Marvel-Film "Eternals" im Kino: Selbstfindung der Superhelden
Als Marvel-Chef Kevin Feige 2018 Chloé Zhao für das neue Superhelden-Franchise "Eternals" unter Vertrag nahm, hatte die chinesische Regisseurin mit den Dreharbeiten zu "Nomadland", mit dem sie die Oscars für die beste Regie und den besten Film gewann, noch nicht begonnen. Zuvor hatte Zhao zwei halbdokumentarische Independent-Filme vorgelegt, die mit schmalem Budget und Laiendarstellern realisiert wurden.
Marvel zeigt neue Risikobereitschaft
Einer weitgehend unerfahrenen Nachwuchsregisseurin wie Zhao ein 200 Millionen Dollar schweres Projekt anzuvertrauen, belegt die neue Risikobereitschaft des Comic-Film-Konzerns, der sein "Marvel Cinematic Universe" (MCU) durchlüften will.
Schräge TV-Formate wie "WandaVision" und "Loki" machten den Anfang. Auf der Leinwand folgten "Black Widow" und das Fantasy-Märchen "Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings", das asiatische Filmtraditionen in das MCU einarbeitete.
Gottähnliche Kreaturen: Eternals sind nicht irgendwelche Superhelden
Chloé Zhaos "Eternals" ist das größte und ambitionierteste Projekt in der neuen Kollektion - und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Gleich zehn funkelnagelneue Charaktere werden hier eingeführt. Die Zeitspanne der Erzählung erstreckt sich über schlappe 7.000 Jahre Menschheitsgeschichte.
Munter hopst der umtriebige Handlungsverlauf von London nach Mumbai, South Dakota, in die australischen Outbacks, den Amazonas und auf die Kanarischen Inseln. Solche Reisetätigkeiten werden von den Hauptfiguren im klimaneutralen Teleport-Modus erledigt. Schließlich sind diese Eternals nicht irgendwelche Superhelden, sondern gottähnliche Kreaturen, die von den Herrschern des Universums zum Schutz der Erdenmenschheit ausgesandt wurden.
Allerdings sind die Beschützer mit unbegrenzter Lebenszeit allein für die Bekämpfung der "Deviants" zuständig - eine Ungeheuergattung mit ungezügeltem Appetit auf Menschenfleisch. Aus den Kriegen, Pogromen und Genoziden, die die Erdlinge selbst entfachen, müssen sich die intergalaktischen Blauhelme raushalten.
Wenn sich Schläfer unter das gemeine Volk mischen
Darüber wacht ihre Anführerin Ajak (Salma Hayek), die über einen direkten Draht zum sechsäugigen Universums-Vorsitzenden Arishem verfügt. Nachdem der letzte Deviant getötet ist, entlässt sie die Mitglieder ihres Kompetenzteams, die sich fortan als Schläfer unter das gemeine Volk mischen.
Als im London der Gegenwart ein Erdbeben wütet, ahnt Sersi (Gemma Chan), dass ihre sorglosen Tage unter den geliebten Menschen vorbei sind. Mit ihrem Ex-Geliebten Ikaris (Richard Madden) macht sie sich auf die Suche nach den Mitstreitern, die sich auf sehr unterschiedliche Weise ins irdische Sein integriert haben.
Kampf gegen das Böse mündet in kollektiven Selbstfindungsprozess
Der Technik-Experte Phastos (Brian Tyree Henry) führt mit Mann und Sohn eine friedliche Vorstadtexistenz. Kingo (Kumail Nanjiani) hat als Bollywood-Star Karriere gemacht.
Gedankenkontrolleur Druig (Barry Keoghan) lebt mit einer Kommune im Regenwald. Gilgamesh (Don Lee) kümmert sich im australischen Niemandsland um die Kriegsgöttin Thena (Angelina Jolie), die von ihren Jahrtausende währenden Erinnerungen zunehmend in den Wahnsinn getrieben wird.
Wieder vereint müssen die Ewiglebenden bald feststellen, dass sie Erfüllungsgehilfen eines göttlichen Plans sind, der die Zerstörung der Erde vorsieht. Was als klassischer Kampf Gut gegen Böse beginnt, mündet nun in einen kollektiven Selbstfindungsprozess, in dem die Superhelden ihr eigenverantwortliches Sein neu definieren müssen.
So viel Gruppendynamik gab es noch nie in einem Marvel-Film
Anders als in "Avengers" oder "Guardians of the Galaxy" lässt Zhao ihre Figuren wirklich in Beziehung zueinander treten. Mit der Selbstfindung des Teams stehen auch Liebesbeziehungen zur Disposition, werden Autoritäten hinterfragt und Loyalitäten aufgekündigt. So viel Gruppendynamik und aufwühlende Emotionen gab es noch nie in einem Marvel-Film.
Sogar eine (jugendfreie) Sexszene und ein echter Kuss von Mann zu Mann sind hier zu sehen - ein Novum im MCU, in dem die Figuren zwar sexy in hautenger Trikotage herumturnen, aber zu ewiger Keuschheit verdammt sind.
Weibliche und männliche Charaktere agieren auf Augenhöhe
Sicherlich erfindet Zhao das Superhelden-Genre nicht neu. Aber sie bringt jene zwischenmenschliche Sensibilität, die Filme wie "Nomadland" auszeichneten, auch in diese Blockbuster-Produktion mit ein, begreift Diversität nicht als politisch korrekte Pflichterfüllung, sondern als kreative Bereicherung, lässt weibliche und männliche Charaktere in größtmöglicher Selbstverständlichkeit auf Augenhöhe miteinander agieren.
Das sind unscheinbare, aber einschneidende Veränderungen in der Statik des Marvel-Universums, das als machtvolles Franchise-Imperium die globale Popkultur der Gegenwart entscheidend prägt.
Kinos: Cinema, Museum-Lichtspiele (beide OV), Cadillac & Veranda, Gloria, Mathäser (alle deutsch und OV), Leopold (deutsch und OmU) Cincinatti, CinemaxX, Royal, Regie: Chloé Zhao (USA, 167 Min.)
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