AZ-Kinokritik zu Oscargewinner "Moonlight": Unerwartete Poesie

Barry Jenkins hat mit "Moonlight" den Oscar für den "Besten Film" gewonnen. Jetzt kann man sehen, warum.
Das beginnt für uns Europäer schon damit, dass man letztlich immer in der härteren schwarzen Community von Miami bleibt, in der männliche Körperlichkeit sich schon in Körperhaltung, Gangart und Gesten ausdrückt – elegant, offensiv, immer ausdrückend: Mach’ mich nicht an!
Aber über die knapp zwei Stunden werden so elementare und menschliche Geschichten erzählt, dass man Hautfarbe und Milieu völlig vergisst: Der junge Chiron, der mit seiner drogensüchtigen Mutter sich selbst überlassen aufwächst und im Ober-Dealer Juan einen Ersatzvater und Ruhepol findet. Aber schon in der bedrohten Kindheit von "Little" Chiron verweigert Regisseur Jenkins jegliche niederschmetternde Sozialtristesse.
Die dynamische Handkamera fängt, ohne uns verrückt zu machen, die unverspielte Kindheit frech, nah, packend ein. Dazu kontrastieren klassische Musik – wie Mozarts "Ave verum corpus" und lässige Szenemusik sowie Szenen, in denen das gejagte Kind Ruhe findet, so wenn Juan mit Chiron ans Meer geht.
Subtil, weil ganz natürlich gelingen Jenkins schöne, oft symbolische Bilder, wie das Schwimmenlernen, das wie eine Taufe im Meer wirkt: Zum ersten Mal spürt das Kind Chiron, das alle "Little" nennen, dass es etwas erreichen kann, dass es Selbstsicherheit und Geborgenheit gibt.
Keine Klischees sonder Menschen
Als Teenager wird Chirons Leben nicht leichter, weil er merkt, dass er ein Außenseiter ist und gemobbt wird, aber die Mutter als ebenfalls Verzweifelte nicht helfen kann: "Du bist alles, was ich habe", sagt sie an einem fertigen Morgen, nachdem der Freier rausgeschmissen ist, zu Chiron – und es ist auch eine Drohung, denn Chiron weiß, dass er es ist, der sich um seine Mutter (Naomie Harris) kümmern muss, und nicht umgekehrt. Und es ist wieder der Strand, diesmal im Mondlicht, wo Chiron seinen ersten Sex hat.
Eine spürbare Stärke von "Moonlight" ist, dass nie Typen und Klischees auftreten, sondern Menschen: Der Dealer Juan oder die kaputte Mutter bleiben Menschen, behalten bei aller Zweifelhaftigkeit Würde.
Das hält der Film auch im dritten Teil wunderbar durch, wenn Chiron sich jetzt durchgeboxt hat, ein fast mönchisch, in sich zurückgezogenes Leben führt und den Szenenamen "Black" hat in der Gegend, die jetzt sein Drogenrevier geworden ist.
Jenkins romantisiert oder heroisiert aber dieses von Rapmusik und Macho-Gesten durchdrungene Milieu nicht. Es ist einfach die Lebenswirklichkeit, in der er seinen menschlichen Film entfaltet, der eben kein Minderheiten-Problemfilm ist, sondern ein massentauglicher Kunstfilm, ein poetisches Melodram mit einer Öffnung zum Happy End – und das alles in einer Lebensgeschichte, in der wir das nicht erwarten würden. Das ist große filmische Wärme.
Kino: Arena, Leopold, Mathäser, Atelier (auch OmU), Isabella (OmU) sowie Cinema und Museum (OV) R: Barry Jenkins (USA, 111 Min.)