"Elio": Warum der neue Pixarfilm sehr aktuell und erwachsen ist
Das Bild vom „Blauen Planeten“: Als die Besatzung der Apollo 17 es 1972 aus 30.000 Kilometer Entfernung aufnahm und auf die Erde schickte, veränderte es unsere Wahrnehmung: der verletzliche Edelstein in der schwarzen Unendlichkeit des Alls.

Auch am Anfang von „Elio“ sieht der Junge dieses Bild. Aber seine Fantasie dreht die Richtung um: Elio sehnt sich in die unendlichen Weiten. Mit viel Ideen-Witz, aber auch kindlichem Ernst sieht man den Jungen alles versuchen, um von Außerirdischen abgeholt zu werden aus der Welt, wo seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind.
Seine Tante - eine Majorin im US-Weltraumprogramm - kümmert sich jetzt um ihren 11-jährigen Neffen. Plötzlich zur Alleinerziehenden geworden, bringt die Zuwendung, die ihr Neffe braucht, ihre ehrgeizigen Karriereträume in Gefahr. So fühlen sich beide einsam und überfordert. Und das große Thema von „Elio“ ist: Wie werde ich geliebt? Und: Wie finde ich Geborgenheit?
Natürlich denkt man dabei auch an Putin und Trump
Vor fünf Jahren hatte Regisseur Adrian Molina („Die Monster-Uni“, „Coco“) seine Idee zu „Elio“ dem Pixar-Studio vorgestellt. Die langjährige Entwicklungszeit hat den Film auf erschütternde Weise aktueller gemacht. Denn in „Elio“ erlebt man einen martialischen Kriegstreiber, der wegen seiner Aggression aus einer Art intergalaktischen UNO ausgeschlossen ist.
Er randaliert, droht mit Krieg, sehnt sich aber letztlich nach Achtung und Anerkennung, die er glaubt, nur mit Gewalt und Angst erringen zu können. Und natürlich denkt man dabei auch an Putin und Trump und die Frage, ob deren narzisstische Störung durch inklusives Geliebtwerden geheilt werden könnte?
Im Film ist der Warlord wie ein stählerner Hulk oder eine Figur aus „Transformers - Earth Spark“, die vor aufgepumpter stählerner Rüstung nur noch waffenstarrend stapfen kann. Um ihn herum herrscht „Star-Wars“-Todesstern-Atmosphäre.

Es gibt eine intergalaktische UNO
Elio selbst wird dann wirklich von einer außerirdischen Gemeinschaft verschiedenster galaktischer Wesen zu einem Universums-Kongress weggebeamt und gebracht - in der Annahme, der Elfjährige sei der Weltbotschafter mit irdischer Verhandlungsmacht für die Friedensgespräche im „Kommuniversum“ - einer Art UN-Versammlung, aber eben nicht aller Länder, sondern aller Galaxien. Dass diese pazifistische, schutzlose, fast dekadente Dauerfeier-Partywelt mit Willkommensdrink des „Kommuniversums“ plötzlich vor Kriegsdrohungen gestellt wird, kommt einem jedenfalls bekannt vor.
Optisch bleibt der Animationsfilm bei aller witzigen Diversität im menschlichen Darstellungs- und Vorstellungsraum, wenn man auf die verschiedensten Außerirdischen trifft: Sie sind dann wie Quallenrochen, Pfauenwesen. Der nette Ängstliche ist dann auch ein koala-ähnlicher Typ. Der neue Freund von Elio auf dem „Kommuniversums“-Kongress wird der liebenswürdige, hilfsbereite Gordon, äußerlich eine Art eine augenlose Bandwurmassel - also eine Kreatur, in die alles hineingebastelt wurde, was dem Kuschel-Kindchenschema entgegengesetzt ist. Schau nicht auf Äußerlichkeiten, Freunde finden sich überall - gerade in den Möglichkeiten großer Diversität. Und Elio selbst ist – irdisch gesehen – ein Latino.

Voyager wird von Außerirdischen gefunden
Wunderbar gelöst sind die Raum-Zeit-Fenster, die wirklich wie Rahmen sich im Schwarz des Universums auftun und einen in ferne Galaxien hinüber katapultieren oder blitzgleiten lassen. Elios Geschichte ist darin dynamisch erzählt, mit haarsträubenden Abenteuersituationen, sodass der Film ab acht Jahren besser einzuordnen ist als mit sechs Jahren. Auch ist „Elio“ zwar unverschachtelt erzählt, aber angenehm komplex, sodass er auch Erwachsene nie langweilt, gerade auch, weil man hier universell über zwischenmenschliche und zwischenstaatliche Beziehungsprobleme nachdenken kann. Und beide Sphären sind ja auch psychologisch miteinander verbunden.
1977 hat die NASA eine Raumsonde mit Informationen über uns in die Unendlichkeit geschossen. In „Elio“ wird diese Voyager wirklich von Außerirdischen gefunden und die „Golden Record“ dechiffriert, sodass sie die Erde lokalisieren und Kontakt aufnehmen können. Diese Platte enthält auch Bilder sowie Klänge zum Beispiel von Bach und Beethoven und Kindergrüße von der Erde in vielen Sprachen, um von unserer Existenz und Kultur zu berichten. Und so ist es nur konsequent, dass es ein Elfjähriger ist, den man von außen gesehen für den geeigneten Erd-Repräsentanten hält.

Kultur und Kinderspiel - das macht idealerweise uns Menschen aus. Kinder schließen auch unbefangener Kontakte und Freundschaften über ethnische und äußere Unterschiede hinweg, auch wenn Elio dabei erst einmal eins aufs Auge bekommt. Kinder an die Macht?
Kino: Astor im Arri, Cadillac, Rex, Leopold, Cincinnati, Royal, Solln sowie Mathäser (auch OV) und Museum Lichtspiele (OV)
R: Adrian Molina (USA, 95 Min.)