„Die Kultur ist gefährdet“
Münchens Kultur-Chef schlägt Alarm: Von der Philharmonie über die Bibliotheken bis zu den Volkshochschulen – die Krise droht in den Städten und Gemeinden irreparable Schäden anzurichten
Er leitet die Münchner Kulturpolitik mit pragmatischem Geschick: Hans-Georg Küppers neigt eher selten zu dramatischen Formulierungen. Jetzt aber schlägt er, auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Kulturausschusses des Deutschen Städtetags, angesichts der bei der Kultur geplanten Einsparungen Alarm. Das 56 Jahre alte SPD-Mitglied wurde in Oberhausen geboren und ist seit 2007 Münchner Kulturreferent.
AZ: Herr Küppers, Sie haben nach der jüngsten Sitzung des Kulturausschusses des Deutschen Städtetags eine Art Warnruf losgelassen: Jetzt sei die Grenze der Belastbarkeit erreicht, Kulturinstitutionen seien von der Finanzkrise exemplarisch betroffen und teilweise in ihrer Existenz gefährdet. Wen juckt ein solcher Warnruf noch außerhalb der Kultur, angesichts der Milliardenlöcher überall?
HANS-GEORG KÜPPERS: Wenn der Kulturausschuss des Deutschen Städtetags eine klare Position bezieht, sollten die Worte schon gehört werden. Unser Appell geht an den Bund und die Länder, die sich in vielen Bereichen aus der Kultur zurückgezogen haben. Das Problem in den Städten ist, dass sie ihre Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllen können, weil immer neue Aufgaben und Belastungen auf sie übertragen werden – ohne ihnen Geld dafür zu geben. Ich appelliere an den Bund, alles zu tun, um eine vernünftige Gemeindefinanzierung auf die Beine zu stellen.
Gibt es einen Weg zurück?
Es muss ihn geben. Sonst wird das passieren, was man in einigen Ländern bereits beobachten kann, vor allem in NRW: Die Kommunen stehen kurz vor der Pleite. Man darf nicht vergessen, dass ein Land nur über seine Kommunen existiert. Wenn diese nicht mehr handlungsfähig sind, werden auch Land und Bund handlungsunfähig. Dann droht das System langsam aber sicher zusammenbrechen.
2002 rief OB Christian Ude zum Entsetzen der Münchner und zum Erstaunen der Republik: „München ist pleite“ – um alle wachzurütteln. Machen Sie nun den Kultur-Ude?
Wenn schon, dann bin ich der Kultur-Küppers. Ohne Scherz: Ich möchte aufzeigen, dass die Kultur in der Bundesrepublik ernsthaft gefährdet ist. Wirklich ernsthaft gefährdet! Wenn man über Theaterschließungen nachdenkt, wie das in Wuppertal oder Oberhausen bereits der Fall ist, dann ist das eine neue Dimension in der Kulturlandschaft. Und ich befürchte, dass sich diese Krise noch viel stärker auf Bereiche auswirken wird wie Volkshochschulen, Bibliotheken oder Musikschulen. In vielen Städten kann man das bereits beobachten. Ich betone es noch einmal: Wir haben es mit einer wirklich existenziellen Krise im Finanzbereich der Kultur zu tun.
Gerade wurde verkündet, dass sich München vom geplanten Umbau der Gasteig-Philharmonie verabschieden muss. Was bedeutet das für die Kulturstadt?
In Zeiten wie diesen gibt es manchmal Dinge, die man ein Stück weit nach hinten schieben muss. Wenn man, wie etwa Hamburg, eine Elbphilharmonie für 500 Millionen baut, aber die Kunsthalle dann von der Schließung bedroht ist, weil ihr 200000 Euro fehlen, dann ist das nicht mehr verhältnismäßig. Ich bin dafür, dass wir die Gelder, die wir haben, in Inhalte stecken: in ein gutes Orchester, in die Medienausstattung der Bibliotheken, in gute Ausstellungen.
Ein Stück weit nach hinten schieben – heißt das beim Gasteig ein paar Jahre oder ein paar Jahrzehnte?
In den nächsten drei bis vier Jahren ist ein Stemmen dieser Aufgabe sicher nicht möglich.
SPD und Grüne im Rathaus haben angekündigt, dass sie im Haushalt 40 Millionen einsparen wollen. Was bedeutet das für die Kultur im Verhältnis zu den anderen Ressorts?
Der Antrag sieht so aus, dass die Ressorts entsprechend ihrem Anteil am Haushalt sparen sollen. Die Kultur hat etwa einen Anteil von 4,5 Prozent am Gesamthaushalt, innerhalb dieses Rahmens werden wir Einsparungen vornehmen müssen. In welchen Bereichen das geschieht – darüber kann ich noch gar nichts sagen. Wichtig ist aber, dass die Finanzierung Dritter, also der Freien Szene, nicht in Gefahr ist. Hier haben wir in den letzten Jahren notwendigerweise viel aufgebaut und ausgebaut.
Soziales und Bildung sollen beim Sparen ausgenommen werden. Warum nicht auch die Kultur?
In der Tat ist Kultur kein Luxus, und kulturelle Bildung eine wichtige Säule der Gesellschaft. Wenn man diese schädigt, schädigt man Urbanität und Lebensqualität.
Es wird immer schwieriger, öffentlich über Kultur zu diskutieren und zu informieren, weil auch die professionellen Vermittler heftig getroffen werden. Sehen Sie die Notwendigkeit für einen öffentlichen Diskurs?
Ich sehe das mit Schrecken, nicht nur in München, sondern in vielen Städten. Gerade in dem für die Kultur wichtigen Bereich von Presse und Medien findet ein enormer Abbau von qualifizierten Kräften statt. Dies schadet der Kultur, weil die veröffentlichte Meinung ein wichtiges Korrektiv und ein Informations- und Transformationsriemen in die Bevölkerung hinein ist. Wenn es dort weiter solche Erosionen gibt, halte ich das für einen sehr gefährlichen Weg, der letztendlich der Kultur und den Menschen schadet.
Längst hat fast jeder ein mobiles Internetgerät, die Leute buchen ihre Tickets im Web und diskutieren dort auch über Kultur. Kann das nicht auch ein Fortschritt sein?
Ich sehe zum Beispiel Social Networking und Ähnliches als Ergänzung zu den bewährten Medien. Ersetzbar sind diese dadurch aber nicht. Vor allem in den und über die Printmedien findet ein Diskurs in der Gesellschaft statt. Dafür muss dieser Diskurs qualitativ gut und beständig sein.
Vor gut zehn Jahren wurden Sponsoring und Public Private Partnership als Allheilmittel gepriesen, um an Geld für die Kultur zu kommen. Ist hier noch was zu holen?
Sponsoring ist häufig die Sahne auf dem Kuchen. Manchmal ist es sehr hilfreich, aber es kommt in schwierigen Zeiten dort ebenfalls zu Einbrüchen.
Ist nicht jede Hilfe recht?
Schon, aber ich denke nicht, dass das kurzfristig ausbaubar ist. Ich bin ohnehin der Auffassung, dass Kultur eine Aufgabe der öffentlichen Hand ist. Der Rückzug der öffentlichen Hand aus der Kultur würde mit der Kulturlosigkeit der Öffentlichkeit enden.
Und was ist mit dem Kulturreferenten? Sollte er in der Krise die Kulturpolitik eher charismatisch oder doch lieber bürokratisch führen?
Bürokratie ist die Verbindung zwischen Holzweg und Sackgasse. Entscheidend ist ein Pragmatismus, das konkrete Umsetzen von Kultur. Als Beispiel: Mir ist es sehr wichtig, Kultur in den Stadtteilen zu fördern, den Menschen direkt vor ihrer Haustür Angebote zu machen. Dadurch bewegt sich etwas. Die große Geste des Charismatikers reicht nicht aus, um Kultur zu gestalten. Es geht um praktische Handlungskonzepte, die die Kulturbedürfnisse der Menschen aufnehmen, sie umsetzen – und neue Bedürfnisse wecken.
Michael Grill
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