"Ein neues Leben": Die starken Frauen Italiens

Und plötzlich ist das alte Leben passé: das Familienunternehmen ist dicht, das Haus verkauft, der Bruder emigriert in die Schweiz. Die Familie um Adele (Celeste Casciaro) muss die Karten komplett neu mischen. In Edoardo Winspeares „Ein neues Leben“ zerstört die Wirtschaftskrise die aufgebaute Existenz von drei Generationen.
Adele zieht daraufhin mit ihrer Tochter Ina (Laura Licchetta), der Großmutter Salvatrice (Anna Boccadamo) und ihrer Schwester Maria (Barbara De Matteis) aufs Land. Statt Textilherstellung ist nun Landwirtschaft angesagt. Dabei sind die finanziellen Probleme der Familie zwar immer allgegenwärtig, nehmen aber nie den Mittelpunkt des Geschehens ein. Dort stehen nämlich die Zwistigkeiten der so unterschiedlichen Frauen. Adele spielt hier den pragmatischen Part, denkt gar nicht daran, vor der jetzigen Situation zu kapitulieren.
Dabei verliert sie jedoch den Zugang zu ihren Mitmenschen: die Schwester, die von der Schauspielkarriere träumt, ist für sie einfach nur weltfremd. Ihre Tochter hat sie fast schon komplett aufgegeben. Die Teenagerin lebt in den Tag hinein und ist für die Mutter sowieso nur „dumm“.
Familieneinheit und die Schönheit der Landschaft
Allein die Oma, die in der süditalienischen Idylle sogar noch mal die Liebe findet, versucht, alles zusammenzuhalten. Jede der vier steht für eine andere Einstellung zum Leben, die leidenschaftlich und mitunter dickköpfig verteidigt wird.
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Wie man sieht, konzentriert sich der Film weniger auf den Aufbau einer neuen, wirtschaftlichen Existenz. Für Winspeare zählt das Entstehen der familiären Einheit, die bei diesen Bedingungen verstärkt auf eine harte Probe gestellt wird.
Das zeigt er ruhig und kraftvoll. „Ein neues Leben“ ist weder ein Entschleunigungsfilm, in dem ein Tapetenwechsel alles richtet, noch eine hysterische Familienfehde. Der Film bleibt authentisch und auf dem Boden, was er auch seinen großartigen Darstellern verdankt, die auch wenn es kracht, nicht in pathetisches Overacting verfallen.
Und wie es im Leben ist, gibt es in der mediterranen Landschaft auch schöne Momente: Adeles Jugendbekanntschaft Stefano (Gustavo Caputo) taucht auf, der ihr nicht nur bei Bankangelegenheiten hilft, sondern auch Liebe und Lebensfreude wieder in ihr verstocktes Herz pflanzt.
„Ein neues Leben“ ist eine Verbeugung Winspeares – nicht nur vor der Kraft von Liebe und Familie, sondern auch vor den temperamentvollen Frauen Italiens.
Kino: Theatiner R: Edoardo Winspeare (I, 127 Min.)