78. Filmfestspiele von Venedig: Getöse und subtiles Spiel
Venedig - Italien hat die generelle Impfpflicht beschlossen, und man bleibt extrem vorsichtig. Nachdem der Rote Teppich für Schaulustige hinter einer Wand verschwand, sitzen die Fans in den Böschungen der Lidokanäle. Denn hier muss er irgendwann vorbeikommen: Timothée Chalamet, der Teenie-Schwarm mit dem Wuschelkopf, der vielleicht die Angst der Jungs lösen kann, wieder längere Haare zu tragen, ohne gleich als schwul zu gelten. Er spielt den auserwählten Paul, auf den die Mädels als Prinz allerdings noch lange warten müssten. Denn "Dune" - nach dem Roman von Frank Herbert - spielt in 10.000 Jahren, soll aber als Blockbuster schon jetzt die Kinobranche retten.
Damit nichts vorab im Internet landet, mussten alle Journalisten bei der Pressevorführung ihr Handy in einen empfangshindernden Aluminiumbeutel einkleben.
"Dune": Eine überladene, wirre Handlung
Und dann ging es los: mit extrem viel Tonspur-Gebrüll, einer überladenen, wirren Handlung, der es trotzdem nur gelang, in zweieinhalb Stunden gerade mal die Hälfte der Vorlage zu erzählen. Dazu ist alles multikulturell zusammengerührt ohne einen einzigen originären optischen Einfall: Riefenstahls "Triumph des Willens"-Ästhetik, wenn das böse Imperium aufmarschiert, Ethnokitsch aus Tuareg-Kreisen, weil die Handlung in einer Wüstenlandschaft spielt, dann wieder Antikes, weil das Volk der Guten ja Atreiden heißt, dann wieder Asiatisches, weil ein großer Kinomarkt ja mittlerweile dort ist - Martial-Arts-Schwertkämpfe inklusive.
Die Figuren schauen dauerpathetisch auf Kämpfe und Wüstenweite und vor lauter Handlungshektik wirken alle bedeutungsschwangeren Lebensweisheits-Sentenzen noch peinlicher, weil sie - völlig bezugslos - wie aufgesagt wirken.
Dazwischen sausen Raumschiffkolosse und Kampfjet-Libellen durch die Luft, wie man sie seit George Lucas kennt. Kurz: "Dune" ist eine Kinokatastrophe, die mit viel Werbeaufwand gepusht, ihre Bestsellermission großflächig bei Teenies und einigen unverbesserlichen Sci-Fi-Action-Fans erfüllen wird.
Ein von der Handlung her zwingender Teil 2 wird das Ganze aber qualitativ auch nicht retten können. Im Rausch der Stars - neben Chalamet - Oscar Isaac, Javier Bardem, Josh Brolin und Charlotte Rampling, ging der weitere Goldene-Löwen-Wettbewerb fast unter.
"The Lost Daughter": Fantastisch gespielt, aber er wirft Fragen auf
Dabei hatte Schauspielerin Maggie Gyllenhaal dieses Mal als Regisseurin mit "The Lost Daughter" eine Elena-Ferrante-Verfilmung vorgelegt: Olivia Colman spielt eine britische Literatur-Professorin, die in Griechenland Urlaub macht und dabei mit einer beklemmend sektenartigen Großfamilie konfrontiert wird, mit einer Mutter, die bei ihr verdrängte Schuldgefühle weckt: Nämlich für Freiheit, Karriere und besseren Sex ihre Töchter als Kinder für einige Jahre verlassen zu haben.
Das alles ist fantastisch gespielt. Aber der Film, der einen mit seiner Krimi-Atmosphäre dauernd auf eine falsche Spur führt, löst die Hälfte seiner aufgeworfenen Fragen nicht auf - nämlich die nach den Hintergründen der dubiosen Gegenfamilie: Ist sie kriminell, pervers, ein tyrannisches System? Man fragt es sich, erfährt es unbefriedigenderweise nie - und muss dann doch wohl Ferrantes Roman lesen, der allerdings in Italien spielt.
"Spencer": Geschichte eines Befreiungsversuchs aus der "Ehe zu dritt"
Etwas kühl hat einen auch "Spencer" von Pablo Larrain gelassen im winterlichen England, obwohl der Film ebenfalls sehr sehenswert ist, mit großartigen Details und Einfällen zu Szenen, die ja hinter abschirmenden Schlossmauern stattgefunden haben. Es ist, als ob man mit eingesperrt wäre im historistischen Sandringham House und das Ganze hilflos beobachtet, wobei weder die Queen noch Charles dämonisiert werden. Der Film spielt an drei Weihnachtstagen bei den Windsors, zehn Jahre nach der "Märchenhochzeit" zwischen Charles und Lady Di. Es ist die Geschichte eines Befreiungsversuchs aus der "Ehe zu dritt", den höfischen Zwängen und der Kindsentziehung durch die königliche Familie, an deren Ende die bulimische, nervlich zerrüttete, sogar leichte Wahnvorstellung entwickelnde Di (Kristen Stewart) William und Harry im Porsche mit zu sich nach London nimmt. Eine Art Happy End, aber jeder kennt das wahre, tragische Ende sechs Jahre später.
Mit insgesamt derart viel Filmprominenz und Power geht das 78. Filmfestival hier am Lido jetzt fast etwas ruhiger in das Wochenende: Tim Roth und Charlotte Gainsbourg kommen für ein Familiendrama von Michel Franco ("Sundown"), Penélope Cruz ist noch einmal zu sehen, diesmal mit Antonio Banderas in einer Filmbusiness-Satire ("Competencia oficial"), Cecil de France spielt in einem Historienfilm nach Balzac ("Illusions perdues") und Kate Hudson ist für einen Thriller da ("Mona Lisa and the Blood Moon"). Eine bunte Mischung als Fortsetzung eines bisher starken Wettbewerbs.
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