Filmkritik: Ein Sack voller Murmeln - Familienfilm in Zeiten der Verfolgung

Dieser Film ist vielleicht allzu klassisch perfekt gemacht. Und die "wahre Geschichte" dahinter gibt ihm ohnehin recht. In "Ein Sack voller Murmeln" werden Joseph und sein älterer Bruder allein auf die Flucht geschickt, als im besetzten Frankreich 1941 die Deportationen von Juden beginnen. Ziel ist die sogenannte "freie Zone" bei Nizza. Aber auch hier kollaboriert willig das Vichy-Frankreich mit den Nazis.
1971 schrieb Joseph Joffo seine Erlebnisse von damals nieder. "Ein Sack voller Murmeln" wurde in Frankreich ein Bestseller und Schullektüre. Wer jetzt den Film von Christian Duguay sieht, merkt warum.
Es ist die Balance, die er hält: Da ist auf der einen Seite die Angst der ständigen Lebensbedrohung. Anderseits gibt es Hoffnung, Abenteuer, Bruderliebe und die Sicherheit, dass die Beiden überleben werden. Das macht dieses emotionale, sehr persönlich erzählte Geschichtsdrama trotz des harten Hintergrunds so erträglich.
Dazu trägt auch das pittoreske Frankreich von Paris über die Alpen bis zur Cote d’Azur bei, auch wenn die einzigen Wanderschuhe die Sohlen verlieren und ein zwielichtiger Schlepper die Jungs nachts im Kugelhagel über die Grenze bringt.
Aber "Ein Sack voller Murmeln" beschönigt letztlich nichts und schafft Sentiment ohne Kitsch, auch wenn er mit diesen Elementen – zum Beispiel musikalisch – spielt. Aber die Überlebensfrage erdet die Geschichte letztlich in jedem Moment: ob während des fast fatalen Scherzes, als die Jungs zwei SS-Offiziere in den Barbiersalon ihres Vaters locken, indem sie das "Juden"-Schild verdecken. Oder in der Abschiedsszene von den Eltern, wenn der eigentlich so sanfte Vater (Patrick Bruel) Joseph anbrüllt: "Bist du Jude?" "Nein" antwortet Jo und bekommt eine Ohrfeige.
Der Vater wiederholt die Frage und schlägt den Jungen quälende fünf Mal. Es ist der selbstverleugnende Abhärtungstest, bevor die Familie sich trennen muss, weil die Kinder allein auf der Flucht bessere Chancen haben.
Am Ende sind es nicht nur Glück und Zufall, sondern auch der Einsatz von mutigen Menschen, die Joseph und Maurice retten. Auch das ist eine Balance, die diesen Film trotz aller Verluste ermutigend macht.
Kino: Studio Isabella sowie im Theatiner (OmU) Regie: Christian Duguay (F, 112 Min.)