Berlinale: China, die Bären und der Rest der Welt
Wenig Erfreuliches für das "normale" Kinopublikum. Diao Yinan und sein Film „Black Coal, Thin Ice“
Ganz vorne steht er, im Scheinwerferlicht, den Goldenen Bären in der Hand. Zeit für eine große Rede. Und dann versagen ihm die Worte, beginnt Diao Yinan nach Luft zu schnappen. Auch so mancher Kritiker und Berlinale-Zuschauer war in diesem Moment sprachlos. Denn warum der Jury Yinans düstere Kriminalgeschichte „Black Coal, Thin Ice“ ein Goldener Bär wert war, bleibt schleierhaft. Sicher, die Geschichte um einen einsamen Ex-Cop, der in der chinesischen Provinz an einer rätselhaften Mordserie zu verzweifeln droht, ist stilsicher inszeniert und hat ihre Überraschungsmomente. Dennoch bietet Yinans finsterer Blick auf eine Gesellschaft, der es an Mitgefühl und Verständnis mangelt, wenig erfreuliches für das „normale“ Kinopublikum. Überlang, übertrieben brutal und ohne sympathische Figuren reiht sich „Black Coal, Thin Ice“ in die immer länger werdende Liste der Berlinale-Gewinner ein, die sang- und klanglos aus den Kinos verschwinden – wenn sie auf den Spielplänen denn überhaupt auftauchen. Wie viel verdienter und weitsichtiger wäre der Goldene Bär doch für „Boyhood“ gewesen. Eine über zwölf Jahre gedrehte Coming-of-Age-Geschichte, die alle erste-Liebe-erster-Sex-Klischees vermeidet und alles hat, was anrührendes und in Erinnerung bleibendes Kino ausmacht. Doch Regisseur Richard Linklater musste sich mit dem Silbernen Bären für die beste Regie begnügen. Genau denselben Preis konnte er bereits 1995 für „Before Sunrise“ erringen, vielleicht wirkte Linklater – trotz euphorischem Applaus der Gäste im Berlinale Palast – deswegen fast ein wenig enttäuscht. Nicht ganz glücklich können auch die deutschen Filmemacher mit der Preisvergabe sein. Denn nur einer von vier Beiträgen wurde prämiert. Dafür aber mit „Kreuzweg“, der an Jesus Christus angelehnten Leidensgeschichte eines fundamentalistisch-katholisch erzogenen Mädchens, der stärkste. Anna und ihr Bruder, Regisseur Dietrich Brüggemann, bekamen den Bär verdient für das beste Drehbuch, das nicht nur durch präzise, sondern auch mitunter rasend komische Dialoge auffiel. Der große Preis der Jury wurde in der von Anke Engelke wie unter Zeitdruck hastig wegmoderierten Verleihung an Wes Andersons herrlich verspielten Eröffnungsfilm „The Grand Budapest Hotel“ verliehen. Dumm nur, dass nicht einmal der Produzent der US-Komödie anwesend war und deswegen Festivalleiter Dieter Kosslick einspringen musste, um peinlich-berührt zu erklären, dass er eh bald in die USA reisen würde und dann den Bären persönlich überreichen könne. Ähnlich lächerlich war die Entscheidung für den eigentlich „neue Perspektiven“ eröffnenden Alfred-Bauer-Preis für die abgefilmte Boulevardtheaterkomödie „Aimer, Boire et Chanter“ des 91-jährigen Jungspunds Alain Resnais. Ansonsten blieb es aber der Abend der Asiaten, was auch an Jury-Leiter James Schamus liegen könnte. Der US-Produzent gilt als großer Bewunderer des asiatischen Kinos und hatte bereits Ang Lee bis hin zu seinem Meisterstück „Brokeback Mountain“ gefördert. Folglich gingen die Schauspielerpreise an die bezaubernde Japanerin Haru Kuroki für das sensible Liebesdrama „The Little House“ und an den Chinesen Liao Fan für die Rolle des verbitterten Polizisten im Siegerfilm „Black Coal, Thin Ice“. Besonders seiner Mutter war dieser Preis an diesem zwiespältigen Abend wirklich zu gönnen. Denn ihr Sohn hatte erklärt, dass er ohne Bär nicht mehr zu ihr nach Hause fahren wolle.
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