Steven Spielberg: Fantasien werden Filmkunst

Steven Spielberg ist der erfolgreichste Regisseur. Eine Begegnung mit dem menschlichen Filmgiganten.
Ulrich Lössl |
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Steven Spielberg.
Steven Spielberg. © picture alliance/dpa/Invision via AP

Seine Karriere ist in der Filmgeschichte einzigartig: Von seinen Anfängen als Teenager, der mit seiner 8-mm-Kamera Actionfilme drehte, über seine Arbeit als Wunderkind-Regisseur beim Fernsehen bis hin zur veritablen Hollywood-Legende - Spielberg hat den Kinofilm immer wieder neu erfunden. Ab Mitte der 70er Jahre veränderte er mit Blockbustern wie "Der weiße Hai", "E.T. - Der Außerirdische" und den "Indiana Jones"-Filmen die Ästhetik des Filmemachens von Grund auf, denn mit seinen technisch brillanten und emotionsgeladenen Unterhaltungsfilmen hat er die Filmindustrie revolutioniert.

In seinen bisher über 30 Spielfilmen als Regisseur bediente er die unterschiedlichsten Genres: Kinder- , Märchen- und Abenteuerfilme, Science-Fiction-Movies, Literatur-Verfilmungen, Komödien, Thriller, historische und politische Dramen – und mit der "West Side Story", die seit 10 Tagen auch in den deutschen Kinos läuft, sogar ein Musical.

Seine Filme spielten bisher 10 Milliarden Dollar ein

"Bei all meinen Filmen", sagt Spielberg, "habe ich nicht nur meine eigene Phantasie dem Stoff angepasst, sondern auch versucht, den Erwartungen des Publikums zu entsprechen. Das Wichtigste ist das Drehbuch. Ich sage immer: ,Wenn es nicht im Drehbuch steht, dann ist es später auch nicht im Film’. Das klingt zwar einfach, ist es aber in den seltensten Fällen." Spielbergs Filme spielten bisher insgesamt über zehn Milliarden Dollar ein. 17 Mal wurde er bisher für den Oscar in der Kategorie Regie nominiert. Für "Schindlers Liste" (1993) und "Ein Soldat namens Ryan" (1998) hat er ihn bekommen.

Bei soviel Unterhaltung ist es erstaunlich, dass sich Spielberg bei vielen Filmen von seiner traumatischen Kindheit hat inspirieren lassen: "Meine Kindheit war tatsächlich sehr bedrückend, weil ich als Junge sehr viel Antisemitismus ertragen musste. In der Schule war ich das einzige jüdische Kind. Unser Haus war das einzige, das zu Weihnachten nicht festlich erleuchtet war. Ich ging mit meinen Eltern Freitagabend in die Synagoge und nicht am Sonntag in die Kirche. Einmal standen sogar ein paar Mitschüler vorm Haus und riefen: ‚Spielbergs sind dreckige Juden.’ Die ständigen Sticheleien haben tiefe Spuren hinterlassen. Als ich 17 Jahre alt war, haben sich meine Eltern scheiden lassen. Das war ein Schock für mich. Ich habe diese Traumata mit der Zeit überwunden, indem ich darüber Filme machte. Nach der Scheidung meiner Eltern wünschte ich mir einen Freund, der mir nicht nur den Bruder ersetzt, den ich nie hatte, sondern auch den Vater, den ich nicht mehr hatte. So entstand ‚E.T. - Der Außerirdische’. Das Haus in ‚E.T.’ ist übrigens eine ziemlich genaue Rekonstruktion des Hauses, in dem ich als Kind wohnte. Ich hatte auch immer ein großes Talent, mir selber Angst einzujagen. Meine Vorstellungskraft ist bis heute meine beste Verbündete und mein schlimmster Feind."

Begegnet man Steven Spielberg persönlich, ist man sofort eingenommen. Er ist weder hochnäsig oder narzisstisch noch arrogant. Und man merkt: Dieses produktive Kraftpaket ist ein Filmfan. Ein wacher Gesprächspartner, der einen über die Ränder seiner Hornbrille interessiert mustert und mit angenehm sonorer Stimme spricht.

"Träumen ist mein Beruf", hat er einmal gesagt. Ob er auch jetzt noch träumt? "Oh ja, die abenteuerlichsten Geschichten, aus denen ich dann vielleicht einmal Filme machen werde. In meiner Kindheit und Jugend hatte ich eine derart plastische Einbildungskraft, dass ich nur einschlafen konnte, wenn das Licht im Zimmer brannte. Denn für mich waren die Schatten wie Rohrschach-Tests. Ich sah überall Figuren, die sich in schreckliche Kreaturen verwandelten. Und selbst wenn ich das Licht anließ, war ich wie durch Geisterhand gezwungen, im Tapetenmuster viele Gesichter zu erkennen - ja, richtige Fratzen, die zu mir sprachen. Zum Glück habe ich mit dem Film dann eine Kunstform gefunden, um meine Ängste auszudrücken." Und lächelnd fügt er hinzu: "Und diese Ängste habe ich an euch weitergegeben!"

"Duell" machte ihn vom TV-Filmer zum Hollywoodregisseur

Spielberg bewarb sich Ende der 60er zwei Mal an der University of Southern California um ein Filmstudium – und wurde abgewiesen. Entmutigen ließ es sich nicht. Er drehte weiter, zum Beispiel den 35-mm-Kurzfilm "Amblin", der 1969 auf dem Atlanta Film Festival gezeigt und seine Eintrittskarte ins Filmgeschäft wurde. Erst 22 Jahre alt, erhielt er einen Siebenjahresvertrag in der TV-Abteilung von Universal Pictures. Zu dieser Zeit freundete er sich auch mit zwei anderen Fantasy-Enthusiasten an: George "Krieg der Sterne"-Lucas und Robert "Zurück in die Zukunft"-Zemeckis. Das Trio half sich immer wieder gegenseitig. Dabei ist auffällig, dass Spielbergs erster Spielfilm – der ursprünglich fürs Fernsehen gedacht war, aber 1973 im Kino ein Erfolg wurde – ein minimalistischer Thriller war: "Das Duell", in dem ein Geschäftsmann auf dem Highway merkt, dass der Truckfahrer hinter ihm ihn umbringen will. Dabei wird die Motivation für diesen Alltags-Angriff irritierenderweise nie aufgelöst.

Lange Jahre aber galt Steven Spielberg natürlich als König des großen, technisch aufwändigen, auch opulenten Entertainments und als unerreichter Meister des Familienfilms, als innovativer Visual-Effects-Visionär. Das bestätigte sich auch 1993 mit "Jurassic Park", der mit einem computeranimierten T-Rex den Zuschauern den Atem verschlug: In dieser Perfektion hatte man so etwas noch nie zuvor auf der Leinwand gesehen.

Im selben Jahr kam auch "Schindlers Liste" ins Kino. Zwei Filme, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Für Spielberg selbst war das eine emotionale Achterbahnfahrt: "Ich hatte keine Ahnung, dass mich die Dreharbeiten zu ,Schindlers Liste’ so mitnehmen und aufwühlen würden. Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutet, nach so einem Drehtag über den Holocaust in die Studios von Industrial Light & Magic zu fahren und mir darüber Gedanken zu machen, wie sich ein T-Rex bewegt, wenn er einen Jeep verfolgt. Das machte mich sehr bitter. Denn alles, woran ich wirklich denken konnte, war mein nächster Drehtag im Konzentrationslager. Statt mich also an der Arbeit an diesen so diametral entgegengesetzten Genres zu erfreuen, war ich damals furchtbar wütend."

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Nach "Schindlers Liste" hatte man den Eindruck, Spielberg würde sich nun offenbar Filmstoffen zuwenden, die sowohl historische als auch politische Relevanz besitzen. "Es stimmt, dass ich mich in diese Richtung bewegt habe, Filme mit politischem Inhalt zu machen: über den Holocaust, den Sklavenhandel, den Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland oder über den Kalten Krieg: Und darin Stellung zu beziehen war für mich wichtig. Eigentlich hatte ich schon in jungen Jahren ein sehr ausgeprägtes politisches, soziales und moralisches Gewissen. So haben mich mein Vater und meine Mutter erzogen. Aber ich bin auch Entertainer. Und ich habe nach wie vor auch eine starke Vorliebe für großes, glitzerndes Popcorn-Kino."

Mit einem hintersinnigen Lächeln fügt er hinzu: "Ganz ehrlich: Erfolg kann süchtig machen! Als ich mit ,Der weiße Hai’ meinen ersten Kinohit hatte und dann mit ,Unheimliche Begegnung der dritten Art’ gleich noch einen, habe ich realisiert, dass ich tatsächlich Filme machen kann, die viele Zuschauer begeistern. Also wurde ich richtig scharf darauf, wieder einen Erfolgsfilm zu machen. Und dann noch einen. Und noch einen. Das ist wie ein Rausch. Doch seit ich älter geworden bin, finde ich Geschichten mit moralischem Wert und Bezug zum wirklichen Leben interessanter."

Auf seine persönlich größte Leistung angesprochen, meint er lächelnd: "Dass ich vor 30 Jahren Kate Capshaw geheiratet und mit ihr sieben wunderbare Kinder habe. Meine Familie wird immer an erster Stelle stehen. Im Laufe meiner Karriere habe ich so gut wie nie an den Wochenenden gearbeitet – abgesehen von den Zeiten, als ich irgendwo anders auf der Welt gedreht habe. Ich habe auch immer versucht, zum Abendessen zuhause zu sein. Als die Kinder noch klein waren, habe ich ihnen jeden Abend Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen und sie am nächsten Morgen zur Schule gebracht. Familie ist das Beste, das auf der Welt gibt. Da kann kein Film mithalten."

Familienmensch mit sieben Kindern, der einfach gerne arbeitet

Spielberg ist nicht nur Regisseur, sondern auch Produzent, Firmenchef, Drehbuchautor, Ideengeber, Talententdecker und -förderer. Wie er es schafft, so viele Funktionen gleichzeitig auszuüben? Seiner Meinung nach hat das nichts damit zu tun, dass er etwa ein Workaholic wäre, sondern einfach damit, dass er wirklich gerne arbeitet: "Wenn ich diese Leidenschaft nicht hätte, könnte ich in der Entertainment-Branche wohl kaum überleben. Dass ich so vieles simultan angehe, liegt wohl daran, dass meine Fantasie nie Pause macht. Ich habe ständig neue Ideen, die ich so lange in meinem Kopf hin- und herwende, bis etwas Konkretes herausgekommen ist. Und dann bin ich – auch heute noch – so aufgeregt, dass ich beim Frühstück keinen Bissen herunterkriege und die Ideen sofort an den Mann bringen muss."

Steven Spielberg, der am vergangenen Samstag 75 Jahre alt wurde, ist zwar nicht mehr das "wilde Kind", wie ihn ein anderer großer Filmemacher, François Truffaut, einmal genannt hatte, fühlt sich aber im Herzen immer noch so wie mit 25. Und er ist seiner großen Vision treu geblieben. Denn schon als er Ende der 60er Jahre nach Hollywood kam, wollte er ein erfolgreicher und gefragter Regisseur sein, mit dem viele Filmschaffende zusammenarbeiten wollten. Und das hat er geschafft. Viele sind ihm seitdem treu geblieben: Tom Hanks und Harrison Ford zum Beispiel. Und sie schwärmen von Spielbergs souveräner Gelassenheit beim Drehen und bestehen darauf, dass es an seinem Set das beste Catering gibt. Natürlich hat er auch viele Fans unter Kollegen, die selbst Regie führen. Einer davon ist Martin Scorsese. Der bringt seine Wertschätzung folgendermaßen auf den Punkt: "Für mich sind Steven und die Filmkunst fast ein und dasselbe. Das eine ist undenkbar ohne das andere."

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