"Nope": Das Foto zum möglichen Glück
Sie werden täglich mehr: die Ufo-Sichtungen. Eine verbesserte Foto-Technik und die Möglichkeit zur digitalen Manipulation werden dafür gerne als Gründe genannt. Aber steckt nicht doch mehr dahinter? Im US-Repräsentantenhaus wurde zuletzt im Mai ernsthaft über "nicht identifizierbare Luftphänomene" debattiert, Meinungen von US-Piloten eingeholt, Videos mit mysteriösen Flugobjekten abgespielt. Die Erkenntnisse waren am Ende natürlich Luftnummern. Denn stimmige Erklärungen für unerklärbare Bilder aus dem All fanden sich natürlich nicht.
Um die Sehnsucht nach der einen, alles in den Schatten stellenden Aufnahme von Ufos, von einer außerirdischen Existenz und damit auch von der Beweiskraft von Bildern in der heutigen Zeit dreht sich auch "Nope" (US-Slang für "Auf gar keinen Fall"): ein komplexer wie umwerfender Science-Fiction-Film, der einmal mehr das Talent von Jordan Peele belegt.
"Nope": Zuschauer-Erwartungen unterlaufen
Nach seinem Oscargewinn für die Horror-Satire "Get Out", die sich mit systemischem Rassismus in liberalen Zirkeln auseinandersetzte, gelang ihm mit dem Doppelgänger-Thriller "Wir" ein weiteres Kunstwerk. Für "Nope" nun stand Peele erstmals ein höheres Budget, circa 70 Millionen Dollar, zur Verfügung. Ein Vertrauensbeweis, der für den ambitionierten Filmemacher auch ein Ansporn ist, das Kino ganz im Geist seines Vorbilds Steven Spielberg wieder in einen Ort des Staunens zu verwandeln - mit verblüffenden IMAX-Kamerabildern, die eine Schaulust offenbaren, ohne sich dabei der konventionellen Bebilderung und Erzählweise klassischer Hollywood-Blockbuster zu unterwerfen.
Bereits die völlig konträren Hauptfiguren sollen Zuschauer-Erwartungen unterlaufen. OJ (Daniel Kaluuya aus "Get Out"), der "Held", will so gar keiner sein. Ein hart arbeitender Farmer ist der introvertierte, menschenscheue, stille Mann. Er verdient seine Brötchen auch damit, US-Filmen und -Serien seine Pferde zur Verfügung zu stellen.
Er steht im Gegensatz zu seiner redseligen, extrovertierten Schwester Emerald (Keke Palmer), die davon träumt einmal groß rauszukommen, ein Star zu werden. In diese präzise Figurenbeschreibung grätscht der sozial engagierte Peele gleich mit einem filmischen Exkurs: über Eadweard Muybridges 1878 veröffentlichte Chronofotografie "The Horse in Motion".
Eine Sensation war damals dieser dreisekündige Clip eines reitenden Pferdes: eine erste Vorstellung davon, was passiert, wenn die Bilder einmal wirklich laufen können. Nichts findet sich in den Lexika jedoch über den damaligen Reiter, den namenlosen Star - wie Peele ein Afroamerikaner. In "Nope" will der Regisseur den Mann, den er als Alistair E. Haywood ausweist, von seiner unrechtmäßigen Anonymität befreien und ihm seinen rechtmäßigen Platz in der Filmgeschichte zurückgeben.
Und so wagt Peele den Kunstgriff OJ und Emerald mit dem realen Reiter von einst verwandtschaftlich zu verknüpfen. Und mehr noch, diesen noch jungen Afroamerikanern die Möglichkeit zu geben, sich selbst, ganz im Geist ihres Urahnen, einen Platz in den Geschichtsbüchern zu verschaffen. Dafür benötigen die Geschwister aber den "Money Shot", das eine Bild, dass sie weltberühmt macht und in die millionenfach gesehene Oprah-Winfrey-Show bringen soll.
Die Möglichkeit bietet sich ihnen, als außerirdisches Leben ihre irdisch triste Existenz durcheinanderwirbelt. Erst mit metallischen Gegenständen, die biblisch vom Himmel regnen, wobei eine Münze ihren Vater (Keith David) tödlich trifft. Und dann zeigen sich auch noch Schatten in den merkwürdig statischen Wolken, streikt die Elektrik, gleitet ein Ufo plötzlich leise über ihre Ranch.
Reiche Belohnung fürs Durchhalten
Wer für den etwas überlangen Einstieg Geduld aufbringt, wird hier reich belohnt mit einer grandiosen Aufeinanderfolge hypnotischer Filmaufnahmen (Kamera: Hoyte van Hoytema), von unerklärlichen Phänomenen, die aber auch Neider auf den Plan rufen. Darunter einen traumatisierten Ex-Kinderstar (Steven Yeun), der eine leicht heruntergekommene Western-Spielstadt am Laufen hält und einen technisch versierten Verschwörungstheoretiker (Brandon Perea). Nicht zu vergessen den arrogant-abgezockten Kameramann (Michael Wincott), der auf der Suche ist nach dem schlicht "unmöglichen" Schnappschuss.
In der Sehnsucht nach dem einen magischen Moment und letztlich der Deutungshoheit über die Ufo-Bilder, kreuzen sich ihre Wege. Wohin diese Reise aber wirklich führt, der Erkenntnisgewinn besteht, darüber lässt sich am Ende des Films wunderbar offen streiten.
Diese Lust am cineastischen Puzzle-Spiel ist es auch, die Peele, der wie ein Profi-Pokerspieler mal die Drama-, die Humor- oder Horrorfilmkarte ausspielt, derzeit so raffiniert-unterhaltsam beherrscht wie kaum ein anderer US-Regisseur.
Kino: CinemaxX, Gloria, Leopold, Mathäser und City (auch OmU), Monopol (OmU) sowie Cinema, Museum Lichtspiele (OV), R: Jordan Peele (USA, 130 Min.)