Interview

Artmuc-Organisator: "Wir wollen Flagge zeigen"

Mit der 10. Artmuc beginnt eines der größten Kunstevents. Ein Gespräch mit Raiko Schwalbe über Vernunft und ökonomischen Wahnsinn.
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Valerie Ottes Skulptur "Finn".
Valerie Ottes Skulptur "Finn". © Artmuc

München - Kunst schauen geht immer, denkt man. Die Museen durften Mitte Mai wieder öffnen, die Galerien schon Ende April. Genau zu dieser Zeit wollte Raiko Schwalbe die zehnte Ausgabe seiner Kunstmesse Artmuc veranstalten - keine Chance. Das galt für alles, was er für den Sommer geplant hatte. "Dass es nun wieder losgeht, motiviert ungemein", sagt er. Die Künstler hätten ihm fast die Bude eingerannt. Nach einer kleinen Eröffnung am Vorabend gibt es ab Freitag auf der Praterinsel drei Tage lang Kunst: 75 Einzelkünstler sowie 20 Galerien und Projekte sind mit aktuellen Positionen zu erleben.

AZ: Herr Schwalbe, Sie bieten ein pralles Programm, hat das mit dem Jubiläum oder mit der Euphorie nach der langen Zwangspause zu tun?
RAIKO SCHWALBE: In der aktuellen Situation vor allem mit der Euphorie - und das betrifft alle, die mit im Boot sind, also die Künstler, Galeristen, Aussteller. Die acht Monate "Kunstzwangspause" haben uns allen geschadet. Das betrifft die Lebensqualität wie die wirtschaftliche Situation. Viele Künstler, auch Galeristen und besonders wir Veranstalter steuern immer mehr auf eine Insolvenz zu. Die Politik kümmert sich einfach nicht um uns. Dabei braucht es die Kultur mehr denn je.

Sie hatten im September einen Testlauf mit der Ausstellung "Artmuc re:start". Wie hat's funktioniert?
Bei der Sonderausstellung waren vor allem die Künstler dabei, denen wir im Mai absagen mussten, und die Zahlen sprechen für sich: Trotz Einlassbeschränkungen und strengem Hygienekonzept sind an zwei Tagen über 1.500 Besucher gekommen. Bei einer vergleichbaren Ausstellung im November letzten Jahres waren es 1.600. Und es wurde diesmal auch gut verkauft, einige Künstler hatten am Sonntagabend einen leeren Stand.

Persönliche Gespräche im Vordergrund

Kunstgänger gelten als diszipliniert.
Allerdings. Die Besucher haben geduldig gewartet, wenn es zwischendurch zu voll war. Und niemand ist krank geworden, das ist entscheidend. Wir haben ein hochprofessionelles Hygienekonzept, unsere Ausstellungen haben rein gar nichts mit einem Spreader-Event zu tun. Das Konzept für die Artmuc umfasst 13 Seiten und ist auch diesmal vom Gesundheitsamt genehmigt worden.

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Sie brauchen vermutlich viel Platz?
Ja, wir haben Ausstellerpositionen rausgenommen, die Abstände vergrößert. Und wir erfassen die Besucherdaten persönlich, um Fantasienamen auszuschließen. Alle tragen natürlich Mundschutz, es gibt Desinfektionsspender, wir engagieren sogar zwei Hygienebeauftragte, die kontrollieren. Wir haben ja keine Konzert- oder Theatersituation. Bei uns stehen persönliche Gespräche und Geschäftskontakte im Vordergrund. Das funktioniert aber bestens, wenn sich alle an die Regeln halten.

Wie lösen Sie den Einlass, muss man sich anmelden?
Wir bündeln den Einlass zu jeder vollen Stunden und erfassen die Daten direkt am Eingang, so dass sich alle Gäste entspannt auf die mehr als 100 Aussteller einlassen können.

Rechnet sich das alles? In diesem Jahr nicht.

Ihnen ist es wichtig, finanzierbare Kunst zu bieten. Mussten Sie die Preise den Umständen entsprechend erhöhen?
Nein, das würde unserem Prinzip widersprechen. Die Teilnehmer der Artmuc bieten Kunst vom unteren dreistelligen bis in den unteren fünfstelligen Bereich. Die Messe hat von Anfang an ein breites Spektrum geboten. Unsere Besucher sollen Kunst entdecken können und sich inspirieren lassen. Es geht auch nicht um eine Konkurrenz zu den etablierten großen Messen.

Rechnet sich das alles?
In diesem Jahr nicht. Ich musste Ausstellern absagen, habe eine Beschränkung der Besucherzahlen und muss einen fünfstelligen Betrag für Hygienemaßnahmen ausgeben. Außerdem bleibe ich bei meinem Grundsatz, dass die Teilnahmegebühren mindestens 15 bis 20 Prozent unter denen von vergleichbaren Messen liegen. Im besten Fall schließen wir mit einer schwarzen Null ab, aber darum geht es auch nicht - wir wollen Flagge zeigen. Wir wollen zeigen, dass Kunstevents in Zeiten von Corona sehr wohl funktionieren und sich keiner Sorgen machen muss.

Interessante Galerien und Künstlerinnen

Was hören Sie aus Künstlerkreisen?
Dort ist man für die Messe sehr dankbar. Bis August waren sämtliche Verkaufsausstellungen abgesagt, und nur ein Teil der Künstler konnte den Umsatzverlust mit Online-Verkäufen abdecken. Für die Künstlerinnen und Künstler ist aber auch der Dialog mit den Besuchern etwas ganz Wertvolles.

Wenn man den Katalog durchgeht, scheinen mehr Künstlerinnen denn je dabei zu sein.
Bei der Auswahl geht es der Jury vor allem um die Professionalität. Kriterien wie Alter oder Geschlecht lehnen wir ab. Ich hatte aber immer schon den Eindruck, dass die Künstlerinnen etwas aktiver sind als ihre männlichen Kollegen.

Ulrike Balkau: "Border Control".
Ulrike Balkau: "Border Control". © Artmuc

Haben Sie wieder besondere Partner im Boot?
Mit Marianne Augustin haben wir dieses Mal eine junge neue Galerie aus dem Chiemgau dabei, die auf konkrete Kunst spezialisiert ist. Das wird auf jeden Fall eine Bereicherung.

Online-Messe: Nur zwei Kunstwerke pro Teilnehmer

Sie sind mit der Messe auch im Netz präsent. Klicke ich mich von Bild zu Bild?
Nein, bei uns läuft man quasi auch online durch die Messe, man sieht die Architektur der Praterinsel, die Stellwände und erhält zu jedem Bild die Kontaktinformationen. Wenn Sie mit einer Kunstmesse ins Netz gehen, sind schnell fünfstellige Beträge fällig. Das können wir nur umsetzen, weil wir mit der Exxeta AG aus Karlsruhe einen sehr innovativen und kunstbegeisterten Partner gefunden haben. Wir müssen uns dennoch beschränken, zwei Kunstwerke pro Teilnehmer werden präsentiert. Ich möchte das ausbauen, aber wir wollen in jedem Fall die Artmuc bleiben, durch die man ganz real geht.

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Könnte die Online-Messe dennoch ein Modell für die Zukunft sein?
Corona hat sicherlich viel beschleunigt. Und künftig wird sich im Netz ein neuer Teilmarkt für die Kunst etablieren. Aber er kann das Kunsterlebnis und die Gespräche mit den Künstlern nicht ersetzen.

Staatliche Hilfen: "Bis heute ein Witz"

Wie sind Sie finanziell durch die letzten Monate gekommen?
Im Moment leben wir von den Rücklagen der letzten fünf Jahre. Die reichen sicherlich bis Ende Dezember. Aber dann muss es wieder voran gehen, andernfalls stellt sich die Sinnfrage. Für mich ist das schon sehr bitter. Ich arbeite seit Jahren als Selbstständiger oft rund um die Uhr, trage ein hohes Risiko, fühle mich verantwortlich für mein Team, das mich bei Messen immer zuverlässig unterstützt. Und dann durfte ich von der Politik aus nicht mehr arbeiten. Die angebotenen Hilfen sind bis heute ein Witz. Was nützt es, wenn der Staat mein Büro bezahlt, ich aber nichts verdiene und mit meiner Familie auf der Straße sitze und nichts zu beißen habe? Das ist doch ökonomischer Wahnsinn!

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Wie weit planen Sie in die Zukunft?
Die Termine der beiden Artmuc-Ausgaben stehen zwar noch nicht fest, aber ich plane natürlich für 2021. Anders geht es doch gar nicht. Außerdem will ich im Juni zusammen mit meinem Bruder ein großes Kunstevent in der Hamburger Hafencity stemmen. Aber jetzt bin ich erst mal froh, dass unsere Jubiläumsausgabe tatsächlich stattfinden kann. Sie können sich gar nicht vorstellen, welchen Auftrieb das allen Beteiligten gibt.


Artmuc auf der Praterinsel, Donnerstag 19 - 22 (Eintritt 16 Euro, fast ausgebucht), Freitag/Samstag 11 - 20, Sonntag 11 - 19 Uhr, Eintritt 14, ermäßigt 12 Euro, www.artmuc.info

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