dirigent war Zinmans Lehrmeister.
Hörgewohnheiten und Traditionen
Wie frankophil wird jetzt das Klavierkonzert op. 2 von Alexander Skrjabin?
Das wird sich zeigen, aber: Es sind genau solche Befragungen von Hörgewohnheiten und Traditionen, die sehr aufregend sein können. Mit dem Zürcher Tonhalle-Orchester hatte Zinman einen aufregenden Beethoven-Zyklus aufgenommen: gar nicht schwer und wuchtig, fast schon frankophil. Zinman hat mein Leben verändert. Er hat mir zu 100 Prozent beigebracht, was es bedeutet, eine klare Vorstellung zu haben und diese dem Orchester zu zeigen – in der direktesten Art wie möglich.
Welches Land hat nach zwei Pandemie-Jahren mehr mit Publikumsschwund zu kämpfen: Frankreich oder Deutschland?
Innerhalb Deutschlands muss man die jeweiligen Länder betrachten. Meine Beobachtung ist: Je strenger die Maßnahmen für die Kultur waren, desto größer ist jetzt der Publikumsschwund. Bayern und München sind ein perfektes Beispiel dafür. Ich kenne großartige Orchester in Deutschland, wo der Kartenverkauf nur schleppend läuft.
Klassik-Publikum sehr diszipliniert
In Frankreich ist das nicht so?
Nein, nicht in dem Ausmaß. Nur in den ersten Monaten gab es strenge Auflagen. In Paris hatte ich fast während der gesamten Pandemie eine volle Besetzung mit Konzerten. Schon im September 2020 konnten wir mit Bläsern spielen, in Distanz. In Frankreich wurde die Verantwortung auch dem Publikum übertragen. Wir mussten und konnten klar belegen, dass das Klassik-Publikum generell sehr diszipliniert ist. In Deutschland zahlen wir jetzt den Preis dafür, dass die Kultur pauschal heruntergefahren wurde.
Das Konzert am 27. November in der Isarphilharmonie beginnt um 20 Uhr. Karten ab 55,40 Euro unter Telefon 936093, bei Münchenticket und muechenmusik.de