Kritik

"France" im Kino: Bild, Selbstbild und Weltbild

Der kunstvoll künstliche, französische Gesellschaftsfilm "France" mit der großartigen Léa Seydoux.
| Margret Köhler
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Léa Seydoux als zweifelhafter Medienstar France.
Léa Seydoux als zweifelhafter Medienstar France. © MFA

Sie heißt France de Meurs und bei ihrem Vornamen denkt man natürlich an die Grande Nation - aber auch mit ihren sozialen Konflikten und gesellschaftlichem Gefälle. Und das ist beabsichtigt.

Material einer Pressekonferenz im Elysee-Palast mit eigenen Aufnahmen vermischt

Die Starjournalistin ist auf jedem Parkett zu Hause: als TV-Moderatorin in quotenträchtigen Talkshows, als Kriegsreporterin in gefährlichen Gegenden, als Mutter und Ehefrau in einer düsteren und unpersönlichen und damit gefühlskalten Luxuswohnung.

Und wenn es darum geht, auf der Pressekonferenz Präsident Emmanuel Macron eins auszuwischen, spielt sie die ganz große Nummer. Regisseur Bruno Dumont vermischte hier authentisches Material einer Pressekonferenz im Elysee-Palast mit eigenen Aufnahmen - und schafft so nebenbei auch ein Beispiel für die Möglichkeit perfekt inszenierter Fake News.

Léa Seydoux als France: Nach außen strahlend, im Privatleben desaströs

Als France einen Motorradkurier aus dem Migrantenmilieu anfährt, landet sie allerdings in den negativen Schlagzeilen und verliert den Boden unter den Füßen. Aber eine France de Meurs ist hart im Nehmen, fängt wieder ganz neu an.

Bond-Frau Léa Seydoux ("Spectre", "Keine Zeit zu sterben") ist fantastisch: Nach außen strahlend, im Privatleben desaströs, eine Rabenmutter und Gattin ohne Empathie.

Seitenhieb auf Medien: Dschihadisten werden wie Komparsen in Position gebracht 

Sie durchlebt alle Phasen von Glück und Unglück und flüchtet in ein Alpen-Reha-Resort, wo sie neue Kräfte sammeln will, sogar einem Yellow-Press-Journalisten auf den Leim geht, der ihr Vertrauen schamlos ausnutzt.

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Bezeichnend für das Mediengeschäft sind TV-Drehs aus Kriegsgebieten, wo es in der Berichterstattung nicht um Authentizität oder Leid der Menschen geht, sondern um gut zu verkaufende Bilder. Da werden Dschihadisten wie Komparsen in Position gebracht und verbale Drohungen und Fuchtelei mit Waffen solange wiederholt, bis es passt.

Und wenn die "couragierte" Reporterin erschöpfte Flüchtlinge in einem Schlauchboot übers Meer begleitet, hängt sie in Wahrheit ohne schlechtes Gewissen nahe der Küste auf einer Yacht ab. Die Digitalisierung macht's möglich. Es geht um die Befriedigung von Sensationslust, nicht um ein Abbild der Wirklichkeit.

Regisseur Dumont zeichnet Frances Niedergang erbarmungslos  

Léa Seydoux spielt diese extravagante und oberflächliche Narzisstin trotz fest getackertem Lächeln kühl und emotionslos. In ihrer Person spiegelt sich eine von Einsamkeit und Selbstentfremdung geprägte Ellenbogengesellschaft.

Dumont zeichnet Frances Niedergang erbarmungslos Schritt für Schritt. Intuitiv spürt die ansonsten routinierte Selbstdarstellerin, das etwas mit ihr nicht stimmt, zunehmend verliert sie die Contenance, kommen ihr sogar plötzlich vor der Kamera die Tränen.

Keine schöne neue Welt: Aber ein Teil der Welt von heute

Als Kritiker der Bourgeoisie konzentriert sich Dumont in diesem manchmal zynisch-kaltem Mix aus Komödie, Drama und Romanze nicht nur auf den Einfluss durch Social Media auf unser Verhalten, sondern vor allem auf die Psychologie der in sich ambivalenten Figur, auf ihre Katastrophen, Schuldgefühle, ihre Suche nach Erlösung.

Der kunstvoll künstliche Film "France" ist vieles: das Porträt einer modernen Powerfrau, einer TV-Journalistin, eines ganzen Landes und eines mitleidlosen Mediensystems. Keine schöne neue Welt. Aber jedenfalls ein Teil der Welt von heute. 


Kino: Arena (auch OmU) und Theatiner (OmU), R: Bruno Dumont (F,D, B, I, 133 Min.)

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