Interview

Greta-Doku-Regisseur: "Trotz des Hypes wächst ihre Frustration"

Am Freitag startet der Dokumentarfilm "I am Greta" im Kino. Für Nathan Grossman war der Dreh eine große Herausforderung.
Margret Köhler |
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Der schwedische Regisseur Nathan Grossman drehte 2018 über den gestorbenen Krimiautoren Stieg Larsson die Doku "The Man Who Played with Fire".
Der schwedische Regisseur Nathan Grossman drehte 2018 über den gestorbenen Krimiautoren Stieg Larsson die Doku "The Man Who Played with Fire". © Labiennale Venezia

München - Mehr zufällig kam es zur Zusammenarbeit des schwedischen Dokumentarfilmers Nathan Grossman mit Greta Thunberg. Die keinesfalls einfach war. "I am Greta" verfolgt den Weg der jungen Aktivistin vom "Schulstreik fürs Klima" im August 2018 bis zu ihrer Atlantik-Überquerung im Segelboot zum UNO-Klimagipfel in New York im September 2019.

AZ: Herr Grossman, wann wurde Ihnen bewusst, nicht nur einem für das Klima engagierten Mädchen zu folgen, sondern der Leitfigur einer weltweiten Bewegung?
NATHAN GROSSMANN: Ich erhielt im Sommer 2018 den Tipp von einem Freund, der die Familie Thunberg kannte. Und ich dachte, das könnte interessant sein für einen Kurzfilm und einen Drei-Tage-Dreh über eine Teenager-Aktivistin im Schulstreik. So bin ich mit meinem Tontechniker mal neugierig vorbei gegangen. Erst haben wir sie sogar übersehen, wie sie mutterseelenallein mit ihrem selbst gemalten Plakat vor dem Parlamentsgebäude in Stockholm hockte. Erst später Ende November, als in Norwegen, Belgien und sogar im fernen Australien der Funke übersprang, war uns klar: Das ist eine echt große Sache.

Greta ist ein Mädchen, das enorm unter Druck steht. Manchmal merkt man, wie sie sich nur zu Hause verkriechen will und bei Hunden und Pferden sein möchte. Wie sind Sie damit umgegangen?
Als Dokumentarfilmer muss man auch wissen, was man nicht filmt. Ein größeres Team hätte bei Greta nicht funktioniert. Ich bin ihr wie eine One-Man-Band gefolgt und habe versucht, sie nicht zu stören. Wenn sie allein sein wollte, konnte sie das frei sagen. Das war unsere Vereinbarung.

Inwieweit hatte die Familie, speziell der Vater das Sagen?
Wir haben das Konzept abgesprochen und ich fühlte mich nicht im Geringsten gegängelt. Wir einigten uns, dass ich ihnen die letzte Schnittfassung präsentiere und auf eventuelle Bedenken eingehe. Greta war skeptisch, ob sie sich wieder erkennen würde.

"Wenn sie etwas sagt, ist sie direkt"

Es gibt Begegnungen mit politischen Größen wie Emmanuel Macron, Angela Merkel, Justin Trudeau oder dem Papst. Konnten Sie da frei filmen oder gab es Auflagen?
Wir waren froh, wenn wir überhaupt dabei sein durften. Die Entscheidung fiel manchmal erst in letzter Minute. Als Filmemacher Zutritt zu bekommen, zählte zu den schwierigsten Aufgaben des Projekts. Nach einer zermürbenden Reise hieß es bei der Ankunft dann auch schon mal "No, sorry".

Es ist erstaunlich, wie die 15-Jährige völlig gelassen mit diesen Ausnahmesituationen umzugehen scheint.
Ich bin kein Experte bezüglich des Asperger Syndroms. Die Emotionen spiegeln sich nicht immer auf ihrem Gesicht, dafür kann sie sich 100-prozentig auf ein Thema fokussieren. Man muss genau aufpassen, um ihre Reaktionen mitzukriegen. Ihr Auftritt vor der Uno war da eine Ausnahme. Von Leuten wie Macron, der eine Eliteschule besucht hat und über politische Macht verfügt, bleibt sie völlig unbeeindruckt. Höflichkeitsfloskeln oder Süßholz raspeln sind nicht ihr Ding. Wenn sie etwas sagt, ist sie direkt, kommt sie auf den Punkt. Sie zählt nicht zu denjenigen, die lange Erklärungen abgeben. So zog sie sich auf unseren langen Fahrten auch oft schweigend in ihren Kosmos zurück, zu dem wir keinen Zutritt hatten.

Überraschend zur Ikone: Greta Thunberg an einem Regentag am Zugfenster.
Überraschend zur Ikone: Greta Thunberg an einem Regentag am Zugfenster. © Filmwelt

Wie hat sich Ihre Beziehung zu Greta im Laufe des Jahres entwickelt?
Vertrauen aufzubauen und ihr nahe zu kommen, war ein langsamer Prozess. Erst war sie sehr schüchtern. Aber von Anfang an haben wir uns ausgetauscht, herrschte große Offenheit. Wenn man durch Europa reist und in Elektro-Autos oder Zügen sitzt, findet man Gelegenheit, in Ruhe miteinander zu reden. Ich bin ihr aber ständig mit der Kamera gefolgt, um auch unerwartete Momente einzufangen. Wie die Szene, als sie überraschend anfängt, zu tanzen. So etwas kann man nicht inszenieren oder wiederholen, sie verspürte einfach Lust dazu, war ganz bei sich.

Sind Sie jetzt Freunde?
Ich würde sagen Ja.

"Dieses kleine Persönchen hat mir die Augen geöffnet"

Anhänger und Gegner von Greta und der Fridays for Future Bewegung diskutieren Ihren Film kontrovers. Was sagen Sie zu dem Vorwurf eines "filmischen Heiligenbildchens" oder gar "Propagandafilms"?
Schwachsinn. Genau so wie das Gerücht, ihr Vater würde sie instrumentalisieren. Wir zeigen Höhen und Tiefen während einer bestimmten Lebensspanne, die Kämpfe, die es auszufechten galt in diesem "verrückten Jahr". Greta polarisiert. Ich habe weder verstanden, warum Menschen ihre Wut an ihr auslassen und Hassmails schreiben, noch diesen messianischen Glauben an sie. Sie nimmt alles penibel zur Kenntnis und amüsiert sich ab und an, betont, dass es nicht um sie, sondern die Sache geht, um eine kollektive Verantwortung.

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Hat die Bewegung Sie beeinflusst?
Ja. Trotz meiner vorherigen Beschäftigung mit dem Klimawandel hat mir dieses kleine Persönchen die Augen geöffnet für Fakten. Jetzt gebe ich mich nicht mehr mit politischen Absichtserklärungen zufrieden.

"Es fehlt eine echte Wende"

Ihr Film endet nach dem Segeltörn in New York und Gretas Auftritt in der UNO.
15 Tage auf so engem Raum sind nicht gerade komfortabel, auch weil man sich nicht zurückziehen kann. Obendrein war ich seekrank, im Gegensatz zu Greta.

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Durch die Corona-Epidemie hat die Aufmerksamkeit für "Fridays For Future" stark nachgelassen. Gab es mal die Überlegung, diese Wende einzubeziehen?
Wir haben schnell den Gedanken verworfen, die Entwicklung unter Covid-19 aufzunehmen. Es gibt ein Leben nach Corona, doch die Klimakrise wird uns noch lange weiter beschäftigen. Die Welt hört die Botschaft, allein es fehlt eine echte Wende. Greta bleibt ihren Idealen treu. Aber trotz des Hypes um ihre Person und weltweiter Demonstrationen, wächst ihre Frustration. Von den Regierungen hieß es ständig, wir haben kein Geld und jetzt bei Corona sitzen die Milliarden Dollars und Euros locker. Die jungen Leute lassen jedenfalls nicht locker. Nur auf die Straße zu gehen, reicht allerdings nicht. Je mehr Zeit wir mit Nichtstun verstreichen lassen, umso schlimmer sind die Folgen für unseren Planeten.

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