"Der andere Liebhaber" - Ein Strudel aus Lüge und Lust
Er ist ein kreativer Charmebolzen, gehört zu den produktivsten Regisseuren Frankreichs, dreht wie einst Chabrol fast jedes Jahr einen Film und schert sich wenig um die Meinung anderer. François Ozon ist ein Phänomen, seine Protagonistinnen sind immer ein Mysterium – von Charlotte Rampling, die drei Mal für ihn vor der Kamera stand, über Valeria Bruni Tedeschi bis hin zu Marine Vacth, die nach "Jung & Schön" hier zum zweiten Mal mit ihm arbeitet.
In "Der andere Liebhaber" spielt sie die attraktive Chloé, deren Probleme und (psychosomatischen) Bauchschmerzen sich in Luft auflösen, als sie sich in ihren Therapeuten Paul verknallt und mit ihm zusammen zieht. Anscheinend das typische Frauenmuster: Alles wird gut mit einem Mann im trauten Heim an der Seite. Als die gelangweilte Schönheit zufällig entdeckt, dass er einen Zwillingsbruder hat, ebenfalls Therapeut, lässt sie sich von ihm behandeln und gerät in einen Strudel aus Lüge und Lust, verliert den Bezug zur Realität und den Boden unter den Füßen.
Ozon spinnt ein gefährliches Netz aus Emotionen
Sehr lose nach Joyce Carol Oates‘ Roman "Der Andere" spinnt Ozon in furioser Bildsprache und verwirrenden Spiegelungen ein gefährliches Netz aus Emotionen, in dem sich die junge Frau verfängt, hin- und hergerissen zwischen ihrem verständnisvollen Partner und dem triebhaften und zynischen "anderen Liebhaber".
Schon die erste Einstellung ist radikal: Die Kamera fährt ganz nah auf eine Vagina, die an ein weit aufgerissenes Auge erinnert, dann eine Überblendung auf das Auge von Chloé. Neben Neurosen, sexuellen Tabus und dem Topos "gespaltene Persönlichkeit" variiert der nach Frankreich verlegte Thriller das filmische Motiv des Doppelgängers und liefert am Ende eine medizinische Erklärung für das bizarre weibliche Verhalten.
Unlogische Wendungen überspannen den Bogen
Manchmal weckt der innere Kosmos Assoziationen an David Cronenbergs "Die Unzertrennlichen", nur dass hier eine Frau am seelischen Abgrund entlang taumelt. Vacth wirkt streckenweise so lebendig wie eine Figur aus Madame Tussauds Wachskabinett, Jérémie Renier überzeugt dagegen in der Doppelrolle mit Widersprüchlichkeit, mal sanft und zärtlich, dann brutal und sexistisch.
Aber letztendlich wird der Bogen durch unlogische Wendungen überspannt, verliert Ozon die Nähe zu den Personen, setzt auf Provokation durch harten Sex, dazu gehört auch die Umkehrung sexueller Machtverhältnisse, die Penetration des Mannes mit einem Dildo. Für einen sensiblen "Frauenregisseur" von Ozons Kaliber reicht das nicht, auch wenn sein Erotikthriller "Fifty Shades of Grey" an filmischer Eleganz und Sinnlichkeit weit überragt.
Kinos: ABC, Neues Maxim (auch OmU), Studio Isabella, Theatiner Film (OmU); Regie: Francois Ozon (F, 108 Min.)
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