Kritik

Dirndl im Museum: Ausstellung in Augsburg zeigt verrückte Neu-Interpretationen

Eine famose Ausstellung im Textilmuseum Augsburg erklärt die Geschichte des einstigen Arbeitsgewands, das eine Operette berühmt gemacht hat.
von  Christa Sigg
Während der Wiesn tragen die Lufthansa-Stewardessen seit 2006 Dirndl. Hier 2016 von Krüger.
Während der Wiesn tragen die Lufthansa-Stewardessen seit 2006 Dirndl. Hier 2016 von Krüger. © Christoph Jorda

Die Dirndl-Dichte schießt gerade nach oben wie der Bolzen beim "Hau den Lukas“. Wer etwas auf sich hält, trägt auf dem Oktoberfest Tracht. Seit ein paar Jahren zumindest. Doch das Dirndl ist tatsächlich ein Dauerbrenner, und nicht ohne Grund. Denn das einstige Arbeitsgewand steht so ziemlich jeder Frau, man staunt manchmal über sein figurschmeichelndes Potenzial, und es ist ungemein variabel. Besonders in modischer Hinsicht.

Anders ist es kaum zu erklären, dass sich Fashionistas wie Kate Perry oder Kim Kardashian in den Alpen-Look hüllen und selbst Punk-Designerinnen wie Vivienne Westwood dem Dirndl neue, tendenziell grungige Facetten abgetrotzt haben. Ihre asymmetrischen, stellenweise fragmentarischen "Dirndl-Dresses“ zählen zu den schrägsten Entwürfen einer unterhaltsam informativen Ausstellung im Textilmuseum in Augsburg.

Am Ende ist ohnehin nichts mehr brav oder gediegen, die Jung-Entwerferinnen von der Deutschen Meisterschule für Mode waren so frei und haben den Klassiker dekonstruiert oder den Arztkittel eben mal zum Dirndl umgenäht, genauso die Richterrobe und sogar eine Uniform der Feuerwehr.

Man sieht jedenfalls, dass die taillierte Grundform immer und erstaunlich gut funktioniert. Die Schürze ist nicht unbedingt Pflicht, sie setzt allerdings einen deutlichen Akzent und unterstreicht die traditionelle Anforderung. Man sollte schließlich nicht schmutzig werden.

Aber das ist lange her, und wenn von Tradition die Rede ist, muss man ja doch den einen oder anderen Zahn ziehen. Denn die bayerischen Trachten, die zu einer bestimmten Gegend gehören, sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Die Anregung kam sogar von oben: Nach der 1848er-Revolution sollte das Nationalgefühl durch die Pflege von Bräuchen, Volksfesten und eine identitätsstiftende Kleidung gestärkt werden. König Maximilian II. ließ ein Programm zur Förderung von Trachten auflegen und machte sie außerdem hoffähig. Das hat der Sache einen gewaltigen Schub verpasst, und die Idylle kam gleich mit dazu.

Eine Operette macht das Dirndl berühmt

Bis heute gehört man mit Dirndl und Lederhosen einfach dazu. Auch als Tourist oder Sommerfrischler, egal ob aus Düsseldorf oder Berlin. Das wird "Im weißen Rössl“ so schön hochgenommen – seit 1897 im Theatererfolg von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg, dann 30 Jahre später im Singspiel von Ralph Benatzky. Und die Alpenbälle, die um 1880 herum in den großen Städten leicht 3000 Teilnehmer anziehen, tun ein Übriges.

Die perfekte Ausstattung liefern neue Firmen, auf hohem Niveau tun das Wallach in München und Lanz in Salzburg. Die Postkarten, die die Urlauber um die Welt schicken, sind wirksamer als jede Zeitungsannonce. Die Heimatfilme nach dem Zweiten Weltkrieg sorgen dann für die nächste Trachtenwelle. Denn was die Sisi (im Film mit Doppel-s) aus Possenhofen trägt, kann nicht verkehrt sein. Immerhin verliebt sich der österreichische Kronprinz in sie. Und für den "Förster vom Silberwald“ kommt auch nur ein Dirndl im Dirndl infrage.

Dass die Nazis das Kleid vereinnahmt und zu einer normierten Alltagstracht umfunktioniert hatten, schien in den 1950er Jahre schon wieder aus dem Gedächtnis gefallen zu sein. Die simplen Schnitte, die für jede Frau leicht umsetzbar sein sollten, veranschaulichen freilich auch den modischen Absturz. Ein Dirndl hatte in braunen Zeiten eben nicht chic zu sein, sondern bieder.

Sowieso war die im Trachtengeschäft höchst erfolgreiche jüdische Familie Wallach den Nazis ein Dorn im Auge, zumal ihre hochwertigen Kreationen und Muster - vom "Gänseblümchen“ bis zur "Tölzer Rose“ - seit den 1910er Jahren in ganz Europa geordert wurden. Auch die "Rössl“-Uraufführung hat das Münchner Unternehmen ausgestattet. Doch es gelang nur Moritz Wallach, mit seiner Familie in die USA zu emigrieren. Sein Bruder Max und dessen Ehefrau wurden 1942 in Theresienstadt ermordet.

Dieses dunkle Kapitel hat das Verhältnis zu Trachten durchaus beeinflusst. Auf der anderen Seite trug der Schriftsteller Oskar Maria Graf just im amerikanischen Exil dauernd seine Lederhose. Aus Heimweh. Doch das zeigt ja die Ambivalenz, die genauso die Dirndl betrifft.

1972 standen sie dann wie überhaupt die Olympischen Spiele in München für ein weltoffenes Deutschland. Die Hostessen trugen eine schnörkellose weiß-hellblauen Version, die sich nicht zuletzt durch die spätere Schwedenkönigin Silvia, damals noch Sommerlath, einprägen sollte.

Selbst der Kimono fügt sich in den Alpenzauber

Und jetzt? Zwischen Discount-Dirndl für weniger als 30 Euro und Haute Couture ist einiges geboten. Auch das führt das Kuratorenteam um Michaela Breil vor Augen. Wobei die Designer-Entwürfe selbstredend in der Überzahl sind. Von Lola Paltingers bewusst überdekorieren Glamour-Kleidchen für Promi-Mädis bis zu Susanne Bisovskys klug eingesetzter Opulenz mit Wiener Chic. Emanuel Burger greift für Gössl fulminant in die Historienkiste, während Lena Hoschek die Nostalgie zum Stilprinzip erkoren hat. Selbst Kimonos und Saris fügen sich ein. Doch all das beweist ja nur: Ein Dirndl geht immer. Egal wo und von wem es getragen wird.

"Dirndl - Tradition goes Fashion“ bis 19. Oktober im Textilmuseum Augsburg, Provinostr. 46, Di bis So 9 bis 18 Uhr, Katalog 148 Seiten, 24,90 Euro

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