Entsorgte Vergangenheit

In Andechs ist die 1939 entstandene Musik zum „Sommernachtstraum“ von Carl Orff zu hören, aber der unerfreuliche Zusammenhang ihrer Entstehung bleibt ausgeblendet
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In Andechs ist die 1939 entstandene Musik zum „Sommernachtstraum“ von Carl Orff zu hören, aber der unerfreuliche Zusammenhang ihrer Entstehung bleibt ausgeblendet

Es ist geschichtsvergessen, im Jahr des 200. Geburtstags von Felix Mendelssohn Bartholdy in aller Unschuld ausgerechnet Carl Orffs Bühnenmusik zum „Sommernachtstraum“ aufzuführen. Sie entstand 1939, als die beliebte Version des getauften Juden Mendelssohn verboten war und arischer Ersatz nottat. Dem Regime freundlich gesonnene Antisemiten wie Hans Pfitzner verweigerten sich dieser Zumutung.

Die Andechser Orff-Festspiele waschen den braunen Fleck ihres aller Nazi-Sympathien unverdächtigen Heros auf plumpste Weise weiß: Weder das Programmheft noch die Premieren-Einführung durch den Leiter des Münchner Orff-Zentrums verlor über Zusammenhänge mehr als ein Wörtlein. Unredlicherweise suggeriert man auch, die im Florianstadl unterhalb der Klosterkirche gespielte Version von 1964 habe der aus dem Jahr 1939 nur wenig gemein. Tatsächlich ist sie, von hinzugefügten Schlagzeugpassagen abgesehen, mit der üblen Fassung identisch.

Modernisierter Mendelssohn

Orff mag seit 1917 eine Musik zu Shakespeares Drama umgetrieben haben. Niedergeschrieben wurde sie erst, als 5000 Reichsmark winkten. Es schadet nicht, das hübsche Werk hin und wieder zu spielen: Dann wird deutlich, dass den Komponisten keinesfalls antiromantisches Wollen umtrieb. Hörner und hohe Streicher sorgen für Zauber, ein Trompeten-Notturno säuselt zur Nacht, das Schlagzeug koloriert die übernatürliche Elfenwelt: Das ist kein Gegenkonzept, sondern eine moderne Alternative zu Mendelssohn. Das macht die Musik im historischen Zusammenhang mehr als peinlich.

Echt orffisch ist das Finale im Stil der Lyrismen aus „Carmina burana“. Beim Auftritt der Handwerker wähnt man sich auf die Wiesn versetzt. Aber es hilft nichts: Schauspielmusik altert wie alles Theater. Zum psychologisch geschärften Verständnis des „Sommernachtstraums“ unserer Tage trägt diese Vertonung nichts bei. Auch der Inszenierung von Marcus Everding stand sie im Weg: Die Musik setzt Schlegels steife Übersetzung voraus und lähmt so das heitere Verständnis.

Wacker und liebenswürdig

Der neue Leiter der Orff-Festspiele und seine wackeren Mimen hielten sich als Interpreten diskret zurück. Thomas Pekny entwarf schöne weiße Kostüme und ein Bühnenbild mit echt orffischer Welttheaterscheibe. Die angesichts naher Großstadtbühnen höchstens liebenswert zu nennende Aufführung wurde vom benediktinisch durchsetzten Publikum und Honoratioren freundlich akklamiert. So entsorgt man die Vergangenheit.

Robert Braunmüller

Wieder am 26., 27., 28. Juni. Infos unter www.andechs.de

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