Sönke Wortmann über "Contra": Stolz und Fehlurteil
Sönke Wortmann präsentiert mit "Contra" eine Komödie über politische Korrektheit und Rassismus. Nach einer fremdenfeindlichen Bemerkung gegenüber einer Studentin mit marokkanischen Wurzeln und einem veritablen Shitstorm droht Juraprofessor Pohl die Entlassung, es sei denn, er macht die von ihm beleidigte Naima fit für einen Debattier-Wettbewerb.
Die Adaption des französischen Films "Le Brio" ("Die brillante Mademoiselle Neila") ist keine Kopie der Vorlage, sondern ein eigenständiges und thematisch sehr aktuelles Werk, exzellent besetzt mit Christoph Maria Herbst und Nilam Farooq.
Auf der Frankfurter Buchmesse stellte Regisseur Wortmann sein literarisches Debüt "Es gilt das gesprochene Wort" vor, ein Plädoyer für die Streitkultur.
AZ: Herr Wortmann, mit dem Thema politische Korrektheit und Rassismus treffen Sie einen wunden Punkt und den richtigen Zeitpunkt. War dies auch ausschlaggebend für eine Verfilmung?
SÖNKE WORTMANN: Eigentlich schon. Uns war beim Drehen klar, dass wir ein großes Thema aufgreifen. Dann war ich natürlich enttäuscht, als die Kinos pandemiebedingt schließen mussten und sich der Start dadurch verzögerte. Im Nachhinein ist das alles inzwischen ja noch aktueller geworden. Insofern hatte die Verschiebung vielleicht auch ihr Gutes.

Nach "Der Vorname" ist "Contra" die zweite Adaption eines französischen Films. Was reizte Sie an diesen beiden Projekten?
Im Gegensatz zu ihrem Heimatland gingen beide Filme in Deutschland völlig unter. "Der Vorname" ("Le prénom") brachte es bei uns 2011 auf noch nicht einmal 100.000 Zuschauer. Wir waren der Meinung, das müssen wir noch einmal angehen. Allein schon bei der Kontroverse um den Namen Adolf fand ich, das ist mehr ein deutsches als ein französisches "Problem". Nachdem das gut klappte, weckte Yvan Attals "Le Brio" unsere Aufmerksamkeit. Das war 2018 mit Fußballweltmeisterschaft und einem Jahrhundertsommer, kaum 30.000 Zuschauer zeigten Interesse. Da haben wir sehr bedauert, weil diese Geschichte unbedingt erzählt werden sollte. Es war wirklich ein Zufall, aber das soll's dann auch gewesen sein, es wird keine Trilogie werden.
"Contra": Mehr als ein Remake?
Ist "Contra" trotz des typisch französischen Charakters mehr als ein Remake?
Die Konstellation junge Studentin mit Migrationshintergrund trifft auf weißen Professor ist auch im französischen Film nicht neu und international schon durchexerziert. Wenn man weiter zurückgeht, gab es Ähnliches schon bei "My fair Lady".
Was haben Sie an der Originalvorlage geändert?
Nachdem ich den Film 2018 gesehen hatte, habe ich ihn bewusst nicht mehr angeschaut und nur noch die verschiedenen Drehbuchfassungen von Doron Wisotzky gelesen. Im Gegensatz "Le Brio" haben wir einen alten Unirektor und einen jüngeren Professor, wir haben der Protagonistin einen Bruder an die Seite gestellt. Die Auseinandersetzung zwischen ihnen fand ich wichtig, weil er jegliche Chance bezweifelt. Was mich riesig freut: Nach einem Testscreening wurde nach den Lieblingsszenen gefragt. Und da stand auf Platz 1 die von uns inszenierte Tanzszene gefolgt vom Vortrag der Studentin über den Islam. Beide Szenen gibt es nicht im Original.
Deutscher Humor ist nicht immer kompatibel. Dennoch funktioniert die Komödie hier gut. Lag das an der Vorlage?
Ich glaube gar nicht, dass es sich um eine Komödie handelt und würde weder unsere noch die französische Fassung in eine Schublade stecken. "Contra" ist für mich eher ein mit Humor erzähltes zeitgemäßes Drama. In vielen Komödien gibt es melancholische und traurige Momente wie in Dramen heutzutage lustige Elemente. Diese festen Kategorien halte ich inzwischen für überholt.
Komödien wie "Allein unter Frauen" oder "Der bewegte Mann" bildeten den Grundstein Ihrer Karriere. Wie haben Sie die Schubladenfalle umschifft?
Nach zwei Komödien steckte ich natürlich in einer Schublade. Um da wieder herauszukommen, habe ich ernstere Filme gedreht wie "Die Päpstin" oder "Das Wunder von Bern", beides historische Stoffe. Und habe am Theater gearbeitet, wo ich immer wieder viel lernen kann.
"Ich verfüge über keine negativen Erfahrung von Alltagsrassismus"
In "Contra" spielt Christoph Maria Herbst den idealen Unsympathen, aber sagt auch witzige Sätze und irgendwie mag man ihn, entdeckt sukzessive seine versteckten sensiblen Seiten.
Ich frage mich oft bei Menschen, aus welchen Gründen sie so verbittert sind. Deshalb versuche ich in meiner Arbeit immer diejenigen, die mir nicht so sympathisch sind, zu verstehen, um sie dann ein bisschen sympathischer zu finden. Professor Pohl hat einen messerscharfen Verstand, ist ein brillanter Redner und ein Star an der Uni, aber auch ein eitler Zyniker. Wie viele Menschen hat er zwei Gesichter.
Political Correctness ist zu einem Kampfbegriff mutiert. Schnell fühlt sich irgendjemand beleidigt. Professoren, nicht nur an US-Unis, müssen aufpassen, nicht ins Fadenkreuz divergierender Interessen zu geraten. Bewegen wir uns auf einem schmalen Grat, wenn schon Hamburger Kitas Verkleidungen als Scheich oder Indianer verbieten?
In mancherlei Hinsicht wird hier sicher übertrieben. Aber als Westeuropäer, als Weißer und als Mann, verfüge ich über keine negativen Erfahrung von Alltagsrassismus. Deshalb versuche ich die Haltung und das Leid anderer schon zu verstehen und zu akzeptieren.
Sönke Wortmann: "Romane sind Spiegel ihrer Zeit"
Und wenn Texte wie die von Mark Twain umgeschrieben werden oder bei Astrid Lindgren aus dem "Negerkönig" ein Südseekönig wird…
Da bin ich dagegen. Romane sind Spiegel ihrer Zeit, man kann nicht die Geschichte umschreiben. Deshalb würde ich die Originaldiktion lassen, aber natürlich Neuauflagen mit einem diesbezüglichen Hinweis ausstatten, dass es damals so war und wir heute das N-Wort nicht mehr benutzen. Es geht auch um künstlerische Freiheit, da bin ich ganz empfindlich.
Wo hört Political Correctness auf und wo beginnt die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Cancel Culture?
Wir müssen mal abwarten, das ist vielleicht nur eine Phase, die man allerdings ernst nehmen soll. Bei der Cancel Culture, einer Art von Zensur, wird's haarig. Künstler, auch wenn sie eine andere Meinung haben als ich, sollten in Deutschland auftreten und diese frei äußern. Das nennt man Streitkultur und die gehört zu unserer Gesellschaft.
Wortmann: "Contra ist ein Lieblingsprojekt"
Könnten Sie sich nach dem Erfolg der Serie "Charité" vorstellen, verstärkt ins Seriengeschäft einzusteigen?
Warum nicht? Meine Entscheidungen hängen vom Projekt ab, da unterscheide ich nicht zwischen Kino oder Serie. Aber ganz ehrlich: Ich mache lieber Kino, obgleich Serie auch ihren Reiz hat. "Charité" gefiel mir wegen des historischen Themas, dem wilhelminischen Zeitalter, in dem die Medizin gerade neu erfunden wurde. Das war eine für mich wahnsinnig spannende Melange.
Sie sind seit über 30 Jahren im Geschäft. Was hat sich in der Zeitspanne geändert?
Es gab immer Platzhirsche, für neue Leute war es deshalb immer schwierig. Durch die steigende Zahl der Filmhochschulen hat sich die Situation noch verschärft. Der Nachwuchs will sich beweisen und stößt auf etablierte Filmemacher, die auch weiter arbeiten wollen. Die Änderung des Sehverhaltens durch Netflix & Co, die von der Pandemie profitierten, macht es für die Kinos nicht leichter. Das wurde so oft totgesagt und wird noch lange leben. Da bin ich optimistisch.
"Das Wunder von Bern" erreicht 3,6 Mio Zuschauer und war Ihr Traumprojekt. Mit welchem Elan sind Sie anschließend die nächsten Filme angegangen?
So einen großen Druck wie bei dem Film habe ich nie wieder empfunden. Man muss ja nicht nur Traumprojekte realisieren, sondern kann weitere interessante andere Aspekte finden. Es wäre falsch, jedes Projekt Traumprojekt zu nennen, eine Nummer kleiner tut's ja auch. So bezeichne ich "Contra" als ein Lieblingsprojekt. Ein Traumprojekt ist etwas Singuläres, damit sollte man nicht verschwenderisch umgehen.
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