"Crimes of the Future": Die Lust auf Körperumbau
"Body-Horror" arbeitet mit krassen körperlichen Veränderungen. 1986 forderte David Cronenberg in "Die Fliege" seine Zuschauer mit der maskenbildnerischen Meisterleistung heraus, als sich Jeff Goldbloom nach einem Experiment in eine riesige Stubenfliege zu verwandeln beginnt.
Cronenberg (inzwischen 79 Jahre) hat seine Visionen von menschlichen Transformationen nicht aufgegeben, und man muss schon leichten Ekel überwinden, wenn in "Crimes of the Future" Viggo Mortensens Bauch in einer techno-organischen Badewanne, die vom "Alien"-Ausstatter HR Giger hätte stammen können, von Roboter-Skalpellen aufgeschlitzt und ein neues Fantasieorgan herausgepult wird.
Körper, die Zusatzorgane entwickeln
Denn in diesem dystopischen Zukunftsfilm ist die Evolution durch menschliche Eingriffe soweit aus dem Ruder, dass der menschliche Körper Zusatzorgane entwickelt.
Eine Detektivin des Gesundheitsministeriums (Kristen Stewart) versucht die Sache wissenschaftlich unter Kontrolle zu bringen, während eine Guerilla-Organisation versucht, die Erkenntnisse und Möglichkeiten anarchisch für sich zu nutzen. Alles ist in eine ständige Nacht getaucht, Innenräume sind nicht clean, sondern wirken alle wie hippe Industrielofts und drumherum ist alles etwas verslumt. Unsere westliche Welt hat schon bessere Tage gesehen.
Der Film "Crimes oft the Future" ist einer, in dem man sich konzentrieren muss, so intensiv und komplex ist er - beginnend mit einer Suada von neuen medizinischen Fachausdrücken, die hier in die Alltagssprache eingesickert sind.
Und dann muss man verstehen, dass es um einen neuen, moralisch entfesselten Kunstmarkt geht, der immer exzentrischere, härtere Events verlangt.
Chirurgische Körperveränderungen von Menschen an Menschen
Viggo Mortensen und Léa Seydoux machen als Künstlerstars also radikal-körperliche Performances - sie sind die einzige in der Zukunft verbliebene Kunstform. Und die beschäftigt sich eben mit chirurgischen Körperveränderungen - wobei der technische Fortschritt fast jeden Menschen zum Chirurgen gemacht hat.
So operieren die Menschen andere Menschen im Machbarkeitswahn, wie man heute vielleicht einen Ölwechsel beim Auto machen würde. Und was wäre größte Kick: eine Autopsie als Performance, mit einem dafür getöteten Jungen? Diese Frage verleiht "Crimes of the Future" eben auch noch einen Krimiaspekt.
Körper-Horror und Machbarkeitswahn
So verhandelt der vordergründige Körper-Horror hintergründig eine zunehmende Körperobsession, die allerdings echten Körperkontakt vermeidet, so dass gegenseitiges Operieren und das voyeuristische dabei Zuschauen zum Sexersatz wird. "Operieren ist Sex", sagt Seydoux einmal klar.
Das alles ist extrem bizarr, aber eben nicht nur um des Irritations-Effekts willen, womit ein interessanter Ausnahmefilm entstanden ist.
Kinos: Arena (OmU), City/Atelier (OmU); R: David Cronenberg, (Kanada, GB, 108 Min.)
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