Disney-Film "Raya und der letzte Drache": Vertrau mir, noch einmal

Mit "Raya und der letzte Drache" legt Disney einen Animationsfilm auf der Höhe der Zeit vor.
Michael Stadler |
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Mittlerweile alles fest in Frauenhand: Raya und die gute Drachin Sisu.
Mittlerweile alles fest in Frauenhand: Raya und die gute Drachin Sisu. © Disney+

Zumindest einem Baby sollte man doch vertrauen können. Einsam sitzt es auf den Holzplanken in einer dunklen Gasse, abgelegen vom bunten nächtlichen Treiben einer Stadt in einem fernen Fantasieland, das einen starken südostasiatischen Einschlag hat. Der Körper des Babys ist klein, seine Backen sind rund, die Augen groß. Klassisches Kindchenschema - oder Disney pur, könnte man sagen.

Aber als Raya, die junge Kämpferin, das Baby besorgt aufhebt, zieht die supersüße Kleine ihr den superbreiten Strohhut ins Gesicht, verabreicht ihr einen Martial-Arts-Kick und wirft ihr Staub in die Augen. Ein paar Äffchen haben sich von hinten angeschlichen, und schon haben das Baby und ihre Komplizen Raya um ihren größten Schatz beraubt. Das Ganze war eine Falle, und schon gibt es eine furiose Verfolgungsjagd, wie man sie im Animationsfilm noch besser als im Realfilm inszenieren kann.

"Raya und der letzte Drache" - auf der Höhe der Zeit oder sogar seiner Zeit voraus?

Wenn man sich nun den neuen Disney-Film "Raya und der letzte Drache" anschaut, kann man schon mal ins Grübeln kommen, was sich alles im Animationsfilm und damit auch in der Welt getan hat. Denn Disney mag in der Gestaltung der Figuren weiterhin der Tradition von Gründer Walt folgen und auf weiche Konturen, runde Formen, süße Fratzen setzen - inhaltlich bemüht sich der Familienkonzern aber, auf der Höhe der Zeit oder sogar seiner Zeit voraus zu sein. Von Political Correctness kann da fast schon nicht mehr die Rede sein, es ist alles politisch megahyperkorrekt, wobei die Disney-Kreativen die Figuren so bewusst divers und gleichberechtigt aufstellen und die alten Rollenbilder dabei so geschickt durcheinanderwirbeln, dass man im Lauf der eigentlich typisch strukturierten Heldenreise, pardon, Heldinnenreise, immer wieder überrascht wird.

So ist das Baby in dem neuen, sichtbar teuer produzierten Animationsfilm kein niedliches Beiwerk, sondern eine heitere Diebin, die ihr Äußeres raffiniert einsetzt. Der klobigste, fürchterlichst aussehende Krieger erweist sich hingegen als der mit dem weichsten Herzen. Ein kleiner Junge, der allein auf einem Boot herumschippert, ist der beste Koch. Und die Mädchen, nein, jungen Frauen sind die wendigsten, geschicktesten Kriegerinnen. Starke Männer brauchen die nicht an ihrer Seite. Liebesgeschichte, küssende Prinzen? Fehlanzeige.

Nicht einmal mehr gegen die Vorurteile und das Regiment der (alten) Männer muss Raya ankämpfen wie das noch für "Mulan" oder "Merida" der Fall war. Am Anfang wird sie noch kurz und knackig von ihrem Vater getestet: Es gilt, einen Diamanten zu beschützen, in dem einst mehrere Drachen ihre ganze Magie bündelten und gerade noch die Fantasiewelt Kumandra von einer dunklen, vage in der Luft herumrotierenden Pest (Pandemie?) retten konnten.

Nach erfolgreicher Prüfung ernennt der Papa sie zur gleichberechtigten Diamanten-Bewacherin. Und nachdem sein Plan, die fünf verfeindeten Völker des leider doch zersprengten Wunderreiches bei einem gemeinsamen Mahl zu versöhnen, fatal scheitert, übernimmt Raya kurzerhand seine Mission eines vereinten Kumandras.

Wie soll man Vertrauen fassen? 

Wenn die anderen ihre Versprechen immer wieder brechen, wenn sie ständig lügen und einen täuschen und enttäuschen - wie soll man denn dann jemals noch Vertrauen fassen? Um diese Frage kreist der Film in allen möglichen Facetten und wirkt dabei wie der Versuch, die Ära Trump mit ihrer vertrauenszersetzenden Wirkung in aller perfekt animierten Eleganz, mit Mut zum großen Gefühl und zum argen Kitsch nachhaltig zu bearbeiten. Kann man der üblen Kraft, die in alle Bereiche einsickerte wie ein fieser Virus und eine ganze Nation spaltete, vielleicht eine neue Utopie entgegensetzen?

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Raya jedenfalls gehört zu den Traumatisierten, sie wurde von der Tochter einer feindlichen Herrscherin einst übertölpelt und sieht nur noch im Kampf die Chance, ihre Ziele zu erreichen. Dem entgegengesetzt erweist sich die letzte Drachin Sisu, die Raya recht bald in einer Höhle, inmitten einer Wüstenei, entdeckt und mit der sie auf die Reise geht, um die zersprengten Einzelteile des magischen Drachendiamanten einzusammeln, als zwar putzig aussehendes Wesen, aber dieses goldige Viech glaubt noch fest daran, dass man anderen vertrauen sollte. Und erweist sich zudem als veritable Quasselstrippe.

Mit diesem rasanten Abenteuerfilm inklusive selbstbestimmten Heldinnen und einer dringlichen politischen Botschaft ist Disney wohl auf dem richtigen Weg in die Zukunft.

Kunden von Disney+ können in Deutschland zum Preis von 21,99 Euro auf disneyplus.com sowie über die Disney+ App sich den VIP-Zugang zum Film sichern. Ab 4. Juni steht der Film auch allen anderen Disney+ Abonnenten ohne Zusatzkosten zur Verfügung.

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