Als die Welt auf München schaute
Im Herbst 1938 steht Europa am Rande eines Krieges. Adolf Hitler bereitet den Einmarsch in die Tschechoslowakei vor und die britische Regierung von Neville Chamberlain sucht verzweifelt nach einer friedlichen Lösung des Konfliktes.
"München" - ein rasanter Politthriller
Bei einer Konferenz in München treffen sich die Staatschefs aus Deutschland, England, Italien und Frankreich. Robert Harris hat in seinen rasanten Politthriller "München" zwei fiktive Delegationsteilnehmer eingefügt, durch deren Perspektive er über das Münchner Abkommen und ein verstecktes Komplott erzählt. Christian Schwochow hat ihn nun für Netflix verfilmt.
AZ: Herr Schwochow, was hat Sie an dem Roman "München" von Robert Harris so fasziniert, dass sie die Regie für die Verfilmung übernommen haben?
CHRISTIAN SCHWOCHOW: Bei Robert Harris ist alles genau recherchiert, man kann sich sehr darauf verlassen. Und dadurch, dass er diese zwei nicht-historischen Figuren Paul und Hugh in die Delegationen von Hitler und Chamberlain einbaut, schafft er sich totale erzählerische Freiheiten. Das Clevere ist, dass es trotzdem historisch nachprüfbar bleibt, wenn es um die politische Ebene geht. Was Paul und Hugh angeht, kann man sagen: Dieser Thriller-Plot hätte so stattfinden können, er ist durch die Geschichte nicht zu widerlegen, er macht aber die reine Politgeschichte um das Münchner Abkommen noch wesentlich spannender.
Robert Harris hat zur Romanveröffentlichung mit der AZ in dem Zimmer ein Interview geführt, in dem das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde. Er sagte, diese Originalschauplätze seien magisch für ihn. Sie haben auch an den Originalschauplätzen gedreht. Ist das etwas anderes als in Babelsberg oder der Bavaria?
Zu einhundert Prozent, das ist etwas komplett anderes, wenn man in München im "Führerbau", der heutigen Musikhochschule, dreht, der sich ja wirklich innen kaum verändert hat. Die Unterschrift in dem Zimmer zu filmen, in dem sie tatsächlich stattfand, verändert alles. Das waren emotional aufgeladene Drehtage. Wenn ich vor diesem "Führerbau" drehe und Ulrich Matthes als Adolf Hitler ankommen sehe, bejubelt von zweihundert Komparsinnen und Komparsen, die sich die Seele aus dem Leib schreien, dann ist das auch gruselig. Denn Hitler ist genau dort vor 80 Jahren bejubelt worden. Man spürt an diesen Originalorten die Verantwortung für den historischen Stoff noch viel mehr. Und für die Schauspieler ist das auch ein Geschenk.
München gilt - was die Drehgenehmigungen betrifft - manchmal auch als schwierig.
Es war aber allen sehr schnell klar, dass wir da kein reines Unterhaltungswerk machen, sondern einen ernsthaften politischen Historienthriller drehen. Insofern war es nicht so unfassbar schwierig, die Genehmigungen zu bekommen.
Sie haben den Königsplatz auch mit Hakenkreuzfahnen beflaggt…
Schön, dass Sie das sagen, denn das haben wir in Wahrheit nicht getan. Das ist später am Computer geschehen. Wir haben eine andere Szene, die auch in München spielt, in Berlin gedreht, auf der Museumsinsel. Da haben wir tatsächlich geflaggt, aber so, dass die Hakenkreuze nur auf der Seite zu sehen waren, wo wir drehten. Die ganze Museumsinsel war für uns abgesperrt und wir hatten hohe Zäune.
Ein physisch fragiler Friedenskämpfer
Robert Harris hat das Buch auch als einen Versuch geschrieben, Chamberlains Reputation zu retten, dessen Appeasement-Politik in England keinen guten Ruf hat. Sie zeigen ihn als einen physisch fragilen Friedenskämpfer mit ganz klarer Haltung.
Das war mir sehr wichtig. Ich finde es zu einfach, Chamberlain mit dem Wissen von einem späteren Zeitpunkt aus zu verurteilen. Chamberlain war ein großer Idealist und überzeugter Pazifist. Klar, man kann ihn als naiv bezeichnen, weil er geglaubt hat, er könne mit Hitler über eine friedliche Lösung verhandeln. Aber er war sehr Mut machend. Auch wenn er eines Besseren belehrt wurde, finde ich, dass diese Form der leisen Politik, wenn jemand an die Kraft der Worte und die Kunst der Diplomatie glaubt, absolute Würdigung verdient. Gerade auch in einer Zeit wie heute, in der Politik wieder so unfassbar laut geworden ist.
Albert Speer hat im Gespräch mit Joachim Fest erzählt, dass Hitler noch Wochen nach dem Abkommen sauer war auf das Ergebnis. Also kann das nicht bedeutungslos gewesen sein.
Es war nicht ganz umsonst. Ich glaube tatsächlich, dass Chamberlain etwas erreicht hat. Dass Hitler lügt und etwas ganz anderes im Schilde führt, ist durch dieses Zusatzabkommen, das Chamberlain sich hat unterschreiben lassen, noch einmal viel klarer geworden. Außerdem hatte Chamberlain so doch gute zehn Monate gewonnen, sich auf einen etwaigen Krieg einzustellen und damit die Chancen verbessert.
Im Abspann Ihres Films heißt es, dass England durch dieses Jahr den Krieg gewinnen konnte. Das würde nicht jeder Historiker in dieser Zuspitzung unterschreiben.
Wir sagen es auch nicht in dieser Eindeutigkeit. Aber es gibt die Möglichkeit, die Geschichte so zu lesen.
"Politik ist immer ein Kompromiss"
Das Münchner Abkommen wurde ohne Beteiligung der tschechoslowakischen Regierung entschieden, das ist auch eine Form von Verrat, oder?
Das ist sehr ambivalent und wird auch so im Film thematisiert. Man lernt in diesem Film auch, was Politik ist, nämlich immer ein Kompromiss. Das heißt auch: Um Schlimmeres zu verhindern, nämlich den Einmarsch von Hitlers Truppen in der Tschechoslowakei, wird jemand geopfert. Das ist brutal, aber entspricht der Realität von Politik. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass unser Film dem Münchner Abkommen per se ein Denkmal setzt, das hätte ich auch falsch gefunden. Ich versuche, jede Form von Heldentum zu vermeiden.
Man sollte bei diesem tollen Ensemble eigentlich niemanden herausheben, aber man hat schon den Eindruck, dass Jeremy Irons ganz besonders für die Rolle als Chamberlain brannte.
Ja, das hat man total gemerkt. Er selbst ist mit Robert Harris befreundet und hat zu Harris gesagt: "Wann immer dieses Buch verfilmt wird, bitte sag den Filmemachern, dass ich Chamberlain spielen möchte." Nun kommt ja noch hinzu, dass er ihm wirklich ähnlich sieht und fasziniert von ihm ist. Jeremy hatte sich unglaublich vorbereitet, er wusste alles über Chamberlain. Ich schätze es, wenn Schauspieler so eine eigene Freude an der Recherche mitbringen, das ist bedauerlicherweise nicht immer der Fall. Und weil ich selbst immer sehr rechercheintensiv arbeite, fand ich das großartig. Es gibt auch ein bisschen den Ton vor für das ganze Ensemble, wenn einer der Großen so vorlegt, auch wenn er gar nicht die absolute Hauptrolle spielt.
Das Münchner Regina Palast Hotel gibt es nicht mehr
Chamberlain hat in München im Regina Palast Hotel gewohnt, und ist, als er sich auf dem Balkon zeigte, von den Münchnern bejubelt worden. Das Hotel gibt es nicht mehr. Ihr Hotel im Film konnte ich nicht in München verorten.
Nein, wir haben diese Szenen auch in Dresden gedreht. Und es stimmt: Chamberlain ist überall bejubelt worden. Auch in England hatte die Bevölkerung unglaubliche Angst vor dem drohenden Krieg. Und man hoffte, dass Chamberlain irgendwie Hitler stoppen könnte. In der "New York Times" war Chamberlain damals auf dem Titelbild und galt als der wichtigste Politiker der Welt. Aber das war von kurzer Dauer. Die Stimmung während des Münchner Abkommens war sehr aufgeladen. Die Augen der Welt lagen in diesen Tagen auf München.

Sie haben die "Täter"-Episode im NSU-Dreiteiler inszeniert und zuletzt mit dem Kinofilm "Je suis Karl" wieder die neuen Rechten thematisiert. Mit "München" sind sie nun gewissermaßen zum Ursprung des Bösen gereist. Brauchen sie jetzt mal thematischen Abstand?
Das kann ich nicht sagen, weil ich schon merke, dass die Auseinandersetzung mit Rassismus und Faschismus nichts Vergangenes ist. Ganz im Gegenteil. Wenn ich nach Frankreich schaue als zentrale Demokratie in Europa, dann habe ich schon große Angst, was dort bei den kommenden Präsidentschaftswahlen passieren könnte. Aber auch bei uns verschwinden die extremen Rechten nicht einfach, sie halten sich und formieren sich immer wieder neu. Ich befürchte schon, dass ich mich mit dem Thema immer wieder aufs Neue auseinandersetzen muss.
Sie haben zwei Folgen von "The Crown" gedreht und drehen aktuell zwei weitere. Wie groß ist der Druck, wenn man als Deutscher bei diesem "britischen Nationalheiligtum" an entscheidender Stelle mitwirken darf?
Ich hatte schon echten Respekt davor und habe den immer noch. Man lernt aber sofort ein unfassbar tolles Team kennen. Ich war damals der erste Regieimport und es war spannend zu erleben, dass die auch neugierig waren, wie ich auf die britische Geschichte schaue.
In Deutschland muss er mehr einfordern
Auffällig ist bei der Serie, mit welcher Sorgfalt sie geschrieben und inszeniert wird und natürlich die wahnsinnige Ausstattung. Diese Bedingungen hat man im deutschen Kino ja nicht immer, oder?
Nein, das muss man sich hart erarbeiten. Das tue ich auch. Aber für mich war es auch deswegen so schön, Teil des "Crown"-Teams zu werden, weil hier etwas professionalisiert ist, was ich in Deutschland sehr stark einfordern muss. Ich habe schon beim "Turm", der "Bornholmer Straße" oder "Bad Banks" extrem detailliert gearbeitet und recherchiert. Teilweise muss man das hier den Produzenten aber auch erst beibringen, dass Recherche Geld kostet und aufwendig ist.
Netflix verbindet man mit einem jungen Publikum und ich befürchte, dass die wenigsten mit dem Begriff Münchner Abkommen viel anfangen können. Für wen haben Sie "München" gemacht?
Es gibt auf der ganzen Welt ein großes Interesse an deutscher Geschichte, auch gerade an der Nazi-Zeit. Die Frage, wie das passieren konnte, treibt viele Menschen immer noch um. Ich habe aber ganz bewusst versucht, in "München" eine unhistorisierende Bildsprache zu finden, und hoffe sehr, dass dieser Film mit zwei jungen Protagonisten auch ein jüngeres Publikum findet.
"München" läuft derzeit in den Münchner Kinos ABC, City/Atelier, Sendlinger Tor und Monopol und ist ab dem 21. Januar auf Netflix zu sehen
- Themen:
- Netflix
- Sendlinger Tor