Ein Hypnotiseur und Kämpfer

Kein anderer bringt so bildmächtig die Gewalt der Natur und die Wildnis im Menschen auf die Leinwand: Heute wird Werner Herzog 70 Jahre alt - eine Biographie spürt ihm atemlos nach
von  Michael Stadler

Der Lebensweg des Werner Herzog führte schon kurz nach seiner Geburt von der Großstadt in die Natur. Grund war die Bombardierung Münchens. Die Briten warfen hier in der Nacht vom 19. auf den 20. September 1942 Sprengsätze und Landminen ab, weshalb Elisabeth Herzog mit ihren Söhnen Tilbert und Werner ins beschauliche Sachrang im Chiemgau zog.

Der Schluss, dass Herzogs Kindheit auf dem Lande sein naturgewaltiges Werk beeinflusste, liegt nahe – Moritz Holfelder versucht sich in „Werner Herzog - Die Biografie (Langen Müller, 288 S., 22.99 Euro) an einer Psychologisierung des Regisseurs, was jedoch ein spekulatives Unterfangen bleiben muss: Zwar kann Holfelder sich auf alte Interviews stützen, Herzog ließ jedoch vor seinem siebzigsten Geburtstag keinerlei Annäherung zu. Deswegen erscheint die Biographie ohne Autorisierung des Porträtierten, wenn auch mit Hilfe von Wegbegleitern wie Bruder Tilbert.

Herzog möchte wohl seinen eigenen Mythos nicht zerreden, mutmaßt Holfelder und zitiert dessen Begriff von der „ekstatischen Wahrheit“: Man finde selbst in Dokumentarfilmen durch Stilisierung und Erfundenem zu einem viel tieferen Grund. Die Übertreibung, die dramatische Weltsicht gehört zu den Anekdoten Herzogs dazu und macht ihn seinen Helden so ähnlich. Glauben kann und will man jedoch, dass Herzog auf Reisen in fremde Häuser einstieg, um dort zu übernachten.

Oder dass er die Unterschrift des peruanischen Präsidenten fälschte, um weiter „Fitzcarraldo“ drehen zu können, jenen Film, in dem er tatsächlich ein Schiff über einen Berg ziehen ließ. Herzog bekam hier selbst die Macht der ekstatischen Wahrheit zu spüren: Skandalberichte, dass er die Ureinwohner Perus misshandelte und deren Dörfer vernichtete, überschatteten den Dreh. Böse, falsche Gerüchte.

„Fitzcaraldo“ sei sein bayerischster Film gewesen, so Herzog: „Dieses Schiff auf dem Berg, das hat etwas von barocker Überhöhung.“ Nur König Ludwig II. hätte auch so eine Idee verwirklicht – in Klaus Kinski hatte Herzog einen Darsteller, der dem Größenwahn ein unvergessliches Gesicht gab. Herzog lernte Kinski nach seiner Rückkehr in München kennen, wo er, Herzog, seit den Fünfzigern an der LMU vor sich hin studierte. Die Leidenschaft galt dem Kino, seinen ersten Kurzfilm „Herakles“ (1962), eine Bodybuilder-Studie, drehte Herzog mit 19 Jahren. Über Wasser hielt er sich mit wenig herkulischen Nebenjobs, war Parkwächter auf dem Oktoberfest. Für sein Spielfilmdebüt „Lebenszeichen“ erhielt der Autodidakt auf der Berlinale den Silbernen Bären, drehte dann Schlag auf Schlag weiter: Bis heute hat er 57 Filme inszeniert, fünf davon mit Kinski, dem er die Doku „Mein liebster Feind“ (2001) widmete.

Der unbedingte Wille Herzogs war und ist immer spürbar, ob er nun für den FC Schwarz-Gelb München jahrelang kämpfte (86 Tore in 144 Spielen), in Bayreuth den „Lohengrin“ inszenierte oder bei seinen Drehs noch heute jedes Risiko eingeht, um zu seiner Wahrheit vorzudringen. Seit 1995 lebt er in den USA, wo er unermüdlich weiterdreht und mehr Anerkennung als in der Heimat bekommt. Von der Kritik gefeierte Dokus wie „Grizzly Man“ haben nicht mal ihren Weg in die deutschen Kinos gefunden.

„Es ist möglich, Menschen auch von der Leinwand zu hynotisieren“, hat Herzog einmal gesagt. Bekannt ist, dass er seine Darsteller gerne selbst unter Hypnose setzt, bevor sie spielen. Herzogs Kino ist eines der Trance, seine Helden versuchen, diese Welt zu transzendieren, umgeben von einer Natur, die Herzog als „überwältigend gleichgültig“ bezeichnet. Zu fassen ist diese Natur nicht, genausowenig wie Herzog, dem diese Biografie unterhaltsam hinterherläuft.

Heute auf Arte: 20.15 Uhr, „Aguirre - Der Zorn Gottes“; 21.45 Uhr „Begegnungen am Ende der Welt“, 23.15 Uhr „Zwischenfall am Loch Ness“

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