Staatskapelle Dresden und Bamberger Symphoniker: Ein dunkler Chor aus dem Jenseits

Die Staatskapelle Dresden und die Bamberger Symphoniker in der Isarphilharmonie.
Michael Bastian Weiß |
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Die Geigerin Julia Fischer.
Die Geigerin Julia Fischer. © Uwe Arens

Wer einmal die seltene Gelegenheit hat, dasselbe Werk kurz hintereinander in verschiedenen Besetzungen zu hören, sollte diese umgehend ergreifen. Nach einer vor Energie berstenden Interpretation des Violinkonzertes von Felix Mendelssohn Bartholdy durch Julia Fischer am Nachmittag kann man es kaum erwarten, am Abend zu erfahren, was ihrer Kollegin Karen Gomyo dazu einfällt – zudem sind die gebürtige Münchnerin und die Wahlberlinerin fast gleich alt.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Nicht nur die beiden Solistinnen erstaunen mit dem großen Unterschied ihrer Zugänge. Die größte Überraschung rührt von der jeweiligen Begleitung her. Konkret bekommt das Publikum die tiefgreifenden Auswirkungen vor Augen und Ohren geführt, die das Temperament des Dirigenten auf das Orchester ausübt. Julia Fischer hat die Sächsische Staatskapelle Dresden unter David Afkham auf ihrer Seite, Karen Gomyo die Bamberger Symphoniker unter Jakub Hruša.

Jakub Hruša, derzeit Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, wird neuer Musikdirektor des Royal Opera House in London.
Jakub Hruša, derzeit Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, wird neuer Musikdirektor des Royal Opera House in London. © picture alliance/dpa/CTK

David Afkham vielleicht zu entspannt?

Nach Christian Thielemanns gesundheitsbedingter Absage übernahm es David Afkham, die Dresdner durch ein reines Mendelssohn-Programm zu führen. Wie er schon bei anderer Gelegenheit bewies, ist der gebürtige Freiburger ein versierter Techniker, dem es auf ein entspannt natürliches Musizieren ankommt. Vielleicht zu entspannt? Sagen wir es so: Manche Dirigenten machen Yoga, um sich zu beruhigen. Afkham würde man stattdessen gerne unmittelbar vor dem Auftritt auf ein, zwei Tassen starken Kaffee einladen.

Mit Julia Fischer kann er schlichtweg nicht mithalten. So biegsam, wie sie beim Spiel gerne den Rücken durchdrückt, gestaltet sie die Artikulation; gerne packt sie motivische Entwicklungen am Schlafittchen und drängt sie ungeduldig nach vorn; manchmal lädt sie tiefe oder doppelgriffige Passagen wie elektrisch surrend auf. Es liegt wohl auch an der Akustik der Isarphilharmonie, wenn im Feen-Finale die Holzbläser der Solistin einen Sekundenbruchteil hinterher sind, und es wäre Aufgabe des Dirigenten, die Musiker im Hintergrund durch rechtzeitige Impulse auf dem Laufenden zu halten.

Dresdner Violinen klingen homogen

In Mendelssohns "Hebriden"-Ouvertüre und seiner "Schottischen", zeigt sich Afkham ebenfalls wenig ehrgeizig – wobei frappiert, wie homogen die Dresdner Violinen selbst aus der dritten Parkettreihe klingen.

Ohne es wissen zu können, erweist sich Jakub Hruša am Abend als genaues Gegenbild, wenn er im Eifer des Gefechts einmal sogar mit dem Stock ein Notenblatt der zweiten Violinen streift. Er schlägt den Takt nicht nur mit unmissverständlich auffordernder Deutlichkeit, sondern nimmt die Bamberger Symphoniker an neuralgischen Punkten geradezu in Empfang und zeigt ihnen mit einladenden Bewegungen den Weg. So braucht sich Karen Gomyo keine Sorgen zu machen, mit ihrer geläufigen Technik das Orchester abzuhängen. Ihr feiner Ton und ihre ausdrucksvolle Artikulation wären noch genießbarer, wenn da nicht die schluchzenden Portati und Lagenwechsel wären.

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Ist seine Begleitkunst bei Mendelssohn exzellent, muss man Jakub Hrušas Deutung der Symphonie Nr. 9 von Anton Bruckner phänomenal nennen. Mindestens. Der gerade einmal Anfang Vierzigjährige ist nicht der Typ Dirigent, der des Komponisten unendliche Weiten gleichsam sich aus sich selbst heraus entwickeln lässt. Hruša entwirft die gewaltige Architektur des Werkes mit einem schlafwandlerischen Gefühl für formalen Zusammenhang, für die verlaufende Zeit, für die Verteilung von Energie und Beruhigung.

Allein, mit welcher Kraft er das spezifische Gewicht des Orchesters in Bewegung hält! Die Bamberger Symphoniker verschenken unter ihrem Chefdirigenten Klangwunder ohne Ende: einen vor Leben strotzenden Streicherklang, risikobereite Holzbläser und eine Gruppe von acht Hörnern, die zusammenstimmt, als ob sie auf einem einzigen Mundstück blasen würde, aber erhaben klingt wie ein dunkler Chor aus dem Jenseits – sogar in der akustisch eher profanen Isarphilharmonie.

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