Die Last Generation stört "Jedermann" in Salzburg

Doch das wirkt wie ein Teil der Inszenierung von Michael Sturminger bei den Salzburger Festspielen
Walter Weidringer |
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Michael Maertens in der Rolle des Jedermann, Valerie Pachner als blumige Buhlschaft und Raphael Nicholas von der zechfreudigen Tischgesellschaft.
SF/Matthias Horn 5 Michael Maertens in der Rolle des Jedermann, Valerie Pachner als blumige Buhlschaft und Raphael Nicholas von der zechfreudigen Tischgesellschaft.
Michael Maertens und Valerie Pachner.
Barbara Gindl/APA/dpa 5 Michael Maertens und Valerie Pachner.
Mirco Kreibich (Mammon), Michael Maertens (Jedermann)
SF/Matthias Horn 5 Mirco Kreibich (Mammon), Michael Maertens (Jedermann)
Colin Johner und Ellen Krogh Skjølstrup.
SF/Matthias Horn 5 Colin Johner und Ellen Krogh Skjølstrup.
Sarah Viktoria Frick als Gott.
Sarah Viktoria Frick 5 Sarah Viktoria Frick als Gott.

Die Berichte von Gottes Tod sind übertrieben. Aber nicht sehr: Als eine Art geplagter Erda wälzt er/sie sich kurzatmig über den Boden und aus ihm heraus. Am Anfang ist die unwirtliche Hügellandschaft noch schützend abgedeckt - auch oder gerade weil darunter kein Pflänzlein wächst. Vegetation geben die endzeitlichen Schutt- und Aschekuppen nicht mehr her, Blumen findet man allenfalls als Kranz im Haar der Reichen.

Am Ende, nach Jedermanns Tod, wird wieder ein dunkles Tuch darübergezogen, als müsste man die Erde bedecken wie eine Leiche. Gott/Göttin trägt in Gestalt von Sarah Viktoria Frick offensichtlich schwer an den Menschen, ihr riesiger Umhang gleicht einer Müllhalde, die Charakterstimme ächzt: das höchste Wesen im untersten Grund. Später kehrt sie als Teufel wieder.

Dass der Tod Stockwerke über der göttlich personifizierten Erde auftritt, ist die nächste Pointe. Valerie Pachner gibt ihn, äußerlich als Mischung aus Heiliger und Königin der Nacht, und sie ist auch die neue Buhlschaft: Doppelrollen, ob kenntlich oder nicht, stehen als Gestaltungsmittel nun noch höher im Kurs als bisher in Michael Sturmingers "Jedermann"-Inszenierung - nicht immer mit klarem Gewinn.

In Abwandlung eines Tucholsky-Bonmots über Lehár und Puccini könnte man fragen, ob der "Jedermann" dem kleinen Mann sein "Faust" sei. In Facetten wohl ja - und doch auch wieder nicht. Gerade bei Sturminger nicht, der Hugo von Hofmannsthals ewiges Provisorium für das Spiel auf dem Domplatz regelmäßig aufmischt wie bisher kein Regisseur. Und der seine Arbeit seit 2017 auch immer wieder tiefgreifend neu gefasst hat, vor allem im Hinblick auf seine Hauptdarsteller Tobias Moretti (mit Philipp Hochmair als Einspringer), Lars Eidinger - und nun Michael Maertens.

Maertens hat hier wahrlich nichts Faustisches an sich, sondern ist tatsächlich im Wortsinne ein Jedermann: ein Durchschnittstyp, der eben auf die Butterseite gefallen ist. Wenn er dem Schuldknecht den Kapitalismus erklärt, klingt keine Häme in seinen Worten, keine Hartherzigkeit: Eher gibt er wohlwollend Aufklärung über die Mechanismen, mit denen das Geld die Welt regiert - Schuldturm, tja, Schuldturm inklusive. Amüsant, wie dieser schon etwas reifere Herr (auf "60 Jahre kaum" hat man den Text hochlizitiert) noch gewohnheitsmäßig seine Jugendlichkeit behauptet, aber die Behauptung schon Risse zeigt.

Ein High-Five mit dem guten Gesellen (Helmfried von Lüttichau) wird also angedeutet, doch nicht ausgeführt, sonst spürt man's vielleicht gleich im Kreuz.

Jungenhaft dagegen, wie er angesichts der frommen Wünsche der Mutter seufzend die Augen verdreht, sie dann aber gewähren lässt und den Kopf auf ihre Schulter legt: Nicole Heesters, 1973 noch selbst die Buhlschaft an der Seite von Curd Jürgens, bringt eine Grandezza ein, eine Verschmelzung mit dem Charakter, wie man sie gerade bei den allegorischen Figuren in dieser Intensität vergeblich sucht. Aber auch nah am Wasser gebaut ist dieser Jedermann, ohne deshalb gleich sentimental oder schwach zu wirken: Ficht es ihn an, dann schluchzt er ungehemmt in der Buhlschaft Schoß.

Weil Sturminger jedoch kurz nach Beginn ein paar jugendliche Aktivisten Jedermanns feudale Hauswand besprühen und dann festnehmen lässt, fiel eine reale Protestaktion gar nicht weiter auf, sondern wurde spontan als zur Inszenierung gehörig wahrgenommen: Beim Auftritt der Tischgesellschaft sprangen einige junge Leute im Publikum auf und deklarierten sich mit Parolen wie "Wir sind die letzte Generation!" Was als Störung der Premiere geplant war, fügte sich so nahtlos ins Ganze ein und wurde von der Saalaufsicht so rasch und professionell beendet, dass im Nachhinein vor allem die Enttäuschung blieb, dass Sturminger nicht selbst auf diese Idee gekommen war.

Die größte Schwäche seiner Arbeit ist, nach dem metrosexuell-androgynen Eidinger den Schwenk zum eher wieder herkömmlichen, wenn auch keineswegs banal machohaften Maertens durch ein verstärktes Umwelt- und Klimabewusstsein aktualisieren und ausbalancieren zu wollen.

In diesem Stück wirkt das aber zu aufgesetzt, forciert. Ein "Spiel vom Sterben der reichen Erde" wird nicht daraus.


Apropos forciert: Der Komikerduo-Klamauk der Vettern (Fridolin Sandmeyer, Bruno Cathomas) sollte dringend zurückgeschraubt werden. Und auch Anja Plaschg (Soap & Skin), für deren Spielansagerin Wolfgang Mitterer beinah eine Opernszene komponiert hat und die dann als kahler Glaube mit freiem Schwangerschaftsbäuchlein wiederkehrt, kann die hohen Erwartungen in Gesang und Bühnenpräsenz nur punktuell erfüllen.

Auf der Habenseite: Sarah Viktoria Fricks teuflisches Springinkerl, das als Kardinal beginnt, dann die klerikalen Hüllen fallen lässt und als Hosenrolle ohne Hose endet, sodass man das Gemächtchen des Gottseibeiuns sieht - o Gott! Und der im goldenen Tutu fröhlich herumtollende Mammon von Mirco Kreibich, der einmal mit Jedermann knutscht, weil ja Geld verführt.

Er gibt auch, das Thema bleibt dasselbe, den Schuldknecht, der dann von Kind und Kegel des armen Nachbarn (Emanuel Fellmer) ausgeraubt wird. Die Underdogs fleddern sich gegenseitig.

Bezeichnend, dass sich der stärkste Moment des Abends jenseits aller Aktualisierungen ereignet, dort, wo die alten Theatermittel greifen. Zunächst denkt man schon, die "Jedermann"-Rufe seien gestrichen, weil Maertens sie nur in wachsender Panik in seinem Kopf zu vernehmen scheint. Doch dann ertönen sie doch und erzeugen schönsten Schauer: Jedermann stirbt, totzukriegen ist er nicht.

Domplatz, bei schlechtem Wetter im Großen Festspielhaus. Alle 15 Vorstellungen bis 29. August sind ausverkauft, Infos unter salzburgerfestspiele.at

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